Donnerstag, 1. November 2018

Ölbaum


 

Der Ölbaum –Symbol des Mediterranen

Olea prima omnium arborum est.
Columella

Der Tod ist nur wie das Herabfallen einer herbstlich reifen Olive.
Marc Aurel. Selbstbetrachtungen

„Die Ölbäume sind wunderliche Pflanzen; sie sehen fast wie Weiden, verlieren auch den Kern, und die Rinde klafft auseinander… nur wenige Blätter am Zweige.“
Goethe, Italienische Reise 1786



Er war der Baum Athenes, der mit der Stadt verbundenen Göttin. Vor allem aber war der Ölbaum (Olea europaea) Symbol der Zivilisation, der Kontrolle des Menschen über den Raum. Die Ölbaumkulturen waren seit der Antike Zeichen der Unterwerfung der Natur durch die polis.

 Der unverwüstliche Baum war das Symbol des Sieges – dem Sieger gebührte ein Ölzweig. Zugleich war die Olive Friedenssymbol: Die Taube mit dem Ölzweig ist eine der vielen (250!) Erwähnungen des Baumes in der Bibel. Die Taube flog zu Noah, um ihm das Ende der Sintflut anzuzeigen. Sie trug den Ölzweig im Schnabel, als Zeichen, dass die Ölbäume schon aus dem Wasser ragten.

Phönizier und Griechen zuerst, dann die Römer, pflanzten den Ölbaum in ihren Kolonien im Mittelmeerraum. Die Araber verbreiteten den Baum in Nordafrika und Spanien. Circa eine Milliarde Bäume wachsen heute in den Plantagen rund um das Mittelmeer.

Der Ölbaum geht auf den wilden Oleaster zurück, eine Pflanze der macchia mediterranea. Der Oleaster ist ein stark verzweigter, mit Dornen bestückter Strauch. Seine Blätter sind kleiner als jene des Ölbaums, die Früchte sehr klein und bitter. Sie enthalten nur wenig Öl. Die Blüten des Ölbaums sind unscheinbare weiße Rispen, aus denen die ölhaltigen Steinfrüchte mit ihrem harten Kern hervorgehen.

Vom wilden Oleaster....

 
...zum domestizierten Ölbaum

In Athen stand der Ölbaum für kultische Handlungen bereit: Altäre wurden aus ihrem Holz errichtet; das Holz nährte das heilige Feuer. In der Odyssee ist von gesalbten Göttern und Helden die Rede, was bedeutet, dass deren Statuen mit Öl bestrichen wurden Das Öl hatte auch praktische Funktion, es spendete Licht in Öllampen, war Heilpflanze für Haut und Verdauungssystem. Mit Olivenöl wurde der olympische Sieger gesalbt; in Olympia konnte der Sieger im Stadionlauf 60 Amphoren Öl als Preis gewinnen – das waren zwischen 1000 und 2000 Liter Öl. Die Olive stand im Schutz des Areopag, des höchsten Gerichts in Athen. Die Strafe für unerlaubte Rodung von Ölbäumen ging von Enteignung, Verstümmelung bis zum Tod.

Thukydides (460-396 v. Chr.) schrieb von Wein und Öl, die den Austritt aus der Barbarei und den Beginn der Zivilisation markierten. Athen hatte die Demokratie erfunden – ihr Schutzbaum, die Olive, ist die Urpflanze der Demokratie.

 Kreta, heute noch eine Hochburg des Olivenanbaus, gab Baum und Frucht den Namen. Das lateinische Oliva kommt aus dem kretischen oleiva. Daher oleum, Öl, oil, huile. Der spanische Name stammt – natürlich – aus dem Arabischen: Aceituna und aceite von al-Zaytun, dem Wort der Mauren für die Olive.

Auch die Römer rieben Statuen kultisch mit Öl ein und schätzten es als Arznei. Öl spendete Licht: Kleine römische Öllämpchen fand man im Mittelmeeraum in fast allen archäologischen Stätten. Der Ölanbau der Etrusker ist ab der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. nachgewiesen.

Die antiken Zentren des Anbaus waren die ägäischen Inseln, besonders Kreta, wo sich 4500 Jahre alte Spuren von Pollen von Olivenblüten fanden. Die Domestikation des Oleasters nahm in Kleinasien ihren Anfang. Ölbäume werden Hunderte von Jahren, manche sagen bis 2000 Jahre alt. Wenn sie oben absterben, treiben sie aus dem Wurzelstock von neuem aus. Diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung machte die Olive zu einem Symbol der Unsterblichkeit.

In den Georgica berichtet Vergil vom Goldenen Zeitalter: Die Eiche ernährt die Menschen, die nichts zum  Überleben dieses Baumes beitragen müssen. Am Ende des goldenen Zeitalters löst der Ölbaum die Eiche ab. Die Eiche gehört der Sphäre der Wildnis an, die Olive ist reine Kulturpflanze, der die Menschen das Öl mühsam abringen müssen.

Im Mittelalter verbreitetenAraber den Ölbaum aus Nordafrika in den von ihnen eroberten Gebieten; vor allem in Andalusien.

Im mittelalterlichen Süditalien war es ein Deutscher aus dem Geschlecht der Staufer, der die arabische, die „sarazenische“ Kultur erglänzen ließ: Friedrich II von Hohenstaufen (geboren 1194 in Jesi, gestorben 1250 bei Lucera), König von Sizilien, Deutscher König und römisch-deutscher Kaiser. Friedrich hinterließ berühmte Bauten wie das Castel del Monte in Apulien, führte Naturwissenschaften, Recht und Verwaltung zu hoher Blüte. Während der staufischen Herrschaft breitete sich die Ölbaumkultur in Sizilien und Apulien aus. In Apulien wuchs der Ölbaum oft in Mischkultur mit Mandelbäumen, am Rand oder einzeln in Weizenfeldern. In und um Taranto waren Ölbäume schon in byzantinischer Zeit mit Feigen und Mandeln vergesellschaftet.

Mittelitalien mit Umbrien und der Toskana ist heute noch für seine hochwertigen Öle bekannt. Die Olivenkultur war eng mit dem System der Halbpacht, der mezzadria, verbunden. In der Mezzadria stellte der padrone Grund und Boden, Wohn- und Wirtschaftsgebäude zur Verfügung; der Bauer, der mezzadro und seine Familie stellten die Arbeitskraft. Die Ernte wurde zur Hälfte geteilt. Die Mezzadria entstand im Spätmittelalter, etablierte sich nach der großen Pest 1345-48 und behielt ihre Vorherrschaft über 500 Jahre lang, bis in die sechziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts.

In der Mischkultur der Mezzadria wurden die Ölbäume oft stark beschnitten. Die Bauern übertrieben dabei gerne: L’ulivo vuole il pazzo (der Ölbaum will den Verrückten) war die Rationalisierung für ihr Tun. In Wirklichkeit diente der scharfe Schnitt einem höheren Kornertrag, da gestutzte Bäume den Weizen weniger beschatteten. Im toskanischen Norden und in der Maremma pflanzte man auch den reinen Olivenhain (alla pisana), also richtige Olivenwälder, eingefasst von Zäunen und Mauern. In diesen Klausen (chiudende) wurde nicht gesät, wohl aber der Boden alle paar Jahre gehackt und als Weide genutzt.

Im Mittelalter waren Ölbäume auf den Bauernhöfen Italiens noch selten. Erst in der Renaissance, in einer Zeit, als die Städte die Kontrolle über das Land vorantrieben, kam der Ölbaum auf die Höfe. In höheren Lagen fehlt die kälteempfindliche Olive,  die Rebe hingegen ist frosthärter, sie steigt höher hinauf..

Die Ernte der Oliven ist auch heute noch der größte Kostenfaktor. Sie erfolgt im Winter; die Frage war stets, wie man Oliven vom Baum bringt, ohne die Knospen zu beschädigen. In manchen Ländern des Mittelmeerraums werden die Oliven mit Stangen von den Zweigen geschlagen; in Italien streift man sie von Hand von den Zweigen und sammelt sie in Netzen mit Tüchern darunter. Oliven kommen in die Ölmühle (in Italien frantoio) zur Pressung. Was bei der ersten Pressung von den Mühlsteinen fließt, ist zum Klischee geronnen – das kaltgepresste Olivenöl, das olio extravergine d’oliva. Die kalte Pressung mit den großen Mühlsteinen ist die klassische Behandlung der Oliven in der Ölmühle. Eine zweite oder dritte Pressung, von heißem Wasser oder synthetischen Lösungsmitteln unterstützt, kam erst mit der Industrialisierung auf.

In der Toskana stößt der kälteempfindliche Olivenbaum an die Grenze seiner möglichen Verbreitung. Ältere Bauern haben den Januar 1986 noch in böser Erinnerung. Auf minus 24° Grad sank das Thermometer in Florenz, der Arno war zugefroren. In der Toskana und in Umbrien erfroren an die 70% aller Ölbäume, 1000jährige Bäume froren zu Tode. Nur etwa die Hälfte der Ölmühlen überlebte. Der Frost von 1986 war eine Zäsur im Olivenanbau. Es folgte eine Modernisierung und Intensivierung des Anbaus. Doch die Ölproduktion ist rückläufig, die Olivenernte ist zu teuer. Kleine Betriebe geben auf, große expandieren. Heute gibt es in der Toskana 56.000 ha Oliven, die durchschnittliche Betriebsgröße beträgt 1,5 ha.


1986 erfroren, aus dem Stumpf neu ausgetrieben
 
Italienisches Olivenöl gilt als das beste der Welt. Doch sein guter Ruf hat in den letzten Jahren schwer gelitten. Nur ein Drittel des olio extra vergine d‘oliva, das in Italien verbraucht oder exportiert wird, ist auch dort gewachsen. Wie kam es zu dieser wundersamen Ölvermehrung? Bis 2008 war es in Italien legal, aus importierten Oliven „italienisches“ Öl zu pressen. Das ist heute verboten, doch gelangen immer noch große Mengen importierter Öle letztlich als italienische in den Handel. Diese Öle sind oft von sehr schlechter Qualität. Ein kalabresischer Ölproduzent spricht von den 6 Millionen Zentnern Oliven, die auf tunesischen und türkischen Schiffen die italienischen Küsten erreichen: Schiffe mit Sonnenblumenöl, Haselnussöl, chemisch extrahiertem Oliventrestern, gefärbt mit synthetischem Chlorophyll. Es fehlt an ausreichenden Kontrollen.

Doch auch die europäische Union macht es Ölpanschern leicht, minderwertiges Olivenöl in den Handel zu bringen. So ist 0,8 % Säure im Öl erlaubt. Öl-Biobauer Alessandro Damiani sagt: "Meine frisch geernteten Olivenöle haben ein Zehntel und weniger dieser Werte. Kein wirklich frisch gepresstes Olivenöl hat so schlechte Werte, wie die Europäischen Normen erlauben. Das sind Normen, die wie die Gebrauchsanweisung zum Panschen aussehen."

Der in Ligurien lebende Journalist Tom Mueller, ein Olivenöl - Aficionado, deckte in seinem Buch Extravirginity Fälschungen und Panschereien in großem Stil auf. Hohe Nachfrage, hohe Preise, wenig Produktion – die Fälschung von Olivenöl ist zu einem Millionengeschäft geworden. 2005 schon deckten die Carabinieri einen großen Fälscherring auf, 2014 dann den Skandal der Azienda Olivicola Valdipesa.

Ein gutes Olivenöl zu finden ist nicht leicht: Billige Öle sind schlecht, aber nicht alle teuren Öle sind gut. Wer nicht gerade den Olivenbauern seines Vertrauens hat (und wer hat schon einen), muss sich informieren: im Netz, beim Händler und mit der sorgfältigen Lektüre des Kleingedruckten auf dem Etikett.
 

Diesen Artikel über den Ölbaum habe ich, leicht verändertt, meinem Buch entnommen:

„Toskana – Wein, Kastanien, Hirten, Herren. Vom Werden der Landschaft.“
 
 

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