Sonntag, 15. Mai 2011

Löwenzahn

Pflanze des Monats Mai


Löwenzahn (Taraxacum officinale)


Der Löwenzahn gehört zu den bekanntesten Blumen. 10 bis 20 cm hoch wird der im Inneren mit Milchsaft gefüllte Stängel. Die buchtig gezähnten Blätter entspringen einer Grundrosette am Boden. Die Blüte ist eine Scheinblüte; viele einzelne Zungenblüten (die kleinen „Röhren“) sind zu einem Blütenkörbchen zusammengefasst. Bei Nacht oder Regen schließt sich der Blütenstand. Nach der Blüte entsteht die „Pusteblume“, die die einzelnen Schirmchen entlässt, an denen je ein Samen hängt.

Odel vernichtet


Was "Odel" ist? In Bayern und Teilen Österreichs nennt man so die Gülle. Das Wort Odel kommt aus dem althochdeutschen Atum, der Atem. Es ist der Odel, der einem den Odem verschlägt.




Löwenzahn liebt Stickstoff




Der Anblick einer blühenden Löwenzahnwiese mag einen unbefangenen Beobachter in Verzückung geraten lassen. In Wirklichkeit ist er das Symptom für eine ökologische Katastrophe: für die gravierende Überdüngung ganzer Landschaften mit Gülle.

Gülle ist eine flüssige Mischung aus Tierkot, Harn und Einstreu. Im Frühjahr, wenn der Odelwagen hinter dem Haus auffährt und seine Fracht großflächig versprüht, eilen Hausfrauen, ihre Wäsche von der Leine zu holen: der Odel ist der Verursacher der sprichwörtlichen „guten Landluft“.

In der traditionellen Grünlandwirtschaft waren die Kühe im Sommer auf der Alm oder auf den Weiden; mit dem Heu der Talwiesen kam das Vieh über den Winter. Die Talwiesen rings um den Hof wurden nur mit Stallmist gedüngt; es gab zwei, selten drei Grasschnitte im Jahr. Für die gibt es traditionelle Namen: Heu für den ersten, Grummet für den zweiten und – weniger bekannt – Pofel für den dritten Schnitt.

Die nicht oder nur mit Stallmist gedüngten Grünflächen waren die archetypischen „Wiesen“ unserer Kindheit, mit Margerite, Wiesensalbei, Lichtnelke, Schafgarbe, Glockenblume. 40 bis 45 Pflanzenarten kamen da zusammen. Nährstoffarme Magerwiesen kommen auf bis zu 80 Arten. Bei den Nährstoffen gilt: weniger ist mehr. Auf dem Bauernhof herrschte ein annähernd geschlossener Nährstoffkreislauf. Was die Kuh im Stall fraß, kam von den Wiesen, was aus der Kuh hinten rauskam, ging auf die Wiesen zurück.

Seit einigen Jahren hat sich die Landwirtschaft stark gewandelt. Durch die ökonomischen Rahmenbedingugen und durch die Subventionspolitik der EU getrieben, sind die Bauern der Alpen gezwungen, mehr zu produzieren, Kühe mit immer höherer Milchleistung zu halten. Die können mit den überdimensionierten Eutern und schwachen Gelenken kaum gehen. Das hofeigene Futter reicht bei weitem nicht aus. Ihre hohe Milchleistung erbringen sie durch Kraftfutter, das die Bauern zukaufen. Das ist vor allem südamerikanische Soja, im Zweifelsfall auf gerodeten Regenwaldflächen gewonnen und gentechnisch verändert. Da ist es schnell vorbei mit dem stolzen: „Gentechnik? Nicht bei uns“.


Mit dem zugekauften Kraftfutter ist der geschlossene Nährstoffkreislauf aufgebrochen:  Nährstoffe von außen kommen in die Kuh und damit auch auf die Wiese. Die Bauern wissen oft nicht mehr wohin mit der Gülle – der Botaniker Helmut Wittmann (s.unten) sagt: „Die Gülle wird nur noch in die Landschaft entsorgt.“ Besonders die Überdüngung mit Stickstoff aus der Gülle ist ein Problem. Stickstoff ist normalerweise knapp in den Böden – wenn viel davon auf die Wiese kommt, treibt er das Pflanzenwachstum. Auf diesen Flächen sind stickstoffliebende Pflanzen die Gewinner. Löwenzahn ist besonders stickstoffliebend, er verdrängt auf den Flächen fast alle anderen Pflanzen. Zusammen mit ihm treten noch Scharfer Hahnenfuß und Bibernelle massenhaft auf. Der Löwenzahn steht also für überdüngte, artenarme Fettwiesen. Überdüngte Wiesen belasten auch die Gewässer durch ausgewaschenen Stickstoff.

Es gibt aber keinen Grund für ein Bauern–Bashing. Bauern unterliegen großen Zwängen, kämpfen gegen Weltmarktpreise und gegen die Konkurrenz der Großbauern der Ebene. Vielleicht bringt eine Neuordnung der EU-Landwirtschaftspolitik ab 2013 hier Neues.


Mittlerweile dreht der Wiesen-Wahnsinn schon eine neue, subventionsgetriebene Runde: um Energiepflanzen für Biogasanlagen und "Bio"-Sprit zu haben, pflügen immer mehr Bauern ihre Fettwiesen unter und bauen Mais an. Was der Löwenzahn in der Wiese, ist der Mais im Acker: äußerst stickstoffhungrig. Außerdem wird die Ackerkrume leicht weggeschwemmt, weil die flachwurzelnde Maispflanze den Boden nicht festhalten kann.


Albtraum der Taxonomen


Was das jetzt wieder heißt? Taxonomen sind jene Wissenschaftler, die Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Bakterien, Pilze) mit ihrem zweiteiligen wissenschaftlichen Namen benennen. Dieser Namen zeigt auch die Verwandtschaftsverhältnisse der Organismen untereinander.


Die Einteilung der Pflanzen und Tiere, ihre Verwandtschaft untereinander, hat die Menschen über Jahrtausende beschäftigt. Aristoteles sann schon vor über 2000 Jahren darüber nach. Die heute noch gültige Lösung fand vor 200 Jahren der geniale Schwede Carl von Linné. Er klassifizierte Pflanzen und Tiere nach ihren Geschlechtsorganen und damit nach ihrer Fruchtbarkeit untereinander. Er erfand das binominale System: der Name eines Organismus besteht aus zwei Teilen, dem Gattungs- und dem Artnamen.Taraxacum ist der Gattungsname, officinalis der Artname des Löwenzahns. Den Gattungsnamen Taraxacum tragen auch seine engsten Verwandten, zum Beispiel die Gletscher-Kuhblume Taraxacum glaciale.
„Das ist eine schwierige Verwandtschaft“. Diese Aussage tätigte Helmut Wittmann, Botaniker im Haus der Natur in Salzburg öfter auf einem Bergblumenseminar in den Hohen Tauern, an dem ich teilnahm. Die Rede war von Pflanzen, die sich nur schwer klassifizieren lassen, die Unterarten, geographische Ausprägungen, ungeschlechtliche Ableger wie Zwiebeln, Erdsprosse, oder „Kindeln“ bilden.
Bei manchen Pflanzen würde man meinen, sie würden sich nur deshalb so unübersichtlich verhalten, um die Botaniker zur Verzweiflung zu treiben. Ganz arg treibt es – man staune – unser Löwenzahn. In den Bestimmungsbüchern heißt es zu ihm lapidar: „Umfasst viele sehr ähnliche Arten,“ oder „schwierige und formenreiche Gruppe“. „Nach der 147. Unterteilung haben wir aufgegeben“, sagt Helmut Wittmann. Der langweilige Löwenzahn hat also erstaunliche Facetten.


Bei oberflächlicher Betrachtung unterscheidet man nur wenige Formen, zum Beispiel den größeren Löwenzahn der Fettwiesen vom kleineren Typus der trockenen Standorte. Spezialisten unterscheiden hingegen bis an die 150 Kleinarten, die sich sehr ähnlich sind und trotzdem ihre genetischen Unterschiede unverändert vererben. Der Grund dafür liegt in einer besonderen Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, die beim Löwenzahn neben der „normalen“ geschlechtlichen häufig vorkommt. Die wird Apomixie genannt. Hier entwickeln sich die Samen aus der weiblichen Eizelle, die nicht von Pollen befruchtet werden. Die Samen sind mit der Mutterpflanze genetisch identisch. Es bilden sich örtlich gut angepasste Formen, die diese vielen Kleinarten ausmachen. Die sind in sog. Sektionen zusammengefasst, die Ruderalia, Borealia oder Spectabilia heißen.


Doch sollen uns solche Feinheiten nicht weiter berühren. Betrachten wir die Löwenzahnwiesen weiterhin mit einer Mischung aus Faszination und Grauen!