Freitag, 17. Mai 2019

Zistrosen

Letzten Winter regnete es im Mittelmeerraum sehr stark – jetzt sind die (Stau)-seen voll, die Quellen sprudeln. Auch auf Kreta grünt und blüht es, die sonst ausgedörrten braunen Hänge leuchten frischgrün und sind von einem Blütenmeer bedeckt. Die spektakulären Zistrosen stehen in voller Pracht – kniehohe Sträucher mit großen weißen oder lila Blüten und kleinen immergrünen Blättern. Zistrosen sind haute couture: die gekrinkelteTextur der zarten Blütenblätter, die leuchtenden Farben - wie die schönsten Seiden aus Pariser Ateliers. Auf Kreta begegneten wir kürzlich der weißblühenden Salbeiblättrigen Zistrose (Cistus salviifolius) und der lilafarbenen Kretischen Zistrose (Cistus creticus).
Haute Couture: Kretische Zistrose

Salbeiblättrige Zistrose

Wohlgeruch der Geißböcke

Das ölige Harz der Zistrose, das Ladanum (oder Labdanum, schon seit dem Mittelalter auch fälschlich Laudanum genannt) war seit dem Altertum als Basis für Salben und Medizin begehrt – bei Erkältungen, Durchblutungsstörungen und zur Förderung der Wundheilung. Der Name Ladanum stammt von den Phöniziern; er bedeutet „klebriges Kraut“. Im Sommer scheiden Blätter und Stängel der Zistrosen ein öliges Harz aus, man meint, die Pflanze schwitzt in der Hitze. Dioskurides, Arzt aus der griechischen Antike im 1. Jahrhundert, berichtet von der kuriosen Gewinnung des Ladanums: Hirten trieben Ziegen in das Zistrosen-Dickicht. In Beinhaaren und Ziegenbart blieb das Harz hängen – die Ziegen ernteten also die kostbare Essenz, die Hirten kämmten sie den Ziegen aus Bart und „Hosen“ und verkauften sie.

Erntemaschine für Ladanum

Erntemaschine für Ladanum: das Ladanisterion
 


Erntemenschen bei der Laugenwäsche von Zistrosen

Später durchkämmte man die Zistrosenmacchia mit dem Ladanisterion, einem Rechen, versehen mit langen Lederriemen. Von den Riemen schabte man das Harz mit Messern ab.
Der intensive balsamische Amberduft des Ladanum wurde im letzten Jahrhundert für die französische Parfumherstellung immer wichtiger: Die Duftfabriken in Grasse destillieren seit den zwanziger Jahren Zistrosen aus der Esterel-Region; in Spanien – in Andalusien und der Region um Salamanca – siedet man geschnittene Zistrosenzweige in Kesseln, die eine starke Lauge enthalten. Daraus gewinnt man das Ladanum. Der Schwerpunkt der Ladanumproduktion liegt heute in Spanien und Portugal und nicht mehr in Griechenland. Hauplieferantin für Ladanum ist die Lack-Zistrose, Cistus ladanifer, die nur im westlichen Mittelmeerraum vorkommt und mehr Harz liefert als andere Zistrosen. Strenge Nutzungsbestimmungen sollen eine Übernutzung der Lack-Zistrose dort eindämmen. 
Würstchen des Begehrens - Ladanum
 

Macchia mediterranea
Abholzung, Brände, Ziegenweide bilden die diabolische Triade, die über Jahrtausende zum Niedergang der Wälder im Mittelmeerraum führte. Hauptbaumart war die immergrüne Steineiche, die an vielen Orten nur noch als Strauch vorkommt, in Gärten und Parks aber oft monumentale Bäume bildet. Botaniker sind fasziniert von der äußerst artenreichen sekundären Strauchformation, die aus dem ursprünglichen Wald hervorging, der Macchia („macchia mediterranea“). Sie tritt uns in verschiedenen Degradationsstufen entgegen: Im arbution finden wir noch höhere Bäume wie den Erdbeerbaum (s. Eulenblick vom Dezember 2018), daneben Sträucher wie den phönizischen Wacholder, den Mastixstrauch oder die Baumheide, eine mannshohe Erika, aus deren Wurzelholz Pfeifenköpfe gedreht werden. Die niedrigste Form der Macchia ist die gariga, in Griechenland phrygana genannt. Dort finden wir nur noch schüttere, dornige Sträucher, durchsetzt von Felsboden - Kermeseiche und aromatische Kräutern wie Lavendel, Salbei, Rosmarin, Thymus. Auch die Zistrose gehört hierher.

Die Pflanzen der Macchia wappnen sich mit diversen Anpassungen gegen Hitze, Brand und Ziegenzahn. So hören sie im Sommer zu wachsen auf, die Vegetationsperiode ist während der Regenzeit in Herbst und Winter. Viele werfen ihre Blätter im Sommer ab, blühen im Winter oder Frühjahr, so wie die Zistrose auch. Die Blätter sind oft klein und eingerollt, mit einer Wachsschicht versehen oder mit filzig-silberhaariger Oberfläche, die die Sonnenstrahlung reflektiert und eine windstille Luftschicht ausbildet, die die Verdunstung herabsetzt. Der Duft der Macchia kommt von den ätherischen Ölen, die so viele der Pflanzen ausströmen. Sie bilden in der windstillen Mittagshitze ein kühlendes Luft- und Duftpolster über der Pflanze – einen atmosphärischen Sonnenschirm.

Viele Sträucher der Macchia legen unterirdische Speicher an, Zwiebeln oder verdickte unterirdische Stängelteile („ Rhizome“), um nach Bränden schnell wieder auszutreiben. Ziegen fressen fast alles, doch die langen Dornen und Stacheln mancher Sträucher können auch sie nicht knacken – die Büsche breiten sich aus und bedecken oft ganze Hänge, zum Beispiel die Dornbusch-Wolfsmilch oder die Dornige Bibernelle.

Die Zistrose kämpft mit weiteren harten Bandagen um ihren Platz in der Macchia. So bilden die Wurzelhärchen der Zistrose eine Symbiose mit Pilzen der Gattung Tuber (zur Gattung Tuber gehören auch die Trüffel). Diese Pilze, die Mykhorriza, helfen der Zistrose, Wasser und Mineralien in ihre Wurzeln zu pumpen, was ihr auf den ausgelaugten Böden der Macchia weiterhilft . Die Mykhorriza schleckt dafür am süßen Zucker, den die Zistrosen durch die Photosynthese herstellen. So haben beide etwas von ihrer Zusammenarbeit – das ist ja das, was eine Symbiose auszeichnet. Eine bestimmte Mykorrhiza, Tuber melanosporum, lässt alle anderen Pflanzen außer der Wirtspflanze im Bereich ihres unterirdischen Pilznetzes absterben, indem sie Giftstoffe ausscheidet. Was für eine hinterhältige Waffe, doch der Zistrose kommt sie zugute! Es gibt Versuche, mit Hilfe von Zistrosen Trüffel zu züchten, da sie schneller als andere Wirtspflanzen der Trüffel wie Pinien und Eichen wachsen.

Die Zistrosen haben noch einen Trick, um nach Bränden schnell und bodenbedeckend auszukeimen. Während der Wachstumsperiode entlassen Zistrosen ihre Samen in den Boden, die keimen jedoch nicht aus. Ihre sehr harte Samenschale ist wasserundurchlässig; sie können für Jahrzehnte im Boden ruhen. Die Sträucher bauen also große Samenbanken im Erdreich auf. Wenn es brennt, brechen in den kurzen und heißen Bodenfeuern die Samen auf und keimen aus. Bald bedecken sehr viele Schößlinge der Zistrose den Boden und halten konkurrierende Pflanzen hintan.


In der Macchia: Zistrosen
 
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