Samstag, 17. März 2018

Usambaraveilchen


Kleine Umleitung zur Einleitung

Mit zygomorpher Blüte: Wildform des Usambarveilchens
Werner Bätzing, der bekannte Alpenforscher, betont die Rolle der Alpenstädte für die Zukunft der Alpen. Die mittelgroßen Städte im Inneren des Gebirges und an seinem Nord- und Südrand sollen die wirtschaftliche und kulturelle Marginalisierung des Alpenraums abmildern, in einer Kombination aus regionaler Wertschöpfung, Produktion von Qualitätsprodukten, neuem Tourismus, neuer Mobilität und Vernetzung der Städte untereinander.
Bätzing würde Trento, zu Deutsch Trient, wohl in diese Kategorie von zukunftswichtigen Alpenstädten einreihen. Trient (117.000 Einwohner), Hauptort des Trentino, liegt an der Etsch zwischen Bozen und Verona. Vielen ist das Konzil von Trient (1545 bis 1563) ein Begriff, das die Gegenreformation einleitete. Bis 1918 war Trient Teil Österreich-Ungarns, Hauptort „Welschtirols“. Bekannt sind Bauten aus Mittelalter und Renaissance im alten Zentrum.
Auf einer riesigen Industriebrache am Stadtrand, einer ehemaligen Michelin-Reifenfabrik, entstand in den letzten Jahren ein neues Quartier, konzipiert nach besten ökologischen und städtebaulichen Standards: nachhaltige Energieversorgung, eingeschränkter Verkehr, gemischte Gebäudenutzung mit Wohnungen und Büros, Geschäfte, Restaurants, Spielplätze, Lauben und Bäume. Am Nordende das spektakuläre neue Naturkundemuseum, in Form eines Berggipfels, als Reverenz an die Berge des Trentino - wie die ganze neue Stadt geplant von Renzo Piano.
Spektakulär: das neue Naturkundemuseum in Trient

Ein langer Korridor führt vom Museum in ein Treibhaus mit Pflanzen eines tropischen Bergregenwaldes aus den Udzungwabergen Tanzanias. Gleich hinter dem Eingang leuchten aus einer kleinen Felswand dunkelviolette Blütensterne, die viele von uns eher auf Omas Couchtischchen vermuten würden, als im tropischen Afrika: Usambaraveilchen, die überaus gewöhnlichen, alltäglichen, bescheidenen Topfpflanzen. Ihren Namen haben sie von den Usambarabergen, wie die Udzungwaberge Teil der Eastern Arc Mountains, die sich vom äußersten Südosten Kenias in den Nordosten Tanzanias hinein erstrecken. Von hier traten sie ihre Reise in die Gärtnereien in aller Welt an. Die Wildform des Usambaraveilchens wächst nur in den Eastern Arc Mountains.
 
Eindruck aus aus den Udzungwabergen

Eine Pflanze für kleine Leute, ohne Glamour, nichts zum Angeben – das arme Usambaraveilchen hat ein Spießerimage. Doch das ist völlig unverdient – diese Blümchen wartet mit einer spannenden Geschichte auf.

Kein „Veilchen“

Usambaraveilchen sind, wenig überraschend, keine Veilchen. Sie haben nur die Blütenfarbe mit ihnen gemein. Die Stängel sind niedrig und behaart, die Blüte hat fünf Kelchblätter; auffallend sind die zwei gelben Staubbeutel. Die samtigen behaarten Blätter bilden eine Blattrosette aus; die Pflanze ist ein Flachwurzler. Die Blüten der Wildform sind etwas unregelmäßig geformt, spiegelsymmetrisch(„zygomorph), die Blüten der Kulturformen sind meist symmetrisch. Das Usambaraveilchen wächst in schattigen, feuchten, bemoosten Schluchten.

Hübsch, unempfindlich, preiswert und Erinnerungen an die Kindheit weckend: Nicht umsonst ist das Usambaraveilchen eine der beliebtesten Zimmerpflanzen. Die Wildform hat 11 Unterarten; aus ihnen und der „Mutterpflanze“ Saintpaulia ionantha züchteten Gärtner die vielen Kulturformen. Allein in den Usa – zusammen mit Russland der wichtigste Markt für die Pflanze – gibt es über 2000 Sorten, in Farben von weiß über rosa, hellblau, dunkelblau, lila bis schwarzviolett, mit glatten oder gefransten Blütenblättern, behaarten, glatten, fleischigen, dünnen Blättern, ein-oder zweifarbigen Blüten. Die Zuchtformen sind größer als die Wildform, sie bilden mehr Blüten aus.

Die Pflanzen sind äußerst pflegeleicht und unempfindlich; „dankbar“ – ein altmodisches Wort für unser altmodisches Topfpflänzchen.

Eine von Tausenden Kulturformen

„Aus Afrika“

Bei ihrem Anblick im Treibhaus des Museums in Trient fiel mir ein, dass ich als Kind gehört hatte, das Usambaraveilchen stamme „aus Afrika“. Fragt sich, wie es aus Afrika ausgewandert ist. Die Antwortet ist, wenig überraschend: Kolonialismus.

Die Usambaraberge bestehen aus uraltem, 600 Millionen Jahre altem Gestein, mit steilen Hängen und tiefen Klüften. Sie sind in ein Ost- und ein größeres Westgebirge geteilt. Die Nähe zum Indischen Ozean beschert ihnen hohe Niederschläge (bis 2.000 mm/Jahr). Der ozeanische Einfluss milderte trockene und kalte Perioden während der Eiszeiten. Auch heute sind die Usambaraberge viel nasser als andere Gegenden auf demselben Breitengrad. Durch diese Klimakonstanz sind die Wälder der Usambaraberge seit 30 Millionen Jahren unverändert. Das hat zwei Folgen: Erstens ist der Artenreichtum extrem hoch und zweitens hyperventilieren Biologen vor Begeisterung. Besonders reich sind die Berge an biologisch extrem kostbaren Endemiten, an Pflanzen und Tieren, die nur hier und sonst nirgends auf der Welt vorkommen. Allein 40 Baumarten kommen nur im östlichen Teil des Gebirges vor; Usambara-Uhu, Rote Usambara-Vogelspinne und der Grüne Waldsteigerfrosch leben gut versteckt im Bergnebelwald. Unser Usambaraveilchen gilt als teilendemisch; es kommt ja auch in den anderen Teilen der Eastern Arc Mountains vor.

Von Wilhelmstal nach Herrenhausen

Ab 1895 waren die Usambaraberge Teil Deutsch-Ostafrikas. Im kühlen Bergklima, in dem es keine Malaria gab, legten die deutschen Kolonialherren Farmen, Plantagen und Missionsstationen an. In Wilhelmstal, dem heutigen Lushoto, verbrachten sie ihre Sommerfrische Sie chillten aber nicht nur in der schönen Bergluft, sondern holzten in den Urwäldern, was die Säge hergab. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Tanzania („Tanganjika“) britisches Protektorat. Es wurde munter weitergesägt, bis in die Siebziger Jahre, in denen die Finnen ein Sägewerk betrieben. Sie waren es auch, die erste Initiativen zum Schutz der Wälder starteten. Heute sind 30 % der ursprünglichen Regenwälder erhalten, sehr viele Schutzgebiete sind eingerichtet. Tanzania verfolgt hier wie auch in den berühmten Savannen-Nationalparks wie der Serengeti eine entschlossene Naturschutzpolitik. Wegen der großen Zahl von Endemiten sind die östlichen Usambaraberge seit dem Jahr 2000 als biodiversity hotspot der UNESCO ausgewiesen, als einer von nur 34 auf dem gesamten Planeten.
Wilhelmtal, heute Lushoto, in den Usambarabergen

Touristisch ist das Gebiet wenig erschlossen, doch gibt es Trekkingwege und Programme für Naturliebhaber. Lushoto ist Ausgangspunkt für Ausflüge und naturkundliche Wanderungen in die Usambaraberge. Ein großes Problem ist der Bevölkerungsdruck im Gebiet; die Usambaraberge gehören zu den ärmsten Gebieten Tanzanias. Die Geburtenrate ist mit 4 % doppelt so hoch wie im Rest des Landes.

Das Zeitalter der großen Entdeckungen und des Kolonialismus richtete bei den „Entdeckten“ und Kolonisierten großes Unheil an. Weniger unerfreulich war, dass das Interesse für exotische Pflanzen und Tiere in Europa erwachte, Forscher auf ihren Expeditionen Tausende neuer Arten sammelten, beschrieben und versandten. Die Obsession der Briten für Pflanzen aller Art stammt aus jener Zeit; von George Banks, der mit Captain Cook nach Australien reiste, war auf dieser Seite im Kapitel über die Brotfrucht schon die Rede. Peter Collins war im 18. Jahrhundert Importeur Tausender nordamerikanischer Pflanzen nach England, gesammelt und verschifft von John Bartram. In Deutschland (eigentlich in Preußen) waren es vor allem Vater und Sohn Forster (letzterer mit Cook auf dessen zweiter Reise auf dem Schiff) und natürlich Alexander von Humboldt, die Nachrichten, Proben, Material mitbrachten. Sie bedienten die Neugier auf und das Interesse für fremde Länder, das Studium der belebten und unbelebten Natur im Zeitalter der Aufklärung.

In dieser Tradition stand auch Adalbert Emil Walter Redliffe le Tanneux von St. Paul-Ilaire („Baron Walter“), deutscher Gouverneur des Distrikts Usambara, als er 1882 einige Exemplare und Samen einer unscheinbaren Pflanze in die Heimat sandte. Hermann Wendland, Oberhofgärtner der Herrenhofer Gärten in Hannover bestimmte und beschrieb 1893 die Pflanze, benannte sie wissenschaftlich Saintpaulia zu Ehren des Einsenders. So kam das Usambaraveilchen „aus Afrika“ nach Europa.

Walter von St.Paul-Ilaire, der Namengeber

Die barocken Herrenhäuser Gärten waren mehr als hundert Jahre zuvor der Ort gewesen, in dem Gottfried Wilhelm Leibniz Tausende von Stunden sinnierend und philosophierend verbracht hatte. Die Lehre der „Monaden“ als letzte Elemente der Wirklichkeit ersann er hier. Die Blätter der Hecken, eines den anderen gleich und trotzdem verschieden, erhellten ihm die Vielheit in der Einheit der Natur. Auch hier ein hotspot also, diesmal der europäischen Philosophie.
Herrenhäuser Gärten, in denen sich ....
 
...Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) erging.

 
Abbildungen:
Andrew Evans 1
C:W. Allers 1
Ekenaes 1
andresfib 1
Wildfeuer1
Jens Bludau 1
Herzog Anton Ulrich Museum 1