Freitag, 25. Mai 2018

Europäische Lärche

„A Larch unterm Doch isch a ewige Soch.“

Es gibt Dinge, die kann man nicht nicht wissen. Wie der Eiffelturm aussieht zum Beispiel, oder ein Zebra. Wie eine Birke aussieht, gehört auch zu jedermanns Weltwissen, Alpenbewohner kennen auch die Lärche (Larix decidua), den einzigen europäische Nadelbaum, der sich im Herbst gelb färbt, bevor er seine Nadeln abwirft. Aus mittleren Höhen bis zur Waldgrenze leuchten Lärchen aus den dunkelgrünen Wäldern hervor, bevor sie dann im Spätherbst grau, nackt und kahl dastehen.
Bis 40 m hoch kann der Baum werden; in der Jugend wächst er sehr rasch, im Alter lässt vor allem das Höhenwachstum nach, die Lärche bildet ihre typische knorrige, unregelmäßige Krone aus. Lärchen gehören zu den ältesten Bäumen Eurasiens – die sogenannten Urlärchen aus dem Ultental in Südtirol sind älter als 2000 Jahre. Ich selber habe an einer Lärche an der Waldgrenze im Südtiroler Pfitschtal 700 Jahrringe gezählt. Dieser Baum hatte einen Durchmesser von etwas über 50 cm, war also kein Riese – dafür waren die Jahrringe so eng, dass sie nur im Mikroskop auseinander zu halten waren.
Tiefe starke Wurzeln machen die Lärche widerstandsfähig gegen Stürme. Die rotbraune Borke, von tiefen Rissen durchzogen, wird bis zu 20 cm dick. Die Nadeln sind hellgrün und weich – ihnen fehlt die Wachsschicht, wie sie für Nadelbäume sonst typisch ist. Der Wachsüberzug schützt die Nadeln vor Wasserverlust durch den Frost des Winters („Frosttrocknis“), das braucht die Lärche nicht. Die Nadeln sind 3 bis 4 cm lang; an den Langtrieben am Ende der Zweige stehen sie einzeln; dahinter wachsen sie in Büscheln aus den charakteristischen Knöpfchen, bis zu dreißig oder vierzig Nädelchen.
 
Die sommerliche Modefarbe der Lärche ist hellgrün, die Farbe ihrer Nadeln. Im Frühjahr kombiniert sie das winterliche Grau ihrer Erscheinung mit dem wunderschönen Beerenrot der weiblichen Blüten, aus denen im Herbst die kleinen Zapfen reifen. Die männlichen Blüten ergänzen das Frühjahrskostüm mit dezenten gelben Tupfen, der Farbe des Pollens.
 
Die kleinen Zapfen sitzen auf kurzen, nach oben gebogenen Stielen. Die Lärche ist ein einhäusiger Baum, ein Individuum trägt männliche und weibliche Blüten. Alle fünf bis sechs Jahre sind Blüte und Samenproduktion der Lärche besonders stark – wir haben ein Mastjahr.

Rote weibliche, gelbe männliche Lärchenblüten
 
Weich, hellgrün, gebündelt: Lärchennadeln
 
Unverwechselbar ist die Lärche auch wegen ihrer dicken rotbraunen, rissigen Borke (bis 20 cm dick) und wegen ihres Holzes mit dem dunkelroten Kernholz und dem hellgelben äußeren Splint. Das Lärchenholz gehört zu den härtesten Nadelhölzern, es ist ein gutes Brennholz und durch den hohen Harzgehalt sehr widerstandsfähig gegen Fäulnis. Blockhütten auf Almen, Dachbalken und Dächer aus Lärchenschindeln können Jahrhunderte lang halten: A Larch unterm Doch isch a ewige Soch.
 

Die Lärche wächst in Mischwäldern, vor allem mit Fichte und, in hohen Lagen, mit der Zirbelkiefer. In den Alpen steigt sie bis auf über 2000 m, bildet mit Zirbe und einzelnen Fichten die Waldgrenze. Der wichtigste Faktor für ihre Verbreitung ist ein kontinentales, winterkaltes und sommertrockenes Klima.

Goldener Lärchenherbst im Gebirge
Die Lärche ist sehr „lichthungrig“, wie Botaniker sagen; Schatten und Nebel verträgt sie nicht. Auf nackten Böden, zum Beispiel nach Bränden, in Lawinenbahnen oder auf Windwürfen, tritt sie als Pionierpflanze auf, das heißt, sie besiedelt als erste Rohböden, kann auf den ärmsten Böden Wurzeln schlagen.
Wenn nun viele Lärchensämlinge gleichzeitig aufkommen, bildet sich im Laufe von Jahrzehnten ein reiner Lärchenwald. In so einem Wald ist es für Lärchensämlinge bald zu dunkel, sie können nicht aufkommen. Bei ungestörter Entwicklung wachsen mit der Zeit schattentolerante Arten auf, Fichten und Zirben. Zuletzt haben wir einen Fichtenwald vor uns oder einen Fichten-Zirbenwald, mit wechselnden Anteilen alter Lärchen. Ein reifes Stadium in einem Ökosystem wird Klimaxstadium genannt. Fällt ein solcher Wald Stürmen, Feuer oder Lawinen zum Opfer, beginnt der Zyklus von vorn. Ein solcher, hier idealtypisch nachgezeichneter Zyklus, kann einige Jahrhunderte dauern. Doch greift der Mensch durch die Nutzung der Wälder in diese Entwicklung ein – soll die Lärche gefördert werden, wird durch kräftiges Ausdünnen Licht auf den Boden gebracht, so dass Lärchensamen wieder auskeimen können. Allein in den italienischen Alpen gibt es 360.000 ha reinen Lärchenwald.
 

Wiesenlärche/Lärchenwiese
Hungrig nach Licht ist die Lärche, schattenwerfende Bedränger kann sie gar nicht ab, sie bildet sehr lockere Bestände. Im Frühjahr trägt sie noch keine Nadeln – deshalb gedeihen unter ihrem Schirm lichthungrige Gräser und Kräuter für die Viehweide, oder zur Heugewinnung. Im Herbst düngen die herabfallenden Nadeln den Boden.
 
Wald und Weide zugleich: Lärchenwiese in Südtirol

Die Doppelnutzung von Wald und Weide, die Lärchenwiese, ist wahrscheinlich Jahrtausende alt – in der Schweiz fand man in Mooren Pollen aus der Bronzezeit von Lärchen und Weidepflanzen in der gleichen Schicht. Lärchenwiesen gibt es vor allem auf Hochebenen des Alpenhauptkamms oder der Alpensüdseite, in Südtirol und der Schweiz. Die meisten von ihnen stammen aus dem Mittelalter – der hochmittelalterliche Siedlungsausbau ließ die Bevölkerung wachsen, das Vieh der Bauern drang immer weiter in die Wälder vor. Die Waldweide lichtete den Wald auf, das begünstigte das Aufkommen der Lärche, Gräser und Kräuter wuchsen dem Vieh ins Maul.
Die halboffene Landschaft der Lärchenwiese – strukturell einer Savanne ähnlich – ist ein artenreiches Ökosystem, in dem viele seltene Arten leben: Neuntöter, Ringdrosseln, Baumpieper, auch Orchideen.
 
Zur ökologischen kommt die kulturhistorische Bedeutung dieser Landschaftsform, die durch die bergbäuerliche Arbeit entstanden war. Durch die Aufgabe der Viehweide drohen Lärchenwiesen zu verbuschen, oder durch Nutzungsintensivierung (Düngung, Fällen der Lärchen) seltene Arten zu verschwinden. In Schutzgebieten, wie zum Beispiel dem Naturpark Trudener Horn im äußersten Südwesten Südtirols, versucht man, Lärchenwiesen zu erhalten.


Lörget
„Das Lörget ziecht“, murmelt er vor sich hin, „ziecht alles Gift und alle Unreinigkeit aus dem Geblüet, und das Murmentenschmalz hilft mit, hat alleweil noch geholfen!“
„Der Schmierberlugges“
von Karl Schönherr

 
Dicke Harzkanäle durchziehen das Lärchenholz, seine Holzscheite machen klebrige Finger. Das duftende Harz enthält die Allheilmittel der Volksmedizin, ätherische Öle. Lärchenpech oder „Lörget“ galt als schleimlösend, wassertreibend, durchblutungsfördernd, antiseptisch; es sollte gegen Katarrh, Krämpfe, Geschwüre, Rheuma, Zerrungen wirken. Eine klebrige Salbe aus Lärchenpech, auf Leinen aufgetragen, war das viel gebrauchte Lärchenpflaster. Wichtig war Lörget bei Mensch und Tier auch als Zugsalbe für einen „Schiefer“ (tirolerisch für Splitter).  

In Tirol gibt es den schönen Nachnamen Lörgetbohrer – jener, der Lärchen anbohrt, um Harz zu gewinnen. Auf einer Wanderung im Naturpark Trudener Horn sah ich vor kurzem zum ersten Mal auf einer Lärchenwiese frisch angebohrte Bäume – nahe am Boden die mit einem Spund verschlossenen Bohrlöcher, darüber das Zeichen desjenigen, der die Lizenz zum Bohren hat. Im Bohrloch sammelt sich das Lörget, das Lärchenharz, das nach ein paar Wochen mit einem eisernen Drehstab entfernt wird. Ein Baum gibt an die 300 g Harz im Jahr, höchstens vier Kilogramm. Das Bohren kann das Wachstum des Baumes stören, erst zehn Jahre vor dem Fällen beginnt man deshalb mit dem Bohren.
Das Lörgetbohren ist eine Nutzungsform der Vergangenheit; nur wenige Bäume werden noch angebohrt. Im Naturpark wird es noch gepflegt. In der Vergangenheit war das Harz sehr begehrt und wurde weit gehandelt. Durch Wasserdampfdestillation gewann man Terpentinöl (Trementina di Venezia) als Basis für Lacke und Klebstoffe. 
Lörgetbohrer am Werk

Hinterm Spund das Harz



Lizenz zum Bohren