Samstag, 29. Oktober 2016

Lotus

Lotus
Nelumbo nucifera

 

Der perfekte rosa-weiße Blütenstern ist Sitz und Kindbett von Göttern. Auch essen kann man die Pflanze – die Wurzelknolle, Samen und Sprossen werden in ganz Asien genossen. Und sie ist Symbol dafür, wie aus Schmutz vollkommene Reinheit erwächst, und zwar nicht nur metaphorisch, sondern auch physikalisch, denn kein Staubkorn kann die Lotuspflanze besudeln. Lotusblätter werden weder schmutzig noch nass.

Kindbett von Göttern: die Lotusblüte
 

Der gelbe Nordamerikanische und der weiß-rosa Indische Lotus bilden eine eigene Gattung Nelumbo; im folgenden Beitrag werden wir uns den Indischen Lotus näher anschauen. Lotus und Seerosen werden oft verwechselt. Die Blätter von Seerosen schwimmen auf dem Wasser, die großen runden Blätterpfannen des Lotus schweben darüber. Regen benetzt Seerosenblätter; von den Lotusblättern perlt er ab. Tatsächlich sind Seerosen mit dem Lotus gar nicht enger verwandt – eine der nächsten Verwandten ist z.B. die Platane.
Wasser perlt ab: der Lotuseffekt
Aus asiatischen Sümpfen, Tümpeln, Schlamm und Drecklöchern wächst der Lotus mit zwei oder mehr Meter langen Stängeln aus seiner Wurzelknolle, dem Rhizom, über die Wasserfläche hinaus. Dort entfaltet er seine runden, schildförmigen, bis 60 cm breiten Blätterpfannen und seine rosa-weißen Blütenkelche. Sehr viele Staubbeutel umringen ein zylinderförmiges Fruchtblatt, aus der die große Frucht des Lotus erwächst. Sie hat auf ihrer Breitseite runde Einsenkungen, in denen sich je ein Samen befindet. Jede dieser Senken ist die Kinderstube für eine neue Lotusblume – in der Regenzeit gelangt Wasser in die Löcher; die Samen beginnen zu keimen. Die morsche absterbende Frucht lässt bald den Kopf hängen, bis unter Wasser. Dort entlässt sie die Keimlinge in das schlammige Keimbett, wo sie Wurzeln schlagen und zu einer neuen Pflanze heranwachsen. Die Lotusblume ist unkompliziert in ihrer Fortpflanzung; außer aus den Samen wachsen auch aus Bruchstücken des unterirdischen Rhizoms ganze neue Pflanzen heran.
Große Blätterpfannen des Lotus

Das natürliche Verbreitungsgebiet des Lotus umfasst große Teile Asiens: China, Japan, Indien und Südostasien. In Europa findet man sie in botanischen Gärten; in Mitteleuropa auch im Freien; das Rhizom ist recht winterhart und keimt im Frühjahr wieder aus, während der oberirdische Teil des Lotus im Herbst abstirbt. Das passt gut zum Befund der Wissenschaft, wonach Lotus Kälte gut verträgt, weil die ursprüngliche Heimat des Lotus die großen Gebirge Asiens sind. Wenn er auch Wärme nicht unbedingt braucht, ist er doch äußerst lichthungrig.
In manchen Gegenden Australiens und Europas hat sich der Lotus im Freiland ausgebreitet; in Italien findet er sich zum Beispiel in drei flachen Seen, die Mantua in der Poebene umgeben.
Lotusfrucht mit Keimlingen; vor und nach dem Fall in das Keimbett im Wasser
 
Geboren in einem Dreckloch, sich erhebend aus dem Sumpf, aufsteigend gegen den Himmel – diese Pflanze musste zum Symbol für Transzendenz werden. Und das tat sie auch gleich in zwei Weltreligionen: im Buddhismus und Hinduismus.
Om mani padme hum – o Kleinod im Lotus: In der Vorstellung der Buddhisten ist Buddha ohne den Lotus nicht denkbar. Der Legende nach ist Buddha aus einer Lotusblüte geboren – er ist das Kleinod im Lotus. Auf unzähligen Abbildungen thront Buddha auf einer halboffenen Lotusblüte, dem Symbol für das erwachende Bewusstsein. Buddha, der Erleuchtete bewacht dieses Erwachen. Der Weg des Buddhisten ist der aus dem Schmutz der verderbten Welt in die Reinheit des Nirwana. Was für ein passenderes Symbol als den Lotus gäbe es dafür?

O Kleinod im Lotus

Im Hinduismus steht die vollkommene Symmetrie der Lotusblüte für die Vollkommenheit des Universums. Ebenso ist Lotus Symbol der ganzen Schöpfung: Brahma, der Schöpfergott wurde aus einem Lotus geboren, der aus dem Nabel Vishnus erwächst. Somit entsteht das ganze Universum aus dem Lotus, mit dem Stängel, der sich aus dem Urmeer erhebt, als Weltenachse.
Im hinduistischen Götterhimmel steht der Lotus für Götter und mythologische Wesen: Der rote Lotus ist Symbol für die Göttin des Glücks Sri Lakshmi; sie wird oft mit weißen Elefanten dargestellt, den Glücksbringern par excellence. Im Yoga kennen wir den Lotussitz; Lotus begegnet uns in unzähligen Darstellungen in Tempeln und Pagoden. So ist das Dach des Taj Mahal eine umgekehrte; der moderne Baha’i Tempel in Neu Delhi eine sich öffnende Lotusblüte.

Und wie – wer war’s noch gleich –schon sagte: “Religion ist Lotus für das Volk“.
Lakshmi, die indische Glücksgöttin: Religion ist Lotus für das Volk

Baha'i Tempel in New Delhi - ein sich öffnender Lotus
Porzellan, Edelstahl, Glas – überall im Haus, wo es besonders sauber sein soll, sind die Oberflächen glatt. Deshalb ging Wilhelm Barthlott (70), Botanikprofessor und Direktor des botanischen Gartens in Bonn, der Frage nach, warum Blätter mit glatten Oberflächen leicht schmutzig werden, samtig-rauhe wie jene des Lotus aber ohne Makel bleiben: Erde, Staub, Honig, Klebstoff (wahr!) – alles perlt restlos ab. Barthlott legte Lotusblätter unters Elektronenmikroskop und siehe da: Millionen von winzigen Wachspapillen bedeckten die Blattoberfläche*.
Diese Papillen machen die Blattoberfläche, die Kutikula super-wasserabstoßend. Das hat mit den Eigenschaften des Wassers selbst zu tun: Seine hohe Oberflächenspannung zwingt es, sich zu Kügelchen zusammenzuziehen; auf den wächsernen kleinen Noppen des Lotusblatt liegen die Wassertropfen nur mit ein oder zwei Prozent ihrer Oberfläche auf – das Blatt wird praktisch nicht benetzt. Auch Schmutzteilchen liegen locker auf den Wachspapillen auf. Schmutz haftet besser am Wasser als an der Oberfläche des Blattes – Wasser perlt ab und nimmt die Schmutzteilchen mit; das Lotusblatt bleibt ohne Makel.

 

"Der Lotuseffekt existiert nur in der Phantasie der Autoren"
Die Befunde Professor Barthlotts sind kontraintuitiv – rauh ist sauberer als glatt. Als Barthlott in den 70er Jahren seine Ergebnisste veröffentlichen wollte, schrieb einer der Gutachter: „Der Lotuseffekt existiert nur in der Phantasie der Autoren“. Neuheiten haben es oft schwer, sich durchzusetzen. Inzwischen ist der Name geschützt – Lotuseffect ist ein eingetragenes Markenzeichen. Heute gibt es verschiedene technische Anwendungen des Lotuseffekts: Pfannen mit Mikrobeschichtung, auf denen nichts anbrennt, wartungsfreie Glasoberflächen, der Wandanstrich „Lotusan“, der Wände frei von Schmutz, Schimmel und Ruß hält.
Unbeschmutzbar durch Lotuseffekt
 
Ein Problem scheint zu sein, dass die Lotusbeschichtung gegen Abrieb empfindlich ist. Da hat es die Lotuspflanze besser; ihre Wachspapillen wachsen ständig nach.
 
Der Herbst ist Grünkohlzeit. Koch W. will es nicht gelingen, Grünkohlblätter zu waschen, sie wollen nicht nass werden. Doch ist das gar nicht nötig: Die Blätter des Grünkohls arbeiten ebenso mit dem Lotuseffekt; Schmutz perlt einfach ab. So ist es auch bei Kapuzinerkresse und bei vielen Insektenflügeln, deren Sauberkeit für die Flugeigenschaften eines Tieres überlebenswichtig sein können.

*10-20 micron hoch, 10-15 mikron auseinander stehend; 1 Mikron = 1 Tausendstel Millimeter
hier ein Video zum Lotuseffekt:
 
Bilder:
A.Schneider 3
Shin 1
Hdamm 1
A.Savin Wiki Photo Space 1
Xyzx124 1
Christophpostel.de 1
Mukki1
W. Barthlott1
Unbekannt/Gemeinfrei 1
 



 

 
 

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