Samstag, 10. September 2016

Drüsiges Springkraut, Indisches Springkraut


Impatiens glandulifera

Jetzt im Spätsommer ziehen sie wieder alle Blicke auf sich, die hochgewachsenen Gruppen – bis zwei Meter – des Drüsigen (Indischen) Springkrauts. Sie stehen auf feuchten Böden, in Auen, an Waldrändern, auf Brachen. Dort sind sie Bestandteil der Ruderalflora, manchmal vergesellschaftet mit der Ackerkratzdistel, die wir letztes Mal kennengelernt haben.


Ganz schön auffällig!

Warum indisch oder drüsig, warum „Spring“-Kraut? Nun, die Pflanze kam im 19. Jahrhundert aus dem Himalaya („Indien“) nach Mitteleuropa; an den Blattstielen sitzen kleine gestielte Drüsen; die Samen „springen“ aus den aufplatzenden Samenkapseln.

Das Drüsige Springkraut wurde 1837 erstmals in Gärten in Dresden ausgesät. Seine Blüten stehen in lockeren Trauben am Stängel. Die Farbe changiert von rot über rosa zu weiß. Die Blüten haben nur eine Symmetrieebene; wenn man sie der Länge nach durchschneidet, stehen die beiden Hälften spiegelbildlich zueinander. Darin ähneln sie Orchideenblüten – „Bauernorchidee“ ist ein volkstümlicher Name des Springkrauts. Ein anderer ist „Balsamine“ – wegen des starken Dufts und ihrer Zugehörigkeit zur Familie der Balsaminengewächse.

Bauernorchidee

Die Samen reifen in keulenförmigen Früchten heran; die platzen bei geringster Erschütterung oder auch spontan auf und schleudern die Samen bis zu sieben Meter weit fort. So flogen die Balsaminen auch aus den sächsischen Hausgärten in die Freiheit. Die Ausbreitung des Drüsigen Springkrauts über ganz Europa hatte begonnen.
Explosionsgefahr! Keulenförmige Samenkapsel


Es hat peng gemacht!

 
Die Blüten bilden einen aufgeblähten Helm, der in einem kurzen Sporn endet. Dort befindet sich reichlich Nektar, vierzig Mal mehr als in einer vergleichbar großen heimischen Blüte. Klar, dass das Bienen und Hummeln schmeckt. Auch Imker trugen deshalb zur Ausbreitung des Springkrauts bei. Die Blüten riechen stark, manche meinen sogar, sie stinken. Der rote Stängel der Pflanze ist sehr kräftig, keine heimische Pflanze steht auf solchen Säulen.

Wo ist der Nektar? Blütenhelm mit Sporn
 
Nicht jeder ruht auf solchen Säulen
Das Drüsige Springkraut lebt nur ein Jahr. Mit dem ersten Frost ist alles vorbei. Die Pflanze hat keine Blattrosetten oder unterirdischen Organe, aus denen sie wieder auskeimen könnte, wie zum Beispiel die Ackerkratzdistel oder der Löwenzahn. Da hilft nur, kräftig für Nachwuchs zu sorgen – und das tut das Springkraut: Eine einzelne Pflanze kann Hunderte von Samen (bis zu 1.000) produzieren. Unter einer dichtbewachsenen Fläche fanden sich über 30.000 Samen auf dem Quadratmeter.


Samen-Massenproduktion

Für Biologen stellt das Jahr 1492 eine Zäsur dar. Mit der Landung Kolumbus‘ auf Hispaniola begann die Ära des „Kolumbischen Austauschs“ – der Verfrachtung von Organismen von Amerika nach Europa, Asien, Afrika und umgekehrt. Später geschah ähnliches auch in Tasmanien, Neuseeland und Australien – berühmt sind dort die verwilderten Hunde, Kamele und Ratten und vor allem die Kaninchen. Doch nicht alle neuen Arten verändern ihre neue Umwelt merklich negativ, die meisten sterben bald wieder aus. Andere siedeln sich unauffällig an, wie zum Beispiel der Regenwurm, der in Nordamerika während der letzten Eiszeit ausgestorben war und nach 1500, als blinder Passagier mit den Schiffen der Einwanderer kommend, zur Neueroberung des Kontinents aufbrach. Im Deutschen heißen Neuankömmlinge zusammengenommen Neobiota, neue Pflanzen heißen Neophyten, neue Tiere Neozooen. Angelsächsisch heißen sie alle zusammen einfach Aliens.
In reifen Ökosystemen haben Hereindrängende wenig Chancen; Pflanzenfresser, Fleischfresser, Zersetzer wie Pilze und Bakterien, licht- und schattenhungrige Pflanzen, pflanzliche und tierische Parasiten – alle haben sich eingenischt (sorry, das ist Biologen-Sprech) und lassen so schnell niemand Fremden aufkommen. Anders sieht es auf Ruderalflächen aus: Auf Aufschüttungen, neu ausgehobenen Gräben und Brachen können lichthungrige, schnellwachsende Aliens sich ungehindert ausbreiten. Manche von ihnen keimen aus kleinsten Pflanzenfragmenten zu vollständigen neuen Pflanzen aus, wie zum Beispiel der Japanische Knöterich, der in den letzten Jahren Bach- und Flussufer überwuchert. In einer BBC-Dokumentation über weeds – Unkräuter – belegte der Japanische Knöterich im Ranking der „bösen“ Aliens den ersten Platz, vor dem Sommerflieder, der als Futterstrauch für Schmetterlinge in Gärten immer beliebter wird und sich von dort im Freiland ausbreitet.
Auf Ruderalflächen lässt es sich gut ausbreiten!
Man schätzt, dass in reifen, stabilen Ökosystemen 5 % der Arten Neobiota sind. Auf Ruderalflächen jedoch machen Neophyten etwa 30 % aus. Hier wächst auch die Kanadische Goldrute, als aggressiver Neuankömmling inzwischen ziemlich gefürchtet.

„Das Drüsige Springkraut verdrängt einheimische Pflanzen“: Wenn eine so auffällige Art Jahr für Jahr auf – zumindest gefühlt – immer größeren Flächen aufwächst, werden Naturschützer schon mal unruhig. Doch ist dieser Alien wirklich gefährlich für die heimische Flora?
Sind keine guten Studien vorhanden – und manchmal sogar dann – hängt die Bewertung eines neu auftretenden ökologischen Problems oft davon ab, wie Beobachter die Welt ganz allgemein sehen: pessimistisch, optimistisch, alarmistisch, realistisch, moralistisch.

Auch im Fall unseres Springkrauts gehen die Meinungen auseinander. So liest man, dass Bienen und Hummeln heimische Pflanzen vernachlässigen sollen, weil sie sich schon am üppigen Nektarbüffet des Springkrauts vollgefressen haben. Es scheint aber keine zuverlässigen Studien dazu zu geben.

Gute Daten zum Konkurrenzverhalten des Drüsigen Springkrauts liefert das Bayerische Landesamt für Land- und Forstwirtschaft von Versuchsflächen im Alpenvorland. Danach beschattet es den Boden nicht so sehr, dass das Aufkommen von Jungbäumen behindert würde. Wenn man in einen Bestand des Springkrauts geht, sieht man tatsächlich, dass die Pflanzen ziemlich locker stehen und viel Licht auf den Boden lassen. Wenn man dazu bedenkt, dass die Bekämpfung des Springkrauts einfach ist – Mahd vor der Blüte über einige Jahre (wenn auch die letzten Samen im Boden abgestorben sind), scheint von ihm nur mäßige Gefahr für unsere Ökoysteme auszugehen.
Manche Experten leugnen, dass Neobiota überhaupt Probleme machen könnten. Sie meinen, dass die Wanderung von Organismen ein natürlicher Prozess sei und die Verdrängung von Arten immer vorkomme. Das Problem sei vielmehr die „Xenophobie“ der Neobiota-Pessimisten.

Dazu wieder, wie von einer Eulenblick-Stammleserin gewünscht, eine kleine Polemik:

Pauschale Aussagen sind beim Problem Neobiota – wie auch sonst im Leben – problematisch. Australien, Tasmanien, Neuseeland und viele Inseln in Pazifik und Indischem Ozean schlagen sich seit Jahrhunderten mit eingeschleppten Organismen herum. Andererseits stimmt auch, dass bei diesem Thema die Alarmsirenen oft sehr früh losgehen und besonders laut heulen.

Doch das eigentliche Problem hier ist in meinen Augen ein anderes, nämlich der leichtfertige Umgang mit dem Xenophobie-Begriff. Xenophobie ist etwas anderes als der Wunsch nach Bekämpfung von Neobiota. Es ist ein Unterschied, ob Naturschützer (auch im Übereifer) mit dem Flammenwerfer auf Kanadische Goldruten losgehen oder ob Asylbewerber bedroht werden. Mit dem nivellierenden Gebrauch des Xenophobie-Vorwurfs werden Rassismus und Ausländerhass verharmlost. Man sollte hier argumentativ abrüsten – und sei es noch so schön, den moralischen Zeigefinger auf die spießigen Blümchenschützer zu richten.
Fotos:
Angelika Schneider
wikipedia (2):
Impatiens_glandulifera_-_plants_(aka)
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