Montag, 30. Mai 2016

Wolliger Schnellball


Wolliger Schneeball
Viburnum lantana

Eduard und Ottilie wagten nicht, bei diesen Worten einander anzusehen, ob sie gleich nahe gegen einander über standen.
Die Wahlverwandtschaften. Goethe. 1809
Fell und Leder gegen die Kälte, ein Grasumhang gegen den Regen, ein Rucksack mit Proviant, Zunderschwamm zum Feuermachen, ein Dolch aus Feuerstein, eine Axt aus Kupfer – an der Ausrüstung lag es nicht, dass der Mann auf über 3000 m Meereshöhe zu Tode kam. Die Waffen waren das Problem: Der Bogen aus Eibenholz war nicht fertig geschnitzt, von den zwölf Pfeilen im Köcher waren erst zwei mit Pfeilspitze und Federn versehen. Als sein Mörder kam, war Ötzi unbewaffnet.

Achtzehn verschiedene Hölzer waren in seinen Habseligkeiten verarbeitet, darunter Lärche, Haselnuss, Hartriegel, Linde und Birke. Ihre differenzierte Verwendung zeugt vom Erfahrungswissen des Mannes vom Hauslabjoch, von der intimen Kenntnis seiner Umwelt, dem souveränen Umgang mit den Materialien. Für den Bogen hatte er Eibe verwendet, für die Pfeilschäfte unsere Pflanze des Monats, den Wolligen Schneeballs.

Aus Wolligem Schneeball: Ötzis Pfeile


Der Wollige Schneeball bildet vom Boden weg sehr viele Schößlinge. Mit zwei oder drei Jahren haben  diese Stämmchen den richtigen Durchmesser für Pfeile; das Holz ist sehr zäh und elastisch, dabei formstabil und reißfest. Nach 5000 Jahren sind Schneeball und Eibe in der Bogenbauerszene noch genauso aktuell wie damals. Natürlich waren auch die furchtbarsten Waffen des Mittelalters, die englischen Langbögen, aus Eibe geschnitzt.

Weißblühende Sträucher können bei botanischen Laien Verwirrung stiften – zu viele sind es und zu ähnlich sehen sie sich. Deshalb versprach ich der werten Leserschaft, jedes Jahr im Frühling einen davon vorzustellen. Vor dem Wolligen Schneeball waren schon Traubenkirsche (Mai 2015) und Weißdorn (Mai 2012) dran.

Der Wollige Schneeball wächst gerne an Waldrändern, denn schön sonnig muss er es haben. Auch beim Boden gibt er sich preziös; der soll recht fett sein, mit genügend Lehm und Kalk.
...schön sonnig muss er es haben
„Wollig“ ist beim Wolligen Schneeball die Unterseite seiner eiförmigen Blätter, die am Zweig „gegen einander über“ stehen, wie Goethe es elegant formulierte. Botaniker nennen eine solche Anordnung „gegenständig“. In den Wahlverwandtschaften war es von "gegen einander über" zu "durcheinander" ein kurzer Weg, doch ist das ein anderes Thema.
Wollige Unterseite.....
 
....gegenständiger Blätter


Die Knospen weisen eine Besonderheit auf. Sie sind nicht, wie bei den meisten Sträuchern, von Knospenschuppen umgeben, sondern von nicht fertig ausgebildeten Laubblättern, die im folgenden Frühjahr auswachsen.

Seltsame Knospe....
Sehr auffällig – nicht nur für Menschenaugen, sondern auch für bestäubende Insekten, sind die Blütenstände, sogenannte Schirmrispen. Was das ist? Na, das:
Schirmrispe macht Schaublüte
Eine solche Rispe besteht aus sehr vielen Einzelblüten, die zusammengenommen Schaufunktion haben und Insekten effektiver anlocken als eine kleine Einzelblüte. So einer Funktion von Blütenständen sind wir bei Löwenzahn, Gänseblümchen oder Edelweiß schon begegnet.
Schön auffällig, diese Blütenrispen
Die Blüten duften stark, Bestäuber kommen gerne angeflogen. Mit der Verbreitung hapert es aber: Vögel nehmen die Beeren nur, wenn sie gar nichts anderes mehr finden. Spät im Winter hängen die Beeren oft noch an den Zweigen. Wahrscheinlich schmecken sie den Vögeln nicht, sind zu bitter. Einen Trick hat der Wollige Schneeball aber: Die Beeren reifen nicht alle auf einmal, sodass reife schwarze neben unreifen roten und grünen stehen. Dieses Farbenterzett sollte einer Drossel oder einem Star schon einmal gefallen.

Farbenterzett der Beeren lockt Vögel an
Der andere Schneeball unserer Breiten, der Gewöhnliche Schneeball (Viburnum opulus) umgibt seinen Blütenstand mit großen sterilen Schaublüten. Die ziehen alle Blicke auf sich, wie man an sich selbst auf Streifzügen in Wald und Flur feststellen kann. Auf die Spitze treibt diese ästhetische Maßlosigkeit die Gartenform des Gewöhnlichen Schneeballs. Sie weist nur noch noch sterile Blüten auf.

Nur gut zum Angeben: die sterilen Schaublüten des Gemeinen Schneeballs
Hier ist alles steril: Gartenform des Gemeinen Schneeballs
Die beiden Schneebälle kann man auch leicht an den Blättern unterscheiden – die des Gewöhnlichen erinnern an kleine Ahornblätter. Und auch sie stehen „gegen einander über“.

gegen einander über





Fotos:
Angelika Schneider
Südtiroler Archäologiemuseum 1. v. oben
Tigerente 8. v. oben

 

 

 

 

 

 


 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen