Montag, 10. Januar 2011

Bartflechte


In der kalten Jahreszeit, wenn Blumen und Bäume ihre Blüten- und Blätterpracht verloren haben, können auch unscheinbarere Lebewesen unseren Blick fesseln. Beim Rodeln oder Schifahren an schönen Wintertagen fällt uns dann ein sonst unbeachtetes, seltsames Gebilde auf, das auf den ersten Blick gar nicht wie eine Pflanze aussieht.

Bartflechte (Usnea barbata)

 oder Baumbart heißt die Flechte, die in zottigen Strähnen von Bäumen herabhängt, in bis zu 30 cm langen gelbgrünen "Bärten". Es ist offensichtlich, woher der Baumbart seinen Namen hat. Er wächst im Gebirge in sauberer Luft, braucht hohe Luftfeuchtigkeit in Form von Regen oder Nebel. Er wächst auf Birken, Fichten oder Lärchen. Der Baumbart ist kein Parasit seiner Herbergsbäume, er sitzt auf der Rinde auf, dringt aber nicht in den Baum ein. 

Klar, woher er seinen Namen hat..





















  
Bergsteiger wissen es: wenn sie über Wald und Almen hinaussteigen, sich den Gletschern nähern, sind die höchsten Pflanzen die gelben, schwarzen oder orangen Flechten, die die Felsen wie Krusten überziehen. Flechten wachsen in den unwirtlichsten Gegenden der Erde, in Wüsten, auf den höchsten Berggipfeln, in der Kälte der Arktis, auf nacktem Fels.

In verschiedenen Farben und Gestalten treten sie uns entgegen - krusten - , faden  -,strauch - oder blattförmig, schwarz, weiß, grau, rot, orange, gelb. Flechten können mikroskopisch klein sein, oder in dicken Schichten den Boden kilometerweit bedecken, wie die Rentierflechte, die Nahrungsgrundlage der Rentiere Skandinaviens. Die Rentierflechte gilt als die einzige Flechte von ökonomischer Bedeutung.

Diese seltsamen Pflanzen sind eine Art von Doppelwesen, eine Verbindung aus Pilz und Alge. Der Pilz befindet sich außen, gibt der Flechte die Form. Er nimmt auch den größten Anteil am Flechtenkörper ein. Die Alge befindet sich im Inneren. Die Algen kommen auch als freie Formen vor, also ohne den Pilz, die Pilze aber nicht ohne die Alge. Ungefähr 17.000 Flechtenarten sind bis heute beschrieben.

Warum aber gehen systematisch so weit auseinanderstehende Organismen eine Symbiose ein? Was "haben" sie davon? Der Pilz schützt die Algen vor äußeren Einflüssen, die Alge ernährt den Flechtenkörper mit ihren in der Photosynthese  gewonnenen Nährstoffen (Traubenzucker, Zuckeralkohole).  Trotzdem haben wir hier kein perfekt austariertes Gleichgewicht vor uns, denn die Alge ist der unterlegene Partner: die Pilze saugen die Algen fast bis zum Letzten aus.  Im Mikroskop erkennt man, dass der Pilz nicht nur die Ober- und Unterseite der Flechte ausmacht, sondern dass auch im Inneren die Alge in Pilzfäden, die Hyphen, eingebettet ist. Manche dieser Hyphen dringen direkt in die Zellen der Algen ein.

Trennt man Pilz und Algen im Labor, erkennt man, dass die Pilze schlechter, die Algen besser wachsen. Sie tun sich zur Symbiose zusammen, wenn die Bedingungen für Pilz und Alge allein schlechter wären als nach ihrem Zusammenschluss. Wenn die Bedingungen für die Flechte schlecht sind, kann aus der Symbiose zwischen beiden Organismen der Parasitismus des einen, des Pilzes, werden.

Heute glaubt man, dass es ihre Fähigkeit zur raschen Austrocknung ist, die die Flechten auch die lebensfeindlichsten Bedingungen überstehen lassen. Verliert die Flechte Wasser, wird die Pilzhülle dicker und lichtundurchlässig, die Photosynthese der Algen hört auf. Die Flechte tritt in ein nur noch latentes Lebensstadium ein. Benetzte Flechten hingegen können innerhalb kürzester Zeit bis zum Dreißigfachen ihres Trockengewichtes erreichen; sie saugen Wasser auf wie Papier, gleich ob sie abgestorben sind oder noch leben.

Flechten pflanzen sich über Soredien fort, Teilchen, die Stücke von Pilz und Alge enthalten.

Zur Photosynthese brauchen die  Algen Licht und Feuchtigkeit. Gute Bedingungen sind oft nur wenige Stunden am Tag gegeben. Das Wachstum der Algen ist deshalb legendär langsam: 0,1 bis 10 mm wachsen sie - im Jahr! Größere Flechten sind deshalb oft 100 oder 200 Jahre alt. Alte Bäume sind auch deshalb wichtig, weil aufsitzende Flechten so langsam wachsen.

Schon lange ist bekannt, dass Flechten auf Luftverschmutzung sehr empfindlich reagieren. Flechten sind Indikatoren für die Luftqualität einer Gegend - das Fehlen der Flechten in Großstädten gab unter anderem den Anstoß für eine neue Politik der Luftreinhaltung. Die Empfindlichkeit der Flechten ergibt sich daraus, dass sie Schadstoffe über Luft und Regenwasser ihre ganze lange Lebensdauer hindurch aufnehmen, aber über keine Ausscheidungsorgane verfügen - sie reichern Schadstoffe also an. So fand man im Körper von Eskimos und Samen hohe Werte von Radioaktivität oder DDT - Rentiere und Karibous reicherten über ihre Flechtennahrung Schadstoffe an und gaben sie an die Menschen weiter.


Wo Kelten springen

Bräuchen rings um Perchten, Krampussen und anderen Wintergeistern, die im Alpenraum in den dunkelsten Wochen ihr Unwesen treiben, wird gerne zugeschrieben, heidnisch, archaisch, zumindest aber alt zu sein. Brauchtumsschützer hören es daher gar nicht gern, wenn Wissenschaftler das hohe Alter der Bräuche in Zweifel ziehen, die Perchten zum Beispiel auf das 19. Jahrhundert datieren. In einem  verborgenen Winkel, in Oberstdorf im Allgäu, tanzen die Wilden Männle aber wahrscheinlich schon seit 2000 Jahren, seit den Zeiten der Kelten. Die erste Beschreibung des Tanzes stammt aus dem 7. Jahrhundert. Die Wilden Männle tragen eine Tracht, die wilder nicht sein könnte: ganz und gar aus zottigem Baumbart (Tannenbart im Allgäu) gemacht . Die Gestalten sind bis auf die Augen ganz vermummt. Ein Gürtel aus Fichtenreisig und ein Kranz aus Stechpalmen vervollständigt das Kostüm. Fichten und Stechpalmen sind als immergrüne Pflanzen Lebensyymbole. In England ist die Stechpalme Protagonistin vieler Winterbräuche, ein Symbol für ewiges Leben und Verbindung zum Überirdischen. In ihrem englischen Namen - Holly - spiegelt sich wider, mit welchen magischen, transzendentalen Zuschreibungen die Menschen die Stechpalme versehen.
  
Baumbart zum Fürchten



Fotos: Angelika Schneider (1),
            Fremdenverkehrsbüro Oberstdorf (1)

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Nordmanntanne



....so kennen wir sie am Christbaummarkt



...so kann sie auch ausschauen - Nordmann-Tanne im Botanischen Garten München



typisch graue Tannenrinde



glänzend grüne Oberseite



helle Wachsstreifen auf der Unterseite


Nordmanntanne

Eulenblick Ausgabe Nr. 4

Pflanze des Monats Dezember

Viele von uns werden sich der guten alten Zeit entsinnen, als der Christbaum noch aus einem richtigen Wald kam. Förster und Waldbauern warfen kleine Fichten auf dem Markt, denen sie nicht zugetraut hatten, einmal schöne, starke Bäume zu werden. Ökologisch korrekt herangewachsen, spiegelte der Zustand dieser Bäumchen den Pessimismus der Förster hinsichtlich ihrer Zukunft  wider: krumm gewachsen, buschig  in Bodennähe, ausgedünnt im oberen Teil,  zwei oder drei Wipfel. Beschert wurde auch: mit reichlichem Nadelfall nach wenigen Tagen.

In den letzten Jahrzehnten aber eroberte ein anderer Baum die heimischen Wohnzimmer, einer, der gerade gewachsen ist, regelmäßig beastet und mit haltbaren, grünglänzenden, nicht stechenden Nadeln versehen.

Die schöne

Nordmann-Tanne (Abies nordmanniana)

ist ein Baum mit Migrationshintergrund. Ihr Hauptvorkommen liegt im westlichen Kaukasus, einzelne Vorkommen gibt es in Armenien und auf der Krim.

Die Nordmann-Tanne* ist zwar verwandt mit unserer heimischen mitteleuropäischen Weißtanne, doch ihre eigentliche Familie kommt aus dem Mittelmeer. Sie gehört einer Gruppe von 12 eng verwandten Tannenarten an, die alle aus dem selben Stamm hervorgingen. Sie kommen rings um das Mittelmeer und darüber hinaus, bis ans Schwarze Meer, vor. Diese  12 Arten bilden eine sogenannte Sammelart oder Syngameon  - es handelt sich da um eine Reihe von Übergangsformen zwischen nah verwandten Arten. Der gemeinsame, heute ausgestorbene Vorfahr dieser Tannen war einst im ganzen Territorium, das später das Mittelmeerbecken werden sollte, verbreitet. Die heutigen Formen sind entstanden, nachdem geologische Vorgänge das Mittelmeer entstehen hatten lassen und die Tannen in isolierte Vorkommen getrennt worden waren. In Jahrmillionen veränderten sich die Bäume derart, dass sie sich heute nicht mehr fruchtbar miteinander kreuzen können, was bedeutet, dass neue, genetisch voneinander geschiedene Arten entstanden sind. Je weiter auseinander ihre heutigen Verbreitungsgebiete liegen, desto weniger eng sind sie miteinander verwandt. Unsere Nordmann-Tanne ist die östlichste dieser Arten; sie ist eng verwandt mit den beiden anderen Tannen Südosteuropas, der türkischen Tanne, Abies bornmülleriana und der Troja-Tanne, Abies equi-trojani.

Ein mächtiger Baum

In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ist die Nordmanntanne ein mächtiger Baum, der zwei Meter Durchmesser erreichen kann. Auch das wunderschöne Exemplar im Botanischen Garten in München lässt ahnen, was aus den kleinen Christbäumchen werden könnten, wenn man sie nur ließe. Die Münchener Tanne weist die für die Nordmann-Tanne typische, nicht sehr ausladende, eher zylindrische als pyramidenförmige Krone auf. Im Kaukasus-Naturreservat nicht weit von Sotschi, das schon in den zwanziger Jahren eingerichtet wurde, um die monumentalen Nordmanntannen zu schützen, sollen die Bäume bis 85 m hoch werden - das wären dann die höchsten Bäume Europas!

Die Nordmann-Tanne kommt in 400  bis 2.000 m Höhe vor, sie liebt das feuchtkalte Klima der kaukasischen Berge. Sie bildet große Reinbestände in ihrem klimatischen Optimum, kommt aber auch in Mischwäldern vor.


Auf die Nadeln kommt es an

Der eigentliche Grund, warum die Nordmann-Tanne als Christbaum so beliebt ist, ist ihr schönes, dichtes, grünglänzendes Nadelkleid. Die Nadeln sind rings um den Zweig angeordnet und leicht gegen das Ende des Zweigs gekrümmt. Sie sind 2 bis 3 cm lang und 2 bis 3 mm breit, nicht stechend, an der Oberseite glänzend grün und mit zwei Wachsstreifen an der Unterseite versehen.

Die Nadeln an erwachsenen Bäumen schauen etwas anders aus, je nachdem, wo am Baum sie wachsen. Die unteren, beschatteten Nadeln stehen scheinbar zweizeilig am Zweig, bei näherem Hinsehen aber sind die Nadelansätze rund um den Zweig angeordnet. Hoch am Baum sitzende lichtexponierte Nadeln sind rings um den Zweig angeordnet, sind kürzer und härter und bedecken den ganzen Zweig. Sechs bis acht Jahre bleiben die Nadeln am Zweig erhalten.

Die Rinde der Nordmanntanne ist bei jungen Bäumen glatt, dünn und grau. Die Rinde älterer Bäume ist rauh und gefurcht, ohne dass sie aber eine dicke Borke ausbilden würde. Die Rinde der Äste ist braun. Wie die Rinde junger Bäume aussieht, kann man am eigenen Christbaum studieren. Die kommen mit acht bis zehn Jahren auf den Markt.

Der größte Produzent von Christbäumen ist Dänemark. Tausende von Firmen haben 100 Millionen Bäumchen in Plantagen gepflanzt. Jährlich bringen die Dänen 5 Millionen Christbäumchen auf den Markt. 75 % aller in Deutschland verkauften Christbäume sind mittlerweile Nordmanntannen.

Alexander von Nordmann (1803-1866) war ein finnischer Biologe. Ab 1832 lebte er in Odessa als Gymnasiallehrer und Chef des botanischen Gartens. Die Nordmann-Tanne ist nach ihm benannt.

*Die Bindestrich Nordmann-Tanne gibt die korrekte botanische Bezeichnung wider. Der Bindestrich deutet die Zugehörigkeit der Nordmann-Tanne zur Gattung der Tannen (Abies) an. Der Christbaumhändler schreibt natürlich "Nordmanntanne".

Montag, 8. November 2010

Tee

Tea Party
Montag, 13. September 2010
18:39

Sarah Palin ist die Ikone einer politischen Bewegung, die bei vielen eine Mischung aus Faszination und Grauen auslöst. Der Name der Bewegung ist von unübertroffener Prägnanz: Tea Party. Damit stellen sich die Anhänger in die Tradition der Boston Tea Party von 1773, die im Gründungsmythos Amerikas einen wichtigen Platz einnimmt. Die Verbitterung der Kolonien Neuenglands gegenüber dem Mutterland England hatte sich über Jahrzehnte aufgestaut, vor allem am Anspruch der Krone, in den Kolonien nach Belieben Steuern zu erheben*. Um ihren Anspruch zu untermauern, erhoben die Engländer zuletzt symbolische Bagatellsteuern auf Glas, Blei, Papier und Tee - auf letzteren 3 Pence pro Pfund. Die Eintreibung der Steuern kostete mehr als sie einbrachte; Tee war billig. So sollten die Kolonien dazu gebracht werden, England seinen Teeüberschuss abzunehmen. Außerdem war der Schmuggel unrentabel geworden. 1773 schließlich enterten als Mohawks verkleidete Weiße drei Schiffe im Hafen von Boston und warfen die gesamte Teeladung  ins Meer. Die Überreaktion der Engländer, die den Hafen sperrten, führte zu den Kämpfen der Kolonisten gegen die Engländer und zuletzt zur Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung drei Jahre später.

Tee und Weltpolitik - darüber gibt es viel zu sagen. Doch vorher wenden wir uns unser eigenen frühwinterlichen Tea Party zu und betrachten, vielleicht mit einer dampfenden Tasse Tee vor uns:

Tee (Camellia sinensis)

Die Teepflanze ist ein immergrüner Strauch, bis 5 (9) Meter hoch. Die Blätter sind wechselständig, d.h. sie stehen sich nicht gegenüber, sondern wachsen versetzt längs der Zweige. Sie sind fünf bis 12 cm lang, elliptisch, an der Spitze abgestumpft. Die Oberseite ist glänzend dunkelgrün, die Unterseite heller und behaart. Die Blüten sind klein, 2 - 3 cm im Durchmesser, mit weißen Kelchblättern, vielen gelben Staubblättern und einem gelben Fruchtknoten. Der Tee kommt aus Blättern und Knospen - die feinfühligen Finger der Teepflückerinnen zupfen nur two leaves and a bud - zwei Blätter und eine Knospe. Der Grund, warum Tee getrunken wird, ist das Alkaloid Tein, das, dem Koffein sehr ähnlich, aber in der Wirkung etwas schwächer, als mild stimulierende Droge den Teetrinkern durch den Alltag hilft. Tee ist eine Pflanze des feuchtkühlen Bergklimas der Subtropen, seine Heimat ist China. In Indien wurde Tee erst sehr spät angebaut.
  
Welken, rollen, fermentieren, trocknen heißen die Schritte vom Blatt zum Tee. Frisch geerntete Teeblätter müssen unter Ventilatoren welken, d.h. sie müssen Feuchtigkeit verlieren, damit sie nicht schimmeln. Beim Rollen werden die Blätter vielfach geritzt und gebrochen - Luft muss an die aufgerissenen Zellen für die sogenannte Fermentation. Sie ist eigentlich nur eine Oxidation, also eine Reaktion der Zellbestandteile der Teeblätter mit dem Luftsauerstoff. Eine Fermentation im eigentlichen Sinne wird durch Mikroben verursacht. Bei der Fermentation des Tees auf großen Gestellen ändert sich die Farbe von grün zu braun - eine ähnliche Reaktion sieht man zum Beispiel bei aufgeschnittenen Äpfeln, die mit Luft in Berührung kommen. Bei der Fermentation (die nur wenige Stunden dauert) und der folgenden Trocknung bei hohen Temperaturen darf nichts schief gehen - hier bestimmt sich die Qualität des Tees.

Bei ihrer Verarbeitung laufen die Teeblätter durch verschiedene Maschinen - Trommeln oder Rüttelsiebe. Dabei entstehen die verschiedenen Blattgrade - der grobe Blatttee, Broken, Fanning und Dust. Fannings finden wir vor allem in Teebeuteln; die groben Blatt-Teesorten gelten als die besten. Doch auch der feine Teestaub kann sehr hochwertige Tees hervorbringen - in China wurden Dusts zu Ziegeln gepresst und mit Karawanen weit gehandelt. Teeziegel verloren auch nach Jahren nichts von ihrem Aroma.


Hübsche Blüte, doch wir wollen...

...Two Leaves and a Bud!

Die Chinesen hatten schon Jahrtausende lang Tee getrunken, bevor dieser 1580 erstmals nach Europa kam, nach Lissabon. Schon bald aber hatten die Engländer den Teewelthandel in ihrer Hand. 1820 war die Hälfte des Teewelthandels britisch, Tee wurde das englische Getränk par excellence. Die englische Ostindiengesellschaft, die John Company, wurde um 1600 gegründet; sie hatte das Handelsmonopol  für Tee und Gewürze und in Indien auch die politische und administrative Gebietshoheit. Die Ostindiengesellschaft hatte auch die besten damals bekannten Frachtschiffe, die "Ostindienfahrer". Und sie hatte die besten Kapitäne und Matrosen. Die Seeleute wurden nicht, wie bei der Marine, auf die Schiffe gepresst, also praktisch zwangsrekrutiert; Offiziere durften einen Teil der Fracht privat verkaufen. Der Platz auf den Schiffen war begrenzt, daher luden die Offiziere Tee allerbester Qualität. Sie erhöhten ihren Verdienst, indem sie Zoll und Steuern "umgingen" - geschmuggelter Tee hatte in England den besten Ruf.  "Die Fracht ist die Mutter der Heuer": Die Mannschaft trug das alleinige Risiko für Schiffe und Fracht. Erst nach der glücklichen Rückkehr nach England war der Lohn fällig.

Um das Schiff auf dem Meer zu stabilisieren, musste die Ladung getrimmt, d.h. Tee musste im Inneren des Schiffes mit Ballast stabilisiert und vor Nässe geschützt werden. Etwa ein Viertel der Ladung machte der Ballast aus - er sollte großes Gewicht, doch kleines Volumen haben. Dafür eignete sich u.a. geschickt gestapeltes Porzellan - es hielt den Tee im Laderaum an Ort und Stelle. Auf diese Weise kam das Porzellan nach Europa - in den angelsächsischen Ländern heißt es deshalb eben China. Über Jahrhunderte wurden riesige Stückzahlen von Porzellangeschirr, Teetassen und Kannen nach England importiert. Im 18. Jahrhundert kamen jährlich etwa 5 Millionen Stück Porzellan nach England, neben 4000 Pfund Tee. Sogenannte Kargadeure organisierten das Porzellan für die Ostindiengesellschaft. Chinesisches Porzellan war sehr billig, aber von besserer Qualität, härter und besser als europäisches. Die Europäer hatten im 19. Jahrhundert schließlich gelernt, selbst Porzellan zu produzieren. Chinesen sind bekanntlich die Erfinder des Porzellans - als die Europäer kamen, war es in China schon Jahrhunderte lang in Gebrauch. Bis um das Jahr 1800 hatten 215 Millionen Stück Porzellan den Weg von China nach England gefunden.

Tee kam bis Mitte des 19. Jahrhunderts über den Hafen von Kanton, der einzige Europäern zugängliche Hafen Chinas, das sich seit dem 15. Jahrhundert politisch vom Ausland isoliert hatte. Doch durch eine pragmatische Politik hatten Teehändler, die sogenannten Kongs, Kontakt zu den "fremden Teufeln". Sie handelten fast ausschließlich mit der Ostindiengesellschaft, die über 150 Jahre lang das Monopol auf den Teehandel hatte. Ab 1840 setzte in England dann eine liberalistische Politik ein, die Handelsmonopolen aller Art ein Ende setzte.

Bis er auf die Märkte Englands kam, war der Tee oft sortiert, gemischt, gefälscht und mit Zusätzen gestreckt worden, zum Beispiel mit Pinienrinde, Sägemehl oder Ruß. Auch Aromen wurden beigemischt: Bergamottenöl, Orangen- und Zitronenschale. So entstand der Earl Grey ursprünglich als eine Fälschung des Tees mit Aromen.

Mindestens ein Drittel der Wertsteigerung des Tees von Kanton über alle Zwischenhändler zu den Konsumenten blieb an der Ostindiengesellschaft hängen. Henry Hobhouse schreibt: "Die Ostindiengesellschaft war ein Großkonzern, von Schmugglern wie Konsumenten gehasst und verachtet, der Inbegriff eines korrupten, selbstgefälligen Monopolisten".

Über fast zwei Jahrhunderte hatte man Tee in Europa importiert, ohne dass man etwas über die Pflanze wusste - wie sie aussah, wie sie angebaut wurde, welche Pflanzenteile man verwendete, wie der Tee entstand. In Indien war Tee unbekannt, erst 1830 entdeckte man in Assam Camellia sinensis var. assamica, eine wilde Teepflanze, die bis dahin als Kulturpflanze unbekannt war. Der Teeanbau in Indien begann erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Engländern.

China ist nach wie vor einer der größten Teeproduzenten, mit den meisten Sorten und legendär guten Teequalitäten (Lang Chin, Pi Lo Chun). Doch ist China kein großer Exporteur - Chinesen trinken den Tee selbst.

Größter Tee - Exporteur ist Indien mit Darjeeling und Assam als den beiden berühmten Anbaugebieten. Darjeeling mit seinen über 200 Teegärten liegt über 2000 m; sein feuchtkühles Klima ist ideal für das Wachstum des Darjeeling - Tees.. 55.000 Pflückerinnen arbeiten in den Gärten. In Darjeeling spricht man stolz davon, den besten Tee der Welt herzustellen.

Das größte Teeanbaugebiet der Welt mit 200.000 Hektar heißt Assam. Der Assamtee ist dunkel und kräftig; 1834 begründete die Assam Tea Company den indischen Teeanbau.

In Japan wird ausschließlich grüner Tee hergestellt; schon früh, 850 n. Chr., hatten buddhistische Mönche Camellia sinensis nach Japan importiert.

Sri Lanka und - überraschend - Kenia sind weitere große Teeproduzenten; Kenia gehört auch zu den größten Exporteuren.

Briten mit 2,3 kg Tee pro Kopf und Jahr und Irland mit 1,5 kg sind nach wie vor die größten Teeverbraucher. Mickrig nehmen sich hier mit 300 g die Österreicher und mit 700 g die Deutschen aus. Die Ostfriesen allerdings halten zur Zeit mit 2,5 Kg pro Kopf und Jahr den Weltrekord.

Ich hoffe, ihr führt euch meinen November - Blog mit einer guten Tasse Tee zu Gemüte!

*Viele der Informationen zu diesem Blogbeitrag stammen aus:
Henry Hobhouse
Fünf Pflanzen verändern die Welt. Chinarinde, Zucker, Tee, Baumwolle, Kartoffel
1992

Samstag, 2. Oktober 2010

Ahorn



2. Oktober 2010
Die drei Brüder A.

Im Monat Oktober schauen wir uns die drei Brüder A. näher an. Sie gehören einer weitverzweigten Sippe an und manche ihrer Mitglieder sind echte Promis, wie zum Beispiel der Kanadische Zucker - A., von dem heute aber nicht die Rede sein soll.

Der große Bruder

ist der Bergahorn (Acer pseudoplatanus). Mit seiner grau-rötlichen Rinde und den gelappten Blättern ist er unverkennbar. Er wächst rasch empor und kann bis 40 m hoch werden. Stattlichen Bergahornen begegnet man im feucht-kühlen Klima der Bergmischwälder der Alpen, doch steigt der Baum in den Nordalpen auch über die Waldgrenze, bis auf 1600 - 1800 m. Mancherorts ragen Bergahorne aus jüngeren Fichtenbeständen heraus und geben Zeugnis davon, dass sie aus einer früheren, älteren Waldgeneration stammen. Die alten Ahorne wurden geschont, weil ihre Blätter ein gutes Viehfutter abgaben. Der Bergahorn ist ein "Brotbaum" - bei Schneefall auf den Almen streiften die Hirten die Blätter von den Bäumen und verfütterten sie dem Vieh. Die großen Bergahorngestalten auf den Alpen des Allgäu (im Alemannischen heißen die Almen Alpen) oder auf dem berühmten Ahornboden im Karwendel spenden dem Almvieh also Schatten und Nahrung.
Der Bergahorn war auch ein Saftlieferant, ähnlich wie der kanadische Zuckerahorn. Er war allerdings viel weniger ergiebig. Bergahornsyrup diente vor allem während der napoleonischen Kontinentalsperre als Zuckerersatz; in manchen Gegenden zapften die Leute bis nach dem zweiten Weltkrieg Ahornstämme an.
Bei den Schreinern gehören Ahorne zu den Stars: ihr helles, kompaktes Holz mit seinem seidigen Glanz und samtenen Griff ist sehr begehrt zur Herstellung hochwertiger Möbel, für Parkett, als vornehmes Furnierholz; besonders auch für Intarsien, wo das Ahornholz mit dunkleren Hölzern, wie Nuss oder Eibe, blendende Kontraste bildet. Bergahorn bildet oft Holz mit einer besonderen Maserung aus: dieser kostbare, "geflammte" Vogelahorn wurde und wir beim Instrumentenbau verwendet, für Böden und Zargen bei Geigen, Bratschen und Celli.

Tief gelappt: Blatt des Bergahorns

Bergahorn auf der Alpe

 














Der mindere Bruder

ist der Spitzahorn (Acer platanoides). Er hat seinen Namen von den lang ausgezogenen Blattspitzen; die Blätter des Bergahorns sind tiefer gelappt und nicht so stark gezähnt. Berg- und Spitzahorn haben ähnliche Ansprüche an Boden und Klima. Beide lieben Regen und tiefgründige Böden. Das Holz des Spitzahorns ist weniger begehrt, er ist auch nicht so langlebig - 500 Jahre alt kann der Bergahorn werden, der Spitzahorn beginnt schon nach 150 Jahren abzusterben. Der Spitzahorn ist also in vielerlei Hinsicht der mindere Bruder des Bergahorns. Im Herbst nähert sich aber die Stunde des Triumphs: rot und orange flammen seine Blätter, gewöhnlich-gelb sind jene des Bergahorns. Jetzt im Herbst kann man die beiden Ahorne trefflich mit einem Blick schon von weitem unterscheiden.

Farbenpracht im Herbst: Spitzahorn

Spitze Blätter des Spitzahorns
















Der kleine Bruder

ist der Feldahorn (Acer campestre). Er ist wärmeliebender als die beiden anderen und kommt meist als Strauch in Hecken, Garteneifriedungen und an Feldrainen vor. Die kleinen gelappten Blätter des Feldahorns wurden früher eingestampft, vergoren und wie Sauerkraut gegessen. Auch hier haben wir also wieder einen Ahorn als "Brotbaum" vor uns.
Eine kleine etymologische Betrachtung weist uns den Weg zu weiteren interessanten Fakten über den Feldahorn. Sein althergebrachter Name ist Maßholder - Maß kommt vom altsächsischen Mat und heißt Speise: die bayerische Maß gehört zu den Lebensmitteln, das weiß man in Bayern seit jeher. Die gleiche Silbe finden wir auch im Schiffskoch, dem Maat, im Mus und Met der Germanen, in der Mast und der Mettwurst; auch im Maßliebchen, dem essbaren Gänseblümchen, das, aufs Butterbrot gelegt, den Leuten auch heute noch schmeckt. Der Feldahorn hat noch einen weiteren Namen: Mäpel. Mapel ist der englische Name für Ahorn - beim sugar maple ist der Zusammenhang von Ahorn und Speise besonders offenkundig.

Als Strauch in der Hecke

Klein, rundlich und essbar: Feldahorn




Viel Glück beim Auffinden der drei Brüder A. auf euren Oktoberspaziergängen!


Donnerstag, 2. September 2010

Schwalbenwurzenzian

Pflanze des Monats September

"So düncket mir doch, als ob das grünende Reich der Gewächse….., immassen unsere Erd-Kugel, wann sie der Pflantzen entbehren sollte, gröstentheils ein bloser wüster Klumpen würde, auf der die Menschen und Thiere ihr Leben unmöglich erhalten könten".

Recht hat er, der merseburgische Domherr und Kammerrat Julius Bernhard von Rohr, der die Pflanzenwelt in seiner "Phytotheologia" von 1745 preist.

Im Rohrschen Sinne will ich in dieser kleinen Rubrik jeden Monat eine Pflanze vorstellen. Die Auswahl dabei ist willkürlich und subjektiv: die "Pflanze des Monats" wird eine der Jahreszeit entsprechende sein oder auf Ereignisse im Jahreslauf verweisen (Weihnachtsstern, Osterglocke...). Manche Kandidaten werden es wegen ihrer Schönheit auf die Seite schaffen, oder wegen ihrer Unscheinbarkeit. Oder sie haben einen unique selling point aufzuweisen, weil sie z.B. giftig sind, schmarotzend, fleischfressend, nicht totzukriegen, besonders selten oder besonders häufig, als Heilpflanze zu verwenden, zum Verzehr, zum Auflegen, Vergären und Destillieren. Der Themen gibt es viele; doch frisch gewagt ist halb gewonnen: Wir fangen an mit einer echten Beauty, der Pflanze des Monats September, dem

Schwalbenwurz - Enzian (Gentiana asclepiadea)

Zu seinem schönen Namen kam der Schwalbenwurz - Enzian, weil seine Blätter in Form und Anordnung am Stängel jenen der Schwalbenwurz ähneln, einer alten Heilpflanze. Mit "Schwalbenwurz" sind wohl die Schwanzfedern der Schwalbe gemeint. Die Blätter des Enzians sind 5 bis 8 Zentimeter lang und lanzettlich. Man nennt ihre Stellung "kreuzgegenständig", was bedeutet, dass sich jeweils 2 Blätter gegenüberstehen und die über und unter ihnen liegenden Blätter in einem Winkel von 90 ° zu ihnen . Hier haben wir eine der vielen Strategien vor uns, mit denen Blätter an mehr Licht gelangen: dadurch, dass die Blätter versetzt am Stängel sitzen, werfen sie auf die unter ihnen sitzenden keinen Schatten.

Der Schwalbenwurz - Enzian blüht im Spätsommer und Herbst. Wenn andere Blumen ihre Samen längst gebildet haben und die Gräser der Wiesen schon braun sind, leuchten seine strahlend blauen (enzianblauen!) Blüten schon von weitem. Der Schwalbenwurz - Enzian wird bis zu einem Meter hoch; an seinem Stängel sind die Blüten bis zu dreien in einer Blattachsel angeordnet. An einem einzigen Stängel können ein Dutzend Blütenköpfe oder mehr sitzen. Die Stängel wachsen zu mehreren aus der staudigen Pflanze .Auch einzeln stehende Stängel kommen vor. Auf einem Seminar habe ich kürzlich (wieder) gelernt, was eine Staude ist: eine mehrjährige, nicht verholzte Pflanze.

Der Schwalbenwurz - Enzian ist in den Moosen und Streuwiesen am Fuß der Nordalpen weit verbreitet. Im den Alpen kommt er auf Almwiesen, in Latschengebüschen und Niedermooren und in lichten Wäldern vor. Selber kenne ich Standorte im Murnauer Moos, im Kochelmoos, am Herzogstand, im Burgumer Tal im Pfitsch, auf der Rannerböschung in der Steiermark, am Semmering. Der Schwalbenwurz - Enzian gilt mancherorts als gefährdet, vor allem weil bestimmte Lebensräume (Moore, Streuwiesen) weniger werden oder weil Almen durch den Rückgang der Beweidung zuwachsen.

Erfreut euch am Anblick des Schwalbenwurz - Enzians auf euren frühherbstlichen Wanderungen!



Viele Stängel, aus einer Staude wachsend
  
  

                                               Enzianblaue Blüten, kreuzgegenständige Blätter

                                           
Text: Angelika Schneider
 Fotos: Angelika Schneider (1), Wolf Schröder (1)