Sonntag, 13. Dezember 2015

Efeu


Immergrüne Pflanze der Freundschaft:

Efeu

Hedera helix 


Mares eat oats and does eat oats and little lambs eat ivy.
Englischer Kinderreim

Die berühmten Jahreszeitenbilder Arcimboldos (1526 – 1593) zeigen uns die Fülle der mit dem Menschen verbundenen Pflanzen, ihre Bedeutung für Ernährung (Weizen, Mais, Kastanien, Dattel, Walnuss), Gesundheit (Orange, Zitrone, Artischocke, Knoblauch), Duft und Schönheit (Maiglöckchen, Rose, Jasmin), Rausch und Ritus (Weinrebe, Tollkirsche, Pilze).
Efeu im Winterbild Arcimboldos
 
Die immergrüne Pflanze der Freundschaft und Treue durfte da nicht fehlen, der beständige, unerschütterliche Efeu, der auch im Winter lebt, wenn andere Pflanzen abgestorben sind.

Jeder kennt diese Pflanze, sie klettert empor an Baumstämmen und Hausmauern. Ihr unaufhörliches Wuchern löst manchmal Besorgnis aus – sie schädige die Wände und bringe ihre Wirtsbäume zum Absterben. Hier wollen wir versuchen, Dichtung und Wahrheit auseinander zu halten.
Nur festhalten, nicht eindringen: Haftwurzeln des Efeus

Architekten und Hausbesitzer schreiben dem Efeu eher eine schützende Wirkung zu. Bewachsene Mauern erhitzen sich nie auf mehr als 30 Grad, während sie ungeschützt in der prallen Sonne schon mal 60 Grad heiß werden können; im Winter kühlen sie nicht so stark aus. Auch Sturm und Starkregen werden von der Wand ferngehalten. Efeu bindet Staub, schützt vor Schmutz. Und kaum jemand wird Efeu von der Mauer reißen, um ein Graffito zu sprayen…Allerdings können sich die Haftwurzeln des Efeus in Spalten und Ritzen bohren und so Schäden an der Mauer vergrößern und Wasser eindringen lassen. Und allerlei Krabbeltiere gelangen von dem grünen Wandteppich durch Fenster und Türen ins Haus – Efeu kann den Igitt-Faktor einer Wohnung erheblich vergrößern.

Im Wilden Osten konnten Architekten und Baumeister nach 1990 interessante Vergleiche anstellen zwischen Mauern, die Jahrzehnte vor sich hin verfielen und anderen, die, geschützt von einem Efeumantel, dem Ende der DDR entgegendämmerten. Besonders Mauern unter Verputz kamen nach der Entfernung des Efeubewuchses völlig intakt zum Vorschein.[1]
Was, Efeu ist kein Schmarotzer?

„Was, Efeu ist kein Schmarotzer?“, fragte mich der Naturforscher W.S. auf unserer Fototour zu dieser Pflanze. Auch von anderen hört man, dass Efeu Bäume erdrosselt, Äste durch sein Gewicht abbrechen lässt oder Blätter durch Beschattung zum Absterben bringt. Gärtner und Botaniker geben auch hier Entwarnung: Efeu sitzt seinen Wirtspflanzen nur auf, ist kein Schmarotzer. Sein Gewicht ist kaum jemals so groß, dass er dicke Äste knacken könnte und das Blattwerk der Bäume sitzt vor allem im oberen und äußeren Teil der Krone, wo Efeu nur selten hinauskommt.

Die Efeupflanze wächst nach dem Auskeimen zuerst waagrecht über den Boden, wobei sie immer neue Wurzeln ausbildet. So entstehen Geflechte, die manchmal den Boden bedecken. Sobald Efeu Felsen, Mauern oder Bäume erreicht, beginnt er, mit Hilfe vieler Haftwurzeln nach oben, zum Licht, emporzuwachsen. Efeu kann mehrere Hundert Jahre alt werden, seine Sprossachse (der „Stamm“) leicht Armdicke erreichen.

In unserer Vorstellung – und in der Kunst – haben wir das Bild der drei- bis fünflappigen Efeublätter vor uns. Bei älteren Pflanzen bilden die blühenden Sprosse andere, eiförmig-rhombische Blätter aus. Solche „komischen“ Efeublätter sind jene der blütentragenden Zweige. Blatt- Dimorphismus nennt man dieses gar nicht so seltene Phänomen von Blättern verschiedener Form in einer Pflanzenart.

Die eiförmigen Blätter der früchtetragenden Zweige
Im Spätsommer und Herbst bildet der Efeu seine grün-gelben Blütendolden aus. Sie sind unscheinbar und leicht zu übersehen – es sei denn, man geht an warmen Tagen vorüber, wenn Hunderte von Bienen sich an den Efeublüten Nektar holen.

Sein natürliches Verbreitungsgebiet umfasst Europa (bis nach Schweden im Norden) und Kleinasien. Mit der europäischen Kolonisation gelangte Efeu in alle Welt. In gemäßigten Breiten der Nord- und Südhalbkugel hat seine Vitalität ihn vielerorts zu einer invasiven Pflanze gemacht. In Kanada wird Efeu bekämpft, auch in Australien und Neuseeland. An der Ostküste der USA bedeckt Efeu die Mauern der berühmten Universitätsgebäude der Ivy League Harvard, Yale, Princeton, Wellesley - doch halt - im Herbst sind diese Blätter flammend rot. Dieser Ivy ist eigentlich wilder Wein, obwohl Efeu an der East Coast natürlich vorkommt. Wilder Wein und Efeu werden öfter mal verwechselt; zum Beispiel liest man im Netz, dass Efeu, anstatt Wein, eine Symbolpflanze Bacchus' sei.

„Gute Freunde kann niemand trennen“. sagte und sang schon der große Philosph Franz Beckenbauer. Sie bleiben einander verbunden, über Zeit und Raum. Was Wunder, dass der immergrüne, Halt suchende Efeu Symbol der Freundestreue ist, und der Hilfe, den gute Freunde in den Stürmen des Lebens einander gewähren.

Pflanze der Freundschaft: der immergrüne Efeu

Dieser Beitrag ist dem Gedenken meines lieben Freundes Othmar Heinz (1950-2015) gewidmet.




[1] http://www.geolinde.musin.de/stadt/begruenung/recherchegruppe.htm

 
 

 



 


Sonntag, 8. November 2015

Sonnenblume


Sonnenblume

Helianthus annuus

Sonnenblume im Feld
 
Es war die gute alte Zeit: Der Eiserne Vorhang fest geschlossen, Rauchen überall erlaubt, schwarz-weißes Fernsehen. Dort übertrug man Eishockey; die Mannschaft der UdSSR rammte jene des sozialistischen Brudervolkes der Tschechoslowakei regelmäßig ins Verderben. Bevor sie sich aufs Eis stürzten, sah man die „Russen“ ein geheimnisvolles Kraftfutter kauen – geröstete Sonnenblumenkerne, Semitschki – deren Schalen rechts und links aus den Mundwinkeln auf den Boden flogen. Gegen ein solches Doping konnte Schweijk nicht an.
Sowjetsozialistisches Kraftfutter

In unserer Vorstellung wogen die Sonnenblumenfelder in den Weiten der Ukraine und Russlands. Tatsächlich war es in Russland, um 1830, dass Sonnenblumen erstmals landwirtschaftlich angebaut wurden. Vorher waren sie in Europa nur als Zierpflanzen bekannt gewesen, nachdem die Spanier sie im 16. Jahrhundert aus den trockenen Gebieten Nordamerikas – Arizona, New Mexico, Nevada – mitgebracht hatten. Die Ureinwohner dort bauten die Sonnenblume schon vor mindestens 3000 Jahren an und ergänzten damit ihren Speisezettel aus Bohnen, Kürbis und Mais mit einem ölreichen Nahrungsmittel. Mit der Auslöschung der indianischen Kulturen ging auch die Anbaukultur der Sonnenblume verloren. Erst im 19. Jahrhundert kam sie über Russland wieder nach Nordamerika zurück. Russland, die Ukraine und die USA sind heute noch die größten Anbauländer von Sonnenblumen.

Im Blütenstand der Sonnenblume sind Hunderte kleiner Blüten vereinigt, die Röhrenblüten; zusammen mit den äußeren gelben sterilen Zungenblüten bilden sie eine große Schaublüte. So werden Bestäuber, vor allem Hummeln angelockt. Solche Schaublüten sind bei Korbblütlern häufig – zum Beispiel bei Edelweiß und Gänseblümchen, von denen im Eulenblick schon zu lesen war. Die Kerne reifen im Blütenstand von innen nach außen; sie enthalten bis zu 50 % Öl.
Kerne reifen von innen nach außen
Das wichtigste Produkt der Sonnenblume ist das Öl; Kerne sind ein kalorienreicher Snack, nicht nur für Eishockeyspieler, sondern auch für Vögel am Futterhäuschen. Sonnenblumenöl ist auch Trägersubstanz für Ölfarben; die Pressrückstände sind ein energiereiches Viehfutter.

Die Faszination der Sonnenblume resultiert, neben ihrer Größe, aus ihrem Heliotropismus, also aus ihrer Fähigkeit, sich nach der Sonne zu drehen. So fängt sie mehr Sonnenlicht ein und beschleunigt die Reifung der Kerne. Doch hat die Sonnenblume noch weitere Tricks auf Lager, um die Energie der Sonne anzuzapfen und so viele Kerne als möglich reifen zu lassen:

Folgt Fibonacci!

Welcher Regel folgt die Zahlenreihe 0 1 1 2 3 5 8 13 21 34 55 89?

Jedes Glied ist die Summe aus den beiden vorangegangenen Zahlen. Leonardo Fibonacci (1170-1240) aus Pisa entdeckte dieses Gesetz, das heute nach ihm benannt ist. Fibonacci-Zahlen findet man überall in der Natur, in den Schuppen von Fichtenzapfen, in der Ananas, in den Blütenblättern der Gänseblümchen – und in der doppelt spiralförmigen Anordnung der Sonnenblumenkerne.


Kluger Kopf: Leonardo Fibonacci
 
Zählt man die Spiralenreihen, in denen die Kerne heranreifen, kommt man immer auf bestimmte Zahlen: 13, 21, 34, 55, 89. Spiralen, die nach links gehen, bestimmen die Anzahl der rechtsdrehenden und umgekehrt: 34 linksdrehende stehen 55 rechtsdrehende gegenüber, 13 rechtsdrehende 21 linksdrehende. Sonnenblumenkerne sind also auf geheimnisvolle Weise an Fibonaccireihen gefesselt.


Fibonacci gebietet: Gegenläufige Spiralen der Kerne

 
Doch damit nicht genug: Benachbarte Fibonaccireihen stehen in einem Verhältnis zueinander, das ungefähr dem Goldenen Schnitt von 1,618 entspricht. Beim Goldenen Schnitt entspricht das Verhältnis der langen Strecke (A+B) zum längeren Teil A dem Verhältnis des größeren Teiles A zum kleineren Teil B. Aus dem Goldenen Schnitt kann man den Goldenen Winkel errechnen, er beträgt ungefähr 137,5 *. Bei der Sonnenblume stehen Blätter am Stiel und Kerne im Goldenen Winkel zueinander. Alles klar?


Verhältnis 1:1,618 - der Goldene Schnitt
Der Goldene Schnitt ermöglicht der Sonnenblume die dichteste Anordnung ihrer Kerne; ihre Stellung im Goldenen Winkel maximiert die Ausnutzung des Sonnenlichts und minimiert die Beschattung durch die Nachbarn. Ebenso fangen Blätter im Goldenen Winkel am meisten Sonnenlicht ein.

Hier ein berechneter Blütenstand mit 1000 Samen, die im Goldenen Winkel zueinander stehen** - oder umgekehrt: Samen, die im Goldenen Winkel zueinander stehen, bilden Fibonacci-Reihen. Capisc'?
Was für ein Blütenstand hier wohl gemeint ist?

Dichte Packung, beste Ausnutzung des Raums – Goldener Winkel und Schnitt begegnen uns in den verschiedensten Naturphänomenen: in den Spiralen von Nautilusmuschel oder Wirbelstürmen, im Verhältnis von Körperlänge und Breite der Flügel von Schmetterlingen, ja sogar in der Doppelhelix der DNS in unseren Zellkernen.
Das Prinzip des Goldenen Schnitts ist den Genen der Organsimen eingeschrieben, fixiert durch die Evolution, die erfolgversprechende Mechanismen belohnt. Die Sonnenblume „weiß“ also durch die genetische Information in ihrer DNS, wie viele Kerne oder Einzelblüten sie in welchem Abstand und Winkel gegeneinander anordnen muss.

Auf dem Zahlenverhältnis des Goldenen Schnitts baut sich die Ästhetik nicht nur der westlichen Kunst auf. Die Idealproportionen nach dem Goldenen Schnitt finden sich in den Bildern Leonardo da Vincis genauso wie in der Kuppel des Tadsch Mahal oder des Doms von Florenz, in den Tempeln der Akropolis wie in den Geigen Stradivaris. Und in den berühmen Sonnenblumen Van Goghs? Goldener Schnitt allüberall:

Goldener Schnitt

Es würde einen nicht wundern, wenn auch unser ästhetischer Geschmack in unseren Genen fixiert wäre.

*360 (1-f) wobei f dem Goldenen Schnitt entspricht
**http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/316888
Alle Fotos Wikimedia Commons




























 



 

Freitag, 25. September 2015

Zirbelkiefer

Zirbelkiefer

Pinus cembra


König des Dschungels, König der Berge, Königin der Herzen – idealisierende Attribute lösen bei mir immer leichtes Fremdschämen aus, denn sie setzen ihren Gegenstand herab, banalisieren und verkleinern ihn, anstatt ihn aufzuwerten. Deshalb werden wir es unterlassen, unsere Pflanze des Monats, die Zirbelkiefer, Zirbe, Zirm oder Arve (in der Schweiz) mit ihrem üblichen Titel „Königin der Alpen“ zu bezeichnen, obwohl....verdient hätte sie ihn!

Nadeln, zu fünfen gebündelt, auffallende Zapfen, ölreiche Samen: die Zirbelkiefer
 

Die  Zirbe ist der Baum der alpinen Höhenlagen. Sie braucht kontinentales, also kaltes und trockenes Klima. Kein Baum steigt höher als sie, ist wetterhärter oder widerstandsfähiger. Die Wälder an der Waldgrenze bestehen fast nur aus Zirben, einzelne Lärchen oder Fichten sind beigemischt.
Die Zirbe ist ein Relikt aus der Eiszeit; als das Klima vor ca. 10.000 Jahren wärmer wurde, zog sie sich in die kalten inneralpinen Hochlagen zurück. Sie verträgt tiefere Temperaturen als alle anderen Bäume der Alpen, bis minus 45 Grad oder darunter. Deshalb gibt es dort, wo sie wächst, kaum Konkurrenz für sie.

Zirbenwälder bilden die Waldgrenze, hier in den Dolomiten
 

Um zu wachsen, Nadeln auszubilden und ihre Zapfen zum Reifen zu bringen, braucht die Zirbe während des kurzen Hochgebirgssommers aber auch direkte Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen. Die findet sie an steilen Südhängen; die höchsten Zirbenwälder (auf über 2500 m Höhe) haben eine Südexposition. In feuchtem Klima kommt die Zirbe nicht auf die nötige Wärmesumme. Deshalb finden wir in den regnerischen („atlantisch getönten“) Nordalpen Zirben nur an wenigen sehr hohen Stellen – das Klima wird kälter und trockener mit der Höhe. In den Nordalpen sind nur wenige Berge – Zugspitze und Watzmann – kontinental genug für Zirben. Der Wissenschaftler, der diese Theorie der so genannten Massenkontinentalität entwickelte, hatte einen Namen mit Alpinbezug, er hieß Gams.
Die charakteristische zylindrische Gestalt der Zirbe macht sie auch aus größerer Entfernung unverwechselbar. Sturmzerzauste Baumgestalten – „Wetterzirben“ – sind beliebt bei Malern und Fotografen als romantische Metapher für die raue Bergwelt.
Beliebt bei Romantikern: die Wetterzirbe

Die blaugrünen, um die 10 Zentimeter langen Nadeln der Zirbe wachsen zu fünfen gebündelt aus kleinen Knoten am Zweig, so genannten Kurztrieben. Die nah verwandten Bergföhren und Latschen haben nur zwei Nadeln in einem Kurztrieb.
Die Zapfen der Zirbe sind ungefähr eigroß, mit braunvioletten Schuppen. Sie bergen die Samen - von einer harten Schale umgebene Nüsschen. Diese sind essbar mit harzig-würzigem Geschmack und können in Brot und Kuchen verbacken werden – pinoli der Alpen.

With a little help from my friends….

Samen, umgeben von einer harten Schale, die in einem Gebirgsklima mit monatelangem Frost und hoher Schneeauflage keimen sollen – Zirben haben es nicht leicht, ihren Nachwuchs über die schwierige erste Zeit zu bringen. Da kann man a little help von Freunden gut gebrauchen. Der Freund der Zirbe ist ein Vogel, der Tannenhäher. Sein deutscher Name ist irreführend, der Tannenhäher interessiert sich vor allem für die Samen der Zirbelkiefer. Sein lautes Krächzen haben Alpinisten im Ohr: http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/tannenhaeher.html
Tannenhäher: Vergräbt Zirbennüsse als Vorrat für den Winter....

...die er aus den Zapfen hackt.

Im August in den Dolomiten, auf einer Wanderung im Zirbenwald: Tannenhäher mit vollem Kropf fliegen, sie graben Löcher, in denen sie Depots von 10 bis 20 Zirbennüsschen anlegen. Ein einzelner Vogel kann über Wochen Tausende von Samen in Hunderten von Depots anlegen – die Schweizerische Vogelwarte spricht von 30.000 bis 100.000 Nüsschen für jeden Vogel! Überall findet man sogenannte „Häherschmieden“, wo die Vögel die Zirbennüsse aus den Zapfen hacken. Im Winter holen sie sich die Samen aus dem Boden, bringen sich damit über die harte Zeit. Wie die Vögel die Samen unter einer meterhohen Schneedecke wiederfinden, ist nicht klar. Auch zu Depots, die inmitten von Freiflächen liegen, graben sie sich punktgenau durch den Schnee vor. Wahrscheinlich haben sie in ihrem Gehirn eine Art Tannenhäher-GPS.
Von den vielen Samendepots im Boden bleiben immer einige unberührt – sie werden vom Tannenhäher nicht wieder aufgesucht oder nicht wiedergefunden. Diese Samen liegen nun in einem sehr günstigen Milieu, um zu keimen: Im feuchten Boden vermodert die harte Schale, der tiefe Boden gefriert nicht so leicht und er enthält wichtige Nährstoffe für das junge Pflänzchen. Oft sieht man Zirben in kleinen Gruppen beieinanderstehen; sie sind aus demselben Samendepot gewachsen. Kuscheln wärmt: Im Inneren dieser Gruppen schaffen sich Zirben ein eigenes Mikroklima, das gegen Stürme und Kälte des Gebirges abschirmt.
Halbstarke treten gerne in Gruppen auf: Junge Zirben,
gewachsen aus einem Nüsschendepot
Die Zirbe ernährt den Tannenhäher, der die Keimung der Zirbensamen ermöglicht – eine solche win-win-Situation nennt man in der Biologie eine Symbiose.
Sehr häufig sieht man in den Alpen junge Zirbelkiefern weit über der Waldgrenze wachsen. Die Allerweltserklärung „Klimaerwärmung“ greift hier zu kurz – der Anstieg der Waldgrenze erklärt sich mit dem Rückgang der Almwirtschaft. Almflächen, für die im Mittelalter (oder früher) der Zirbenwald gerodet worden war, wachsen langsam zu. Der Tannenhäher betätigt sich hier als Waldbauer.

Almen, vom Mensch einst gerodet, von Zirben
wiederbesiedelt

Weich, hell und über Jahre aromatisch duftend: Zirbenholz war immer sehr begehrt. Die Stuben der alpinen Bauernhäuser sind damit getäfelt, Betten und Kommoden daraus geschnitzt, ebenso Heiligenfiguren in Kirchen und Kapellen.
In letzter Zeit sollen auch Betten aus Zirbenholz und mit Zirbenspänen gefüllte Kissen erholsamen Schlaf spenden; ätherischer Zirbenduft wurde zum selling point. Eine Studie wollte die Wirksamkeit bewiesen haben. Bei näherem Hinsehen war die Studie gar keine solche, es gab keine nachprüfbaren Zahlen, die Probanden hatten gut geschlafen, aber „nicht so gut wie in ihren eigenen Betten“.

Interesseloses Wohlgefallen

Vielleicht sollte man die arme Zirbe einfach vor sich hin duften lassen, ohne menschliche Ansprüche auf sie zu projizieren? Ich selber halte es gerne mit dem „interesselosen Wohlgefallen“ Kants: Er verweist uns auf das "Gefallen an der inneren Zweckmäßigkeit des angeschauten Gegenstands, ohne Gedanken an einen praktischen Zweck.“

 

 


 

 

 
 

Freitag, 28. August 2015

Blauer Eisenhut


August 2015

Blauer Eisenhut

Aconitum napellus

Sex and crime geht immer, heißt es, wenn man medial multitaskende Leser dazu bringen will, sich einem Text zu widmen.
Dieser Blog kann naturgemäß nur Blümchensex bieten, das ist aber auch nicht so der Brüller. Mit Mord und Totschlag allerdings kann das Reich der Botanik aufwarten, Giftmörder wissen das seit je. Deshalb hat es diesen Monat der Blaue Eisenhut in den Eulenblick geschafft.

Kinder und Finger weg!

Er hätte es wissen müssen, der Pharmaziestudent, damals auf der Alm im Trentino, als er in die Wurzelknolle des Blauen Eisenhuts biss, um sein Leben zu beenden. Er fand keinen schönen Tod, denn eine Vergiftung durch Aconitin, dem Gift dieser Pflanze, endet in Qualen, die bis zum Schluss durch keine Bewusstseinstrübung gemildert werden.

Der Blaue Eisenhut - mit seinen tiefblauen Blütentrauben eine wahre Schönheit - ist die giftigste Pflanze Europas. Drei Gramm aus seiner Wurzelknolle können einen Menschen töten, schon der bloße Hautkontakt mit irgendeinem Pflanzenteil ist giftig. Haut, die mit dem Eisenhut in Berührung kommt, wird taub, die Finger beginnen zu kribbeln.

Der Name der Pflanze kommt von der Form der Blüten. Von den fünf dunkelblauen Blütenblättern bildet das oberste einen Helm oder eine Kappe; manche der vielen Volksnamen deuten darauf hin: Blaukappenblume, Helmblom, Mönchskappe. Einige Lokalnamen zeugen freilich von der Giftwirkung: Ziegentod, Teufelswurz, Wolfsgift, Luppegift (Luppe kommt aus dem Mittelhochdeutschen und hat mit Zauberei, Vergiftung, zusammenziehendem Pflanzensaft zu tun).


Ober- und unterirdisch: überall Gift!

 
Aus der fleischigen Wurzelknolle wächst der Stängel bis 1,5 m in die Höhe, die obere Hälfte des Stängels trägt die vielen blauen Blüten. Der „Hut“ ist das vergrößerte fünfte Blütenblatt, das die anderen vier überragt. Eine solche Blüte nennt man zygomorph, was bedeutet, dass sie über nur eine spiegelsymmetrische Ebene verfügt. Die Blätter stehen im Wechsel dicht am Stängel, sie sind handförmig geteilt, in fünf bis sieben „Finger“, deren jeder wiederum mehrfach in sich gespalten ist.
 
Alle Teile der Pflanze sind giftig, besonders aber Wurzeln und Samen. Im Winter ist deren Giftigkeit am stärksten – Pflanzen pumpen oft Nährstoffe (und Gifte) in unterirdische überwinternde Knollen oder Wurzeln, bevor sie im Herbst oberirdisch absterben. Das Gift wirkt auf Muskulatur und Nerven; Aconitin kann aber auch über intakte Haut und Schleimhäute aufgenommen werden. Deshalb: Finger und Kinder weg von dieser Pflanze!
 
Eine Vergiftung durch Eisenhut bringt schreckliche Qualen mit sich: Krämpfe mit Erbrechen und Durchfall, das Gefühl, innerlich zu erfrieren, Lähmungen und Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen. Bei stärksten Schmerzen und vollem Bewusstsein treiben die Vergifteten dem Tod entgegen.
 
Die Giftwirkung des Eisenhuts ist mindestens seit der Antike bekannt. Es ist natürlich nicht leicht, zu rekonstruieren, welches Gift bei historisch verbürgten Giftmorden zum Einsatz kam. Doch scheint Kaiser Claudius (regierte 41 -54 n. Chr.) von seiner Frau Agrippina mit Eisenhut ermordet worden zu sein.

Jemanden mit Eisenhut zu vergiften, bot verschiedene „Vorteile“: Der Gegner starb schnell (nach 30 bis 40 Minuten war bei ausreichender Dosierung alles vorbei), manchen, die einen Rivalen nur beseitigen wollten, genügte das. Doch die Schmerzen, die das Opfer litt, stillten auch Rachegelüste und Hassgefühle des Mörders. Eine besondere Genugtuung musste es für manche auch sein, dass dem Opfer – bei vollem Bewusstsein – kurz vor Schluss oftmals ein Licht aufging, wem es seine Pein verdankte.

Der Blaue Eisenhut ist in vielen Gebirgen Europas verbreitet. Er kommt dort auf den Almen oberhalb der Waldgrenze vor, aber auch in tieferen Lagen auf nährstoffreichen, feuchten Böden, zum Beispiel entlang von Bachläufen. Sein Hunger nach Nährstoffen macht ihn zum Mitglied der sogenannten Lägerflur auf den Almen. Das sind die Plätze vor Ställen oder in Pferchen, auf denen das Vieh lagert.  Der Kot der Tiere lässt dort sogenannte Stickstoffzeiger wachsen, Pflanzen mit meist großen Blättern, die mit der Überdüngung auf diesen Plätzen zurechtkommen. Außer dem Eisenhut gehören zur Lägerflur noch Alpenampfer (die – pardon – „Scheißblätschn“), Brennnessel und der Graue Alpendost.
 

Lagern in der Lägerflur mit Alpenampfer vulgo Scheißblätschn

Wegen seiner blauen Blüten ist der Eisenhut in vielen Gärten verbreitet. Es kommt öfter vor, dass Gärtnern, die nicht aufpassen, die Fingerglieder kribbeln und taub werden, weil sie die Pflanze anfassen.

Der Wolfseisenhut, ein naher Verwandter des Blauen Eisenhuts, hat gelbe Blüten. Auch er kommt auf Almen vor und ist ebenfalls sehr giftig.

Donnerstag, 30. Juli 2015

Wilde Möhre


Juli 2015

Wilde Möhre

Daucus carota

Ähnlich wie weißblühende Sträucher (siehe Blogpost über die Traubenkirsche vom Mai 2015) ist die Unterscheidung der weißen Dolden- oder Schirmblütler für den zerstreuten Pflanzenfreund nicht einfach: Engelwurz, Giersch, Hundspetersilie, Kümmel, Kerbel, Schierling – sie schauen doch alle irgendwie gleich aus. Manch einer aus meiner Leserschaft rümpft vielleicht die Nase über diese Bekenntnisse eines Laien, doch ich weiß: Die Mehrheit fühlt sich verstanden.

An seiner Größe sollt ihr ihn erkennen und einen Bogen um ihn machen: Der giftige Riesen-Bärenklau, der in den letzten Jahren Schlagzeilen machte, ist leicht zu erkennen. Doch geht es uns heute um ein anderes, kleineres Mitglied aus dieser Verwandtschaft, die Wilde Möhre.
Sie hat ein Merkmal, das sie auf einen Blick unterscheidbar macht. Deshalb ist sie zu unserer Pflanze des Monats avanciert.


Man achte auf den Mittel-Punkt

Die Wilde Möhre stammt aus Europa und Asien; heute ist sie auch in Nordamerika weit verbreitet. Sie wächst an Wegrändern, Rainen, auf lockeren nährstoffarmen Böden. Schirmblütler haben schirm- oder halbkugelige Dolden; eine Dolde besteht aus 15 bis 30 Döldchen, die wiederum aus kleinen Einzelblüten bestehen. Im Zentrum der flachen weißen Dolde der Wilden Möhre sitzt eine (manchmal drei bis vier) sterile schwarzviolette Blüte. Auf den ersten Blick sehen diese Mittelblüten wie Fliegen aus – und das sollen sie auch: Richtige Fliegen werden angezogen und sie jagende Wespen. Auf dem Kampfplatz „Möhrendolde“ kann es hoch hergehen. Dabei wird Pollen zwischen den Blüten ausgetauscht. Flüchtende Fliegen und ihre Verfolgerwespen landen auch schon mal auf Dolden in der Nachbarschaft und laden dort fremden Pollen ab. Damit wird der wichtigste Zweck der Evolution erfüllt – der Austausch von Genen.



Wie viele Insekten?
 

Zwei schwarzviolette Mittelblüten
Die Funktion der schwarzen kleinen Blüten ist es also, Bestäuber anzulocken. Sie ist das Merkmal, an dem wir die Wilde Möhre auf den ersten Blick erkennen (und vor anderen damit angeben) können. Ein zweites Merkmal ist die vogelnestartig gekrümmte verblühte Dolde; zurzeit sieht man diese "Nester" überall an Straßen- und Wegrändern oder in Wiesen stehen.

Lauter Nester auf Stängeln am Wegrand

Die Wilde Möhre hat eine tiefe weiße Pfahlwurzel, die nach Karotte riecht, wenn man sie zerschneidet. Die Blätter sind gefiedert, ähnlich wie jene der Kulturmöhre.

 
Die Wilde Möhre ist zumindest ein Elternteil unserer Kulturmöhre, Karotte oder Gelben Rübe. Möhre sagt man eher im norddeutschen, Karotte im süddeutschen Raum. Doch gibt es Ausnahmen von dieser Regel: Tiroler sagen Karotte oder Gelbe Rübe; mein steirischer Mann ist nicht davon abzubringen „Möhren“ zu schneiden, sautieren und blanchieren.
 

Ein Geschenk der Stans

Die Wege der Wilden Möhre auf unsere Teller waren verschlungen. Historiker, Gärtner, Genetiker versuchten, ihre Geheimnisse zu ergründen. Wahrscheinlich entstand die Kulturpflanze Daucus carota sativa durch Kreuzung der „eigentlichen“ Wilden Möhre (der sogenannten Nominatform) mit der weißen südeuropäischen Unterart maximus und der schwarzvioletten asiatischen Unterart afghanicus. In Kleinasien, dem Überschneidungsgebiet der verschiedenen Formen, züchtete man Möhren in den verschiedensten Farben von weiß über gelb bis violett.

In Kleinasien und Innerasien domestizierte man Karotten schon vor vier- bis fünftausend Jahren. Die violette Möhre dort war in den „Stans“ verbreitet: in Turkmeni-, Kyrgysi-, Tadschiki-, Usbeki- und vor allem Afghanistan. Begehrt war zunächst nicht die Wurzel, sondern das Öl aus den Samen, das als Wurmkur und Heilmittel bei Bauchkrämpfen und Darmkrankheiten diente. Die Wurzel als Kohlehydratlieferant entstand erst im Lauf jahrhundertelanger Züchtung.

Die Möhre war also nicht Nahrungs-, sondern Heilpflanze. Dabei spielte natürlich der Kräuterglaube eine Rolle: Die schwarze Mittelblüte sollte bei Epilepsie helfen. Kulturmöhren weisen keine Mittelblüte mehr auf; Gläubige müssen sich weiter an die Wildform halten. Doch Vorsicht ist geboten: Die Wilde Möhre ist leicht mit anderen Doldenblütlern zu verwechseln; zum Beispiel mit dem Schierling, einer Pflanze, die „richtig“ giftig ist. Sokrates musste nicht an das Gift glauben, um daran zu sterben.

Welche Farbe erscheint vor Ihren Augen, wenn Sie Karotte hören? Junge Leute denken orange, sehen gerade, glatte Möhren vor sich, die heutige Norm-Supermarktkarotte. Bei älteren Semestern (zu denen die Bloggerin mittlerweile ja leider auch gehört) kommt vielleicht noch etwas gelb dazu, gemischt mit der Erinnerung an einen holzigen Biss und kleine weiße Seitenwurzeln.

Gelb, weiß und dunkelviolett war die Möhre seit der Antike, orange hingegen erst seit der Neuzeit. Die carotae Roms waren ziemlich blasse Früchte, weiß bis blassgelb. In antiken Schriften wurden Möhren und Pastinaken oft nicht unterschieden.


Wilde Möhre mit weißer Wurzel


Das wichtigste Dokument des Mittelalters zu Fragen der Pflanzenkultur (und zu vielen anderen) ist das Capitulare de Villis Karls des Großen. 812 in Aachen verfasst, spiegelt es die Wirtschaftsordnung des Fränkischen Reiches im Detail wider. In einem Kapitel sind 90 Pflanzen erwähnt, die in den Karlsgärten angebaut werden sollten; jede Pfalz und alle kaiserlichen Gutshöfe sollte so einen Garten haben. Die Pflanzenliste spiegelt die Traditionen der Antike und der Klöster des Mittelalters wider. Die Nr. 52 – caruitas – Karotte und Nr. 53 – pastenacas – Pastinake sind klar unterschieden.

Wortelen aus Hoorn 

Wie aber wurden gelbe Karotten orange? Im Mittelalter begann man allmählich, außer den Samen auch die Wurzel und deren Carotingehalt gezielt zu züchten. Wahrscheinlich wurde man sich der gesundheitlichen Bedeutung der gelben und orangen Farbstoffe langsam bewusst.

Im zweiten bedeutenden Herkunftsland der Karotte, Afghanistan, untersuchte und sammelte der russische Botaniker Nicolai Vavilov (geb. 1924) auf einer großen Expedition 5000 Sorten domestizierter Möhren. Er fand keine Sorte mit Carotin. Die dunkelvioletten afghanischen Karotten enthielten nur blaue Anthocyane; die Wurzel war Kohlenhydratlieferant.

Aus Beta-Carotin (Provitamin A) bildet der Körper sein Vitamin A. Es ist das Augen- und Hautvitamin und fördert die Knochenbildung bei Heranwachsenden. Mangel an Vitamin A kann Blindheit hervorrufen. Außer in gelben und orangen Früchten (Marillen, Pfirsichen, Reineclauden) kommt es auch in grünen Gemüsen vor, in Spinat oder Grünkohl. Dort ist das Carotin durch das Blattgrün verdeckt.

Genetische Untersuchungen zeigen, dass orange Möhren aus gelben domestizierten Varietäten hervorgegangen sind. Holländer können nicht nur Tulpen: Die moderne orange Karotte entstand in – sieh an – Oranje, in der Stadt Hoorn. 1610 waren orange Karotten, die Hoornse Wortelen, schon auf den Märkten von Amsterdam zu finden. Im 17. Jahrhundert tauchten sie auch in England auf. Erst ab dem Zwanzigsten Jahrhundert setzte sich die Hoornsche Karotte dann überall durch und verdrängte andere Varietäten. Gelbe Rüben waren und sind vor allem noch Futter für das Vieh.

Heute ist die Karotte weltweit das dritthäufigste Gemüse; 10 Millionen Tonnen werden jedes Jahr produziert.

 
 

 

 

 

 

 

 

 
 
 
 
 




 

Freitag, 26. Juni 2015

Gemeine Esche


Juni 2015

Gemeine Esche

Fraxinus ornus

 

Ein unauffälliger Baum, ein vertrauter Anblick
 

Das Erbe des Kolumbus

Bevor wir uns der europäischen Esche, unserer Pflanze des Monats zuwenden, machen wir einen kurzen Abstecher auf die Philippinen. Ein Volkslied dort besingt den Bahay Kubo, das traditionelle Einraumhaus. Ein Garten gehört dazu, zusammen mit einer langen Reihe verschiedenster Gartenfrüchte*:

Yambohne, Aubergine,
Flügelbohne, Erdnuss,
Spargelbohne, Limabohne,
Helmbohne, Wachskürbis,
Schwammkürbis, Flaschenkürbis,
Riesenkürbis.
Rettich, Senf, Zwiebel,
Tomate, Knoblauch, Ingwer
Und allüberall sind Sesamsamen.

So sieht der altehrwürdige, traditionelle und ursprüngliche Garten des Bahay Kubo aus. Doch stammen ausnahmslos alle dieser Pflanzen nicht von den Philippinen, sondern aus Amerika, Afrika und Ostasien.

Sie sind der ferne Anklang an eine Reise, die einen Mann, der sich Kolumbus nannt‘, 1492 von Madeira über den Atlantik nach Indien bringen sollte. Nach Indien kam  er nicht, denn etwas lag im Weg: Der Kontinent, den wir heute Amerika nennen.

Mit Kolumbus begann die große Zeit der Seefahrer und Entdecker – Vasco da Gama, Magellan, Pizarro. Sie waren auf der Jagd nach Silber, Gold, Seide und Gewürzen. Mit ihnen fuhren auch Ratten, Katzen, Kakerlaken über die Meere, Stare, Schwalben und Tomaten; Kürbis, Mais, Kartoffeln und Hunderte anderer Tiere und Pflanzen mehr.

Die Verfrachtung neuer Arten über Kontinente durch den Menschen wird der Kolumbianische Austausch genannt. Er brachte die Kartoffel aus den Anden nach Europa und in die Berge Asiens; Mais und Maniok nach Afrika; Tabak, Reis, Orangen in alle Kontinente. Pflanzen aus Nordamerika - Tulpenbäume, Glyzinien, Robinien, Fuchsien und Hortensien - lösten ab dem 17. Jahrhundert die Gartenmanie der Engländer aus.
 
Botaniker, Zoologen und Biogeographen teilen ihre Zeitrechnung in die Zeit vor und nach Kolumbus ein, für sie begann die Globalisierung um 1500.

Die meisten der neuen Organismen blieben in der Nähe des Menschen, in seinen Gärten, Äckern und Ställen. Manche versuchten auch, in die neuen Ökosysteme einzuwandern, meistens mit fatalen Folgen für sie: Mehr als 90 % der eingewanderter Arten können gegen die Konkurrenz der alteingesessenen nicht bestehen und verschwinden bald wieder. 
 
Manche Organismen breiten sich erfolgreich in neue Ökosysteme aus, aus denen sie zwischenzeitlich verschwunden waren. So begann der europäische Regenwurm, sich in den nordamerikanischen Böden vorzuwühlen, – er war seit der letzten Eiszeit ausgestorben, die Europäer hatten ihn wieder zurückgebracht. Mittlerweile hat er den ganzen nordamerikanischen Boden durchgekaut und wieder ausgeschieden.

Güter und Menschen bewegen sich heute immer schneller, weiter und öfter über den Globus. Der - meist unabsichtliche -  Transport von Arten hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen.

Einige eingeschleppten Arten pflügen Ökosysteme grundlegend, nachhaltig, unumkehrbar um oder zerstören sie vollkommen. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich das Kaninchen, das den australischen Kontinent zutiefst veränderte. Manche gefährlichen Einwanderer sind winzig klein, nur wenige Tausende Millimeter groß: Es sind die Sporen von Pilzen. Ein asiatischer Pilz rottete die nordamerikanische Edelkastanie fast aus, ließ auch die europäischen Bestände großteils verschwinden. Die europäischen Ulmen fielen dem Wüten eines ostasiatischen Schlauchpilzes, übertragen vom Ulmensplintkäfer, zum Opfer. Und als nächste, so scheint es, ist die europäische Esche dran.

Kränkelnde (links) und gesunde Esche

Weltenbaum Esche


Weltenbäume waren in vielen Kulturen Symbole des Göttlichen und des Kosmos. In Indien war es der Bodha – Baum, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand; in Mexiko wand sich die heilige Schlange Quetzalcoatl um den Weltenbaum. Im Erdreich verankert, ragen Götterbäume in den Himmel, verbinden Menschen und Götter. Die Krone stützt das Himmelsgewölbe, sie gewährt Schutz vor Wind und Wetter und nährt die Fackel.

Der Weltenbaum der Germanen war Yggdrasil, die Esche. In der Edda wird beschrieben, wie Yggdrasil alle Reiche des Kosmos verbindet, die Unterwelt, die Menschenwelt und die Götterwelt der Asen. Die Krone der Weltesche reicht über den Himmel hinaus, ihre Zweige bedecken die Welt. Die Krone ist Asgard, der Wohnsitz der Götter, eine der Wurzeln reicht bis in die Unterwelt. In Niflheim sitzt der Drache Nidhögg und nagt an der Wurzel Yggdrasils. Er wird den Weltenbaum zum Welken bringen, am Tag der Götterdämmerung.
 
Gut zum Speerschnitzen: das harte Eschenholz
 
 
Der Grund, warum ausgerechnet die Esche eine so große Rolle im Mythos einnimmt, liegt in der Bedeutung, die der Baum für den Krieg hatte: Der Speer der Germanen war aus Eschenholz geschnitzt. In Wagners Götterdämmerung schnitzt Wotan sich seinen Speer aus einem Ast der Weltenesche. Das helle Holz der Esche ist sehr hart und elastisch und sehr gesucht für Geräte, die mechanischen Belastungen ausgesetzt sind. So sind Tennisschläger, Reifen und Turngeräte und die Stiele von Gartengeräten und Werkzeugen aus Eschenholz, ebenso wie die Skier unserer Altvorderen. Auch für hochwertige Möbel und Parkettböden wird Esche verwendet.

Zusammengesetztes Blatt
 
 
Pflanzen erkennt man an ihren Blättern; die Vielfalt der Blattgestalten entspricht der Vielfalt der Pflanzen. Bei der Esche ergibt sich die Frage, welches nun ein Eschenblatt ist – die einzelne kleine Blattfieder oder das Ensemble, das um den Blattstiel aufgefädelt ist? Botanisch gesehen, sitzt an der Basis eines jeden Blattes eine Knospe, aus der im folgenden Jahr wieder ein Blatt oder eine Blüte hervorgehen. An der Basis der kleinen Eschenfiedern sitzt keine Knospe, die finden wir erst an der Basis des Blattstiels. Eschen haben sogenannte zusammengesetzte Blätter, ähnlich wie z.B. Vogelbeeren oder Nussbäume.
 
Am Fuß jedes Blattes eine Knospe
 
 Aus den wenig auffälligen dunkelroten Blüten der Esche entwickeln sich die geflügelten Samen; die Blüte ist noch vor dem Austreiben der Blätter abgeschlossen.

Der wissenschaftliche Name der Esche Fraxinus kommt vom griechischen phraxos – Einzäunung – und weist auf eine weitere Eigenschaft der Esche hin: Ihre Krone kann in jede gewünschte Form geschnitten werden und nimmt es auch nicht übel, wenn sie immer wieder geschnaitelt, d.h. ihrer Blätter beraubt wird. In manchen Gegenden, z.B. in Südtirol, findet man Schnaiteleschen neben den Wegen, oder sie markieren, zu markanten Baumkrüppeln geschnitten, die Grenze der Wiese oder des Felds. Im recht trockenen Südtirol ist die Esche von Natur aus ein seltener Baum; sie wurde aber vom Menschen weit verbreitet. Die Esche ist eigentlich ein Baum der Talböden; sie bevorzugt feuchtes Klima und ist ein Charakterbaum des periodisch überfluteten Auwaldes.

An talnahen Orten wie Eschenlohe oder Grafenaschau wachsen Eschen gut; auch der Name Eschenbach weist auf die Vorliebe der Esche für feuchte Standorte hin.

Welt ohne Weltenbaum


Dieser Baum ist unauffällig, und unauffällig hat sich die tödliche Gefahr an ihn herangemacht. Vor über zehn Jahren sah man im Baltikum und in Polen immer mehr Eschen mit abgestorbenen Zweigen, bald auch tote junge Bäume. In Mitteleuropa trat die neue Eschenkrankheit um 2008 das erste Mal auf. Mittlerweile stehen im Wald und der freien Landschaft viele kranke oder tote Eschen.



Die Spitze trifft es zuerst: Symptome des Eschensterbens
 

Als Ursache fand man bald das Weiße Stängelbecherchen, einen kleinen Pilz, der sich im Sommer auf den Spindeln der Blätter vom Vorjahr entwickelt. Doch dieser Pilz war seit langem als harmlos bekannt. Was hatte ihn auf einmal in ein Raubtier verwandelt, das seine Beute in kurzer Zeit zur Strecke bringt? Eine DNA-Analyse brachte 2010 Klarheit: Das virulente „neue“ Stängelbecherchen war ein anderer Pilz, eine Schwesternart des alten, harmlosen. Wahrscheinlich ist es identisch mit einem japanischen Pilz, der japanische Eschen befällt und dort wenig Schaden anrichtet. Von Japan aus trat er seine kolumbische Reise über die Kontinente an.

Eschen gehören zu den charakteristischen Bäumen von Mischwäldern auf feuchten Böden. Das Eschensterben bedroht nun ihren Fortbestand in Mitteleuropa.
 
Braune Verfärbungen der Blätter und Welke sind die ersten Symptome; über die Blattspindel dringt der Pilz in Zweige, Äste und das Holz des Stammes ein. Bald verstopft der Pilz die Leitungsbahnen; der Baum stirbt von oben her ab. Hellbraune Flecken an der Rinde der Zweige, Nekrosen am Stammfuß kommen dazu. Viele Eschen bilden sekundäre Seitenzweige, die wie Bürsten an den dürren Ästen abstehen.

Was tun? Die Pilzsporen befinden sich überall in den europäischen Ökosystemen, wenn nicht im Boden, so in der Luft – dass wir sie wieder loswerden, können wir nicht hoffen. In England bekämpft man den Pilz: In Pflanzgärten vernichtete man Hunderttausende Sämlinge, die aus Europa importiert worden waren. Befallene Eschen verbrennt man, wo immer man ihrer habhaft wird. Die splendid isolation der Insel fehlt auf dem Kontinent; man weiß, dass eine aktive Bekämpfung sinnlos ist. In Dänemark sind inzwischen 90 % der Eschen abgestorben.

In befallenen Beständen gibt es immer wieder Individuen, die keine Symptome entwickeln. Manche Quellen sprechen von 10 % der Eschen, denen der Pilz nichts anhaben kann. Auf ihnen liegt die Aufmerksamkeit der Forstleute – von ihnen könnten die Eschen der künftigen Waldgeneration kommen. Doch werden wir wohl für Jahrzehnte auf den Anblick von Eschen in Alleen, an Bachläufen und in Wäldern verzichten müssen.

*Charles C. Mann. Kolumbus' Erbe. Hamburg 2013