„A Larch unterm Doch
isch a ewige Soch.“
Es gibt Dinge, die kann man nicht nicht wissen. Wie der
Eiffelturm aussieht zum Beispiel, oder ein Zebra. Wie eine Birke aussieht,
gehört auch zu jedermanns Weltwissen, Alpenbewohner kennen auch die Lärche (Larix decidua), den
einzigen europäische Nadelbaum, der sich im Herbst gelb färbt, bevor er seine
Nadeln abwirft. Aus mittleren Höhen bis zur Waldgrenze leuchten Lärchen aus den
dunkelgrünen Wäldern hervor, bevor sie dann im Spätherbst grau, nackt und kahl
dastehen.
Bis 40 m hoch kann der Baum werden; in der Jugend wächst er
sehr rasch, im Alter lässt vor allem das Höhenwachstum nach, die Lärche bildet
ihre typische knorrige, unregelmäßige Krone aus. Lärchen gehören zu den ältesten
Bäumen Eurasiens – die sogenannten Urlärchen aus dem Ultental in Südtirol sind älter
als 2000 Jahre. Ich selber habe an einer Lärche an der Waldgrenze im Südtiroler
Pfitschtal 700 Jahrringe gezählt. Dieser Baum hatte einen Durchmesser von etwas
über 50 cm, war also kein Riese – dafür waren die Jahrringe so eng, dass sie
nur im Mikroskop auseinander zu halten waren.
Tiefe starke Wurzeln machen die Lärche widerstandsfähig
gegen Stürme. Die rotbraune Borke, von tiefen Rissen durchzogen, wird bis zu 20
cm dick. Die Nadeln sind hellgrün und weich – ihnen fehlt die Wachsschicht, wie
sie für Nadelbäume sonst typisch ist. Der Wachsüberzug schützt die Nadeln vor
Wasserverlust durch den Frost des Winters („Frosttrocknis“), das braucht die
Lärche nicht. Die Nadeln sind 3 bis 4 cm lang; an den Langtrieben am Ende der
Zweige stehen sie einzeln; dahinter wachsen sie in Büscheln aus den
charakteristischen Knöpfchen, bis zu dreißig oder vierzig Nädelchen.
Die sommerliche Modefarbe der Lärche ist hellgrün, die Farbe
ihrer Nadeln. Im Frühjahr kombiniert sie das winterliche Grau ihrer Erscheinung
mit dem wunderschönen Beerenrot der weiblichen Blüten, aus denen im Herbst die
kleinen Zapfen reifen. Die männlichen Blüten ergänzen das Frühjahrskostüm mit
dezenten gelben Tupfen, der Farbe des Pollens.
Rote weibliche, gelbe männliche Lärchenblüten |
Weich, hellgrün, gebündelt: Lärchennadeln |
Unverwechselbar ist die Lärche auch wegen ihrer dicken
rotbraunen, rissigen Borke (bis 20 cm dick) und wegen ihres Holzes mit dem
dunkelroten Kernholz und dem hellgelben äußeren Splint. Das Lärchenholz gehört
zu den härtesten Nadelhölzern, es ist ein gutes Brennholz und durch den hohen
Harzgehalt sehr widerstandsfähig gegen Fäulnis. Blockhütten auf Almen,
Dachbalken und Dächer aus Lärchenschindeln können Jahrhunderte lang halten: A
Larch unterm Doch isch a ewige Soch.
Die Lärche wächst in Mischwäldern, vor allem mit Fichte und,
in hohen Lagen, mit der Zirbelkiefer. In den Alpen steigt sie bis auf über 2000
m, bildet mit Zirbe und einzelnen Fichten die Waldgrenze. Der wichtigste Faktor
für ihre Verbreitung ist ein kontinentales, winterkaltes und sommertrockenes
Klima.
Goldener Lärchenherbst im Gebirge |
Die Lärche ist sehr „lichthungrig“, wie Botaniker sagen;
Schatten und Nebel verträgt sie nicht. Auf nackten Böden, zum Beispiel nach
Bränden, in Lawinenbahnen oder auf Windwürfen, tritt sie als Pionierpflanze
auf, das heißt, sie besiedelt als erste Rohböden, kann auf den ärmsten Böden
Wurzeln schlagen.
Wenn nun viele Lärchensämlinge gleichzeitig aufkommen,
bildet sich im Laufe von Jahrzehnten ein reiner Lärchenwald. In so einem Wald
ist es für Lärchensämlinge bald zu dunkel, sie können nicht aufkommen. Bei
ungestörter Entwicklung wachsen mit der Zeit schattentolerante Arten auf,
Fichten und Zirben. Zuletzt haben wir einen Fichtenwald vor uns oder einen
Fichten-Zirbenwald, mit wechselnden Anteilen alter Lärchen. Ein reifes Stadium
in einem Ökosystem wird Klimaxstadium genannt. Fällt ein solcher Wald Stürmen,
Feuer oder Lawinen zum Opfer, beginnt der Zyklus von vorn. Ein solcher, hier
idealtypisch nachgezeichneter Zyklus, kann einige Jahrhunderte dauern. Doch greift
der Mensch durch die Nutzung der Wälder in diese Entwicklung ein – soll die
Lärche gefördert werden, wird durch kräftiges Ausdünnen Licht auf den Boden
gebracht, so dass Lärchensamen wieder auskeimen können. Allein in den
italienischen Alpen gibt es 360.000 ha reinen Lärchenwald.
Wiesenlärche/Lärchenwiese
Hungrig nach Licht ist die Lärche, schattenwerfende
Bedränger kann sie gar nicht ab, sie bildet sehr lockere Bestände. Im Frühjahr
trägt sie noch keine Nadeln – deshalb gedeihen unter ihrem Schirm lichthungrige
Gräser und Kräuter für die Viehweide, oder zur Heugewinnung. Im Herbst düngen
die herabfallenden Nadeln den Boden.
Wald und Weide zugleich: Lärchenwiese in Südtirol |
Die Doppelnutzung von Wald und Weide, die Lärchenwiese, ist
wahrscheinlich Jahrtausende alt – in der Schweiz fand man in Mooren Pollen aus
der Bronzezeit von Lärchen und Weidepflanzen in der gleichen Schicht.
Lärchenwiesen gibt es vor allem auf Hochebenen des Alpenhauptkamms oder der
Alpensüdseite, in Südtirol und der Schweiz. Die meisten von ihnen stammen aus
dem Mittelalter – der hochmittelalterliche Siedlungsausbau ließ die Bevölkerung
wachsen, das Vieh der Bauern drang immer weiter in die Wälder vor. Die
Waldweide lichtete den Wald auf, das begünstigte das Aufkommen der Lärche,
Gräser und Kräuter wuchsen dem Vieh ins Maul.
Die halboffene Landschaft der Lärchenwiese – strukturell
einer Savanne ähnlich – ist ein artenreiches Ökosystem, in dem viele seltene
Arten leben: Neuntöter, Ringdrosseln, Baumpieper, auch Orchideen.
Zur ökologischen kommt die kulturhistorische Bedeutung dieser
Landschaftsform, die durch die bergbäuerliche Arbeit entstanden war. Durch die
Aufgabe der Viehweide drohen Lärchenwiesen zu verbuschen, oder durch
Nutzungsintensivierung (Düngung, Fällen der Lärchen) seltene Arten zu
verschwinden. In Schutzgebieten, wie zum Beispiel dem Naturpark Trudener Horn
im äußersten Südwesten Südtirols, versucht man, Lärchenwiesen zu erhalten.
Lörget
„Das Lörget ziecht“,
murmelt er vor sich hin, „ziecht alles Gift und alle Unreinigkeit aus dem
Geblüet, und das Murmentenschmalz hilft mit, hat alleweil noch geholfen!“
„Der Schmierberlugges“ von Karl Schönherr
„Der Schmierberlugges“ von Karl Schönherr
Dicke Harzkanäle durchziehen das Lärchenholz, seine
Holzscheite machen klebrige Finger. Das duftende Harz enthält die Allheilmittel
der Volksmedizin, ätherische Öle. Lärchenpech oder „Lörget“ galt als
schleimlösend, wassertreibend, durchblutungsfördernd, antiseptisch; es sollte
gegen Katarrh, Krämpfe, Geschwüre, Rheuma, Zerrungen wirken. Eine klebrige
Salbe aus Lärchenpech, auf Leinen aufgetragen, war das viel gebrauchte Lärchenpflaster.
Wichtig war Lörget bei Mensch und Tier auch als Zugsalbe für einen „Schiefer“
(tirolerisch für Splitter).
In Tirol gibt es den schönen Nachnamen Lörgetbohrer – jener, der Lärchen anbohrt, um Harz zu gewinnen. Auf
einer Wanderung im Naturpark Trudener Horn sah ich vor kurzem zum ersten Mal auf einer
Lärchenwiese frisch angebohrte Bäume – nahe am Boden die mit einem Spund
verschlossenen Bohrlöcher, darüber das Zeichen desjenigen, der die Lizenz zum
Bohren hat. Im Bohrloch sammelt sich das Lörget, das Lärchenharz, das nach ein
paar Wochen mit einem eisernen Drehstab entfernt wird. Ein Baum gibt an die 300
g Harz im Jahr, höchstens vier Kilogramm. Das Bohren kann das Wachstum des
Baumes stören, erst zehn Jahre vor dem Fällen beginnt man deshalb mit dem
Bohren.
Das Lörgetbohren ist eine Nutzungsform der Vergangenheit;
nur wenige Bäume werden noch angebohrt. Im Naturpark wird es noch gepflegt. In der Vergangenheit war das Harz sehr
begehrt und wurde weit gehandelt. Durch Wasserdampfdestillation gewann man
Terpentinöl (Trementina di Venezia)
als Basis für Lacke und Klebstoffe.
Lörgetbohrer am Werk |
Hinterm Spund das Harz |
Lizenz zum Bohren |