Kleine Umleitung zur Einleitung
Mit zygomorpher Blüte: Wildform des Usambarveilchens |
Werner
Bätzing, der bekannte Alpenforscher, betont die Rolle der Alpenstädte für die
Zukunft der Alpen. Die mittelgroßen Städte im Inneren des Gebirges und an
seinem Nord- und Südrand sollen die wirtschaftliche und kulturelle
Marginalisierung des Alpenraums abmildern, in einer Kombination aus regionaler
Wertschöpfung, Produktion von Qualitätsprodukten, neuem Tourismus, neuer
Mobilität und Vernetzung der Städte untereinander.
Bätzing
würde Trento, zu Deutsch Trient, wohl in diese Kategorie von zukunftswichtigen
Alpenstädten einreihen. Trient (117.000 Einwohner), Hauptort des Trentino, liegt
an der Etsch zwischen Bozen und Verona. Vielen ist das Konzil von Trient (1545
bis 1563) ein Begriff, das die Gegenreformation einleitete. Bis 1918 war Trient
Teil Österreich-Ungarns, Hauptort „Welschtirols“. Bekannt sind Bauten aus
Mittelalter und Renaissance im alten Zentrum.
Auf einer
riesigen Industriebrache am Stadtrand, einer ehemaligen Michelin-Reifenfabrik,
entstand in den letzten Jahren ein neues Quartier, konzipiert nach besten
ökologischen und städtebaulichen Standards: nachhaltige Energieversorgung,
eingeschränkter Verkehr, gemischte Gebäudenutzung mit Wohnungen und Büros,
Geschäfte, Restaurants, Spielplätze, Lauben und Bäume. Am Nordende das
spektakuläre neue Naturkundemuseum, in Form eines Berggipfels, als Reverenz an die Berge des Trentino - wie die ganze neue Stadt geplant von Renzo Piano.
Spektakulär: das neue Naturkundemuseum in Trient |
Ein langer
Korridor führt vom Museum in ein Treibhaus mit Pflanzen eines tropischen
Bergregenwaldes aus den Udzungwabergen Tanzanias. Gleich hinter dem Eingang
leuchten aus einer kleinen Felswand dunkelviolette Blütensterne, die viele von
uns eher auf Omas Couchtischchen vermuten würden, als im tropischen Afrika: Usambaraveilchen,
die überaus gewöhnlichen, alltäglichen, bescheidenen Topfpflanzen. Ihren Namen
haben sie von den Usambarabergen, wie die Udzungwaberge Teil der Eastern Arc
Mountains, die sich vom äußersten Südosten Kenias in den Nordosten Tanzanias
hinein erstrecken. Von hier traten sie ihre Reise in die Gärtnereien in aller
Welt an. Die Wildform des Usambaraveilchens wächst nur in den Eastern Arc
Mountains.
Eindruck aus aus den Udzungwabergen |
Eine Pflanze
für kleine Leute, ohne Glamour, nichts zum Angeben – das arme Usambaraveilchen
hat ein Spießerimage. Doch das ist völlig unverdient – diese Blümchen wartet
mit einer spannenden Geschichte auf.
Kein
„Veilchen“
Usambaraveilchen
sind, wenig überraschend, keine Veilchen. Sie haben nur die Blütenfarbe mit
ihnen gemein. Die Stängel sind niedrig und behaart, die Blüte hat fünf
Kelchblätter; auffallend sind die zwei gelben Staubbeutel. Die samtigen
behaarten Blätter bilden eine Blattrosette aus; die Pflanze ist ein
Flachwurzler. Die Blüten der Wildform sind etwas unregelmäßig geformt,
spiegelsymmetrisch(„zygomorph), die Blüten der Kulturformen sind meist
symmetrisch. Das Usambaraveilchen wächst in schattigen, feuchten, bemoosten
Schluchten.
Hübsch,
unempfindlich, preiswert und Erinnerungen an die Kindheit weckend: Nicht
umsonst ist das Usambaraveilchen eine der beliebtesten Zimmerpflanzen. Die
Wildform hat 11 Unterarten; aus ihnen und der „Mutterpflanze“ Saintpaulia ionantha züchteten Gärtner
die vielen Kulturformen. Allein in den Usa – zusammen mit Russland der
wichtigste Markt für die Pflanze – gibt es über 2000 Sorten, in Farben von weiß
über rosa, hellblau, dunkelblau, lila bis schwarzviolett, mit glatten oder
gefransten Blütenblättern, behaarten, glatten, fleischigen, dünnen Blättern,
ein-oder zweifarbigen Blüten. Die Zuchtformen sind größer als die Wildform, sie
bilden mehr Blüten aus.
Die Pflanzen
sind äußerst pflegeleicht und unempfindlich; „dankbar“ – ein altmodisches Wort für
unser altmodisches Topfpflänzchen.
Eine von Tausenden Kulturformen |
„Aus Afrika“
Bei ihrem Anblick im Treibhaus des Museums in Trient fiel
mir ein, dass ich als Kind gehört hatte, das Usambaraveilchen stamme „aus
Afrika“. Fragt sich, wie es aus Afrika ausgewandert ist. Die Antwortet ist,
wenig überraschend: Kolonialismus.
Die Usambaraberge bestehen aus uraltem, 600 Millionen Jahre
altem Gestein, mit steilen Hängen und tiefen Klüften. Sie sind in ein Ost- und
ein größeres Westgebirge geteilt. Die Nähe zum Indischen Ozean beschert ihnen
hohe Niederschläge (bis 2.000 mm/Jahr). Der ozeanische Einfluss milderte
trockene und kalte Perioden während der Eiszeiten. Auch heute sind die
Usambaraberge viel nasser als andere Gegenden auf demselben Breitengrad. Durch
diese Klimakonstanz sind die Wälder der Usambaraberge seit 30 Millionen Jahren
unverändert. Das hat zwei Folgen: Erstens ist der Artenreichtum extrem hoch und
zweitens hyperventilieren Biologen vor Begeisterung. Besonders reich sind die
Berge an biologisch extrem kostbaren Endemiten, an Pflanzen und Tieren, die nur
hier und sonst nirgends auf der Welt vorkommen. Allein 40 Baumarten kommen nur
im östlichen Teil des Gebirges vor; Usambara-Uhu, Rote Usambara-Vogelspinne und
der Grüne Waldsteigerfrosch leben gut versteckt im Bergnebelwald. Unser
Usambaraveilchen gilt als teilendemisch; es kommt ja auch in den anderen Teilen
der Eastern Arc Mountains vor.
Von Wilhelmstal nach Herrenhausen
Ab 1895 waren die Usambaraberge Teil Deutsch-Ostafrikas. Im
kühlen Bergklima, in dem es keine Malaria gab, legten die deutschen
Kolonialherren Farmen, Plantagen und Missionsstationen an. In Wilhelmstal, dem
heutigen Lushoto, verbrachten sie ihre Sommerfrische Sie chillten aber nicht
nur in der schönen Bergluft, sondern holzten in den Urwäldern, was die Säge
hergab. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Tanzania („Tanganjika“) britisches Protektorat.
Es wurde munter weitergesägt, bis in die Siebziger Jahre, in denen die Finnen
ein Sägewerk betrieben. Sie waren es auch, die erste Initiativen zum Schutz der
Wälder starteten. Heute sind 30 % der ursprünglichen Regenwälder erhalten, sehr
viele Schutzgebiete sind eingerichtet. Tanzania verfolgt hier wie auch in den
berühmten Savannen-Nationalparks wie der Serengeti eine entschlossene
Naturschutzpolitik. Wegen der großen Zahl von Endemiten sind die östlichen
Usambaraberge seit dem Jahr 2000 als biodiversity
hotspot der UNESCO ausgewiesen, als einer von nur 34 auf dem gesamten
Planeten.
Wilhelmtal, heute Lushoto, in den Usambarabergen |
Touristisch ist das Gebiet wenig erschlossen, doch gibt es
Trekkingwege und Programme für Naturliebhaber. Lushoto ist Ausgangspunkt für
Ausflüge und naturkundliche Wanderungen in die Usambaraberge. Ein großes
Problem ist der Bevölkerungsdruck im Gebiet; die Usambaraberge gehören zu den
ärmsten Gebieten Tanzanias. Die Geburtenrate ist mit 4 % doppelt so hoch wie im
Rest des Landes.
Das Zeitalter der großen Entdeckungen und des Kolonialismus
richtete bei den „Entdeckten“ und Kolonisierten großes Unheil an. Weniger
unerfreulich war, dass das Interesse für exotische Pflanzen und Tiere in Europa
erwachte, Forscher auf ihren Expeditionen Tausende neuer Arten sammelten,
beschrieben und versandten. Die Obsession der Briten für Pflanzen aller Art
stammt aus jener Zeit; von George Banks, der mit Captain Cook nach Australien
reiste, war auf dieser Seite im Kapitel über die Brotfrucht schon die Rede.
Peter Collins war im 18. Jahrhundert Importeur Tausender nordamerikanischer
Pflanzen nach England, gesammelt und verschifft von John Bartram. In
Deutschland (eigentlich in Preußen) waren es vor allem Vater und Sohn Forster (letzterer
mit Cook auf dessen zweiter Reise auf dem Schiff) und natürlich Alexander von
Humboldt, die Nachrichten, Proben, Material mitbrachten. Sie bedienten die
Neugier auf und das Interesse für fremde Länder, das Studium der belebten und
unbelebten Natur im Zeitalter der Aufklärung.
In dieser Tradition stand auch Adalbert Emil Walter Redliffe
le Tanneux von St. Paul-Ilaire („Baron Walter“), deutscher Gouverneur des
Distrikts Usambara, als er 1882 einige Exemplare und Samen einer unscheinbaren
Pflanze in die Heimat sandte. Hermann Wendland, Oberhofgärtner der Herrenhofer
Gärten in Hannover bestimmte und beschrieb 1893 die Pflanze, benannte sie wissenschaftlich
Saintpaulia zu Ehren des Einsenders.
So kam das Usambaraveilchen „aus Afrika“ nach Europa.
Walter von St.Paul-Ilaire, der Namengeber |
Die barocken Herrenhäuser Gärten waren mehr als hundert Jahre
zuvor der Ort gewesen, in dem Gottfried Wilhelm Leibniz Tausende von Stunden
sinnierend und philosophierend verbracht hatte. Die Lehre der „Monaden“ als
letzte Elemente der Wirklichkeit ersann er hier. Die Blätter der Hecken, eines
den anderen gleich und trotzdem verschieden, erhellten ihm die Vielheit in der
Einheit der Natur. Auch hier ein hotspot also,
diesmal der europäischen Philosophie.
Herrenhäuser Gärten, in denen sich .... |
...Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) erging. |
Andrew Evans 1
C:W. Allers 1
Ekenaes 1
andresfib 1
Wildfeuer1
Jens Bludau 1
Herzog Anton Ulrich Museum 1