Donnerstag, 31. August 2017

Schirmpinie, Strandkiefer


Che soave zeffiretto
Questa sera spirerà…
Sotto i pini del boschetto.
Welch sanfter Abendwind…
Wird an diesem Abend wehen!
Unter den Pinien des Wäldchens.
Le nozze di Figaro. Lorenzo da Ponte/Mozart 1768

Pinien sind emblematische Pflanzen des Mediterranen, ähnlich wie Zypressen oder Oliven. Der pino di Posillipo in Neapel, mit dem Vesuv im Hintergrund, millionenfach auf Postkarten abgebildet, gilt als Mythos und als berühmtester Baum Italiens. Ottorino Respighi besang in seinem symphonischen Gemälde I pini di Roma die Pinien Roms an der Villa Borghese, am Hügel Giannicolo, an der Via Appia und bei “einer Katakombe“.

Pino di Posillipo mit dem Vesuv im Hintergrund
Diese Pinien sind Schirmpinien (Pinus pinea), leicht zu erkennen an ihrer abgeflachten, schirmförmigen Krone. Pinien wurden vom Menschen so weit verbreitet, dass ihre natürliche Verbreitung nicht mehr festgestellt werden kann. Die Schirmpinie hat ihre Heimat in Anatolien und an der Schwarzmeerküste, in Italien kommt sie wahrscheinlich von Natur aus nicht vor.
Was machte besonders die Schirmpinie für den Menschen so interessant? Neben dem Bauholz, das aus dem bis 30 m hohen, zylindrischen Stamm gewonnen und im Schiff- und Hausbau eingesetzt wurde, waren es das Harz und die Kerne, die pinoli.


Zapfen, Kerne und ganz drinnen die leckeren Pinoli
Die Zweige in jungen Pinien sind nach oben gebogen, sodass die Krone eine Kugel bildet. Erst die erwachsenen Pinien bilden die charakteristischen Schirmkronen aus. Pinien bilden eine sehr tiefe Pfahlwurzel aus, die den Baum unverrückbar im Boden verankert. Der ärmste Boden genügt der Pinie; sie wächst auch auf Steinen und blankem Sand. Die rotbraune Rinde läuft in länglichen Streifen den Stamm herunter, die langen spitzen Nadeln sind zu zweit gebündelt. Die Zapfen reifen erst im dritten Jahr nach der Blüte. Im ersten Jahr sind sie nicht größer als 1 cm, im zweiten Jahr nussgroß. Dann schieben sie an und wachsen zu den großen Zapfen aus mit den starken Schuppen, die je zwei Kerne mit harter Schale enthalten. Die Kerne, mit schwarzem Staub bedeckt, enthalten die nahrhaften Pinoli.

Wenn die Zapfen in der Sommerhitze aufspringen, sind Nager wie Eichhörnchen, Siebenschläfer und Eichelhäher gleich am Knabbern, ähnlich wie Mäuse oder Wildschweine am Boden. Da müssen Menschen sich dranhalten, wollen sie noch welche erwischen. Das ist nicht so einfach – Schütteln (mit Maschinen) schädigt die nicht ausgereiften jungen Zapfen, ebenso wie das Herunterschlagen mit Stangen. Es geht nur die vornehme Methode: Piniennüsschen sind handgepflückt – von Baumkletterern. Sie turnen in die Baumkronen und schneiden die reifen Zapfen mit Haken, die auf Stangen sitzen, ab. Deshalb sind die Pinoli auch so teuer – bis 80 Euro pro Kilo. Im Depot trocknen die Zapfen, platzen auf, das Ziel des Begehrens, die pinoli, werden geerntet.
Weniger glamourös als die Schirmpinie, weniger geliebt vom Menschen, hat die Strandkiefer (Pinus pinaster) eine dienende Funktion – sie steht in Streifen direkt an der Küstenlinie, vor Beständen der Schirmpinie und fängt die von den Winden Afrikas, dem Libeccio und Scirocco, herangepeitschte Salzluft ab. Strandkiefern ähneln der Schirmpinie, sind aber an der zerzausten Krone zu unterscheiden.

Pinie und Kiefer werden synonym verwendet – die Strandkiefer, oder Seestrandkiefer, wie sie auch genannt wird, gehört ebenso wie die Schirmpinie der Gattung Pinus an, einer der größten unter den Nadelbäumen. Weltweit sind Kiefern die wichtigsten Holzlieferanten, es gibt ca. 113 Arten davon. Eine Kiefer, die im Eulenblick schon besprochen wurde, ist die Zirbelkiefer, Pinus cembra.

Die Strandkiefer verträgt ein etwas rauheres Klima und braucht mehr Feuchtigkeit als die Schirmpinie. In Italien kommt sie sicher von Natur aus vor, auch in großen Beständen. Sie bildet ihre Schirmkrone aus; ist immer etwas zerzaust. Junge Kiefern wachsen sehr schnell, nach wenigen Jahren blühen und fruchten sie schon. Die Samen haben lange Flügel, breiten sich leicht aus.
Zum Keimen braucht die Strandkiefer viel Licht und nackten Boden. Deshalb ist sie oft die erste, die auf Waldbrandflächen aufkommt. Tatsächlich hat sie im Laufe der Evolution einen erstaunlichen ökologischen Pakt mit den heißen mediterranen Sommern geschlossen: Die harzreichen, hermetisch verschlossenen Zapfen öffnen sich im Feuer und entlassen die Samen, die schnell und ungehindert in der mineralreichen Asche keimen können, unbeschattet vom verbrannten Unterholz. Wenn die Brände allerdings zu häufig sind, verschwindet auch die Kiefer, weil sie verbrennt, bevor sie wieder Samen bilden kann. In der letzten Waldbrandsaison brannte es überall im Mittelmeer – in Portugal, Spanien, Griechenland, Italien. Man las von „Monokulturen“, die an den Bränden schuld seien. Das gilt vor allem für Eukalyptusplantagen, die zur Bodenbefestigung oder Zellstoffgewinnung angepflanzt wurden. Bei den Pinienwäldern wird hier aber Ursache und Wirkung verwechselt – die Strandkiefern wachsen nach einem Waldbrand, bedecken den Boden und schützen ihn vor Erosion. Bei ungestörter Entwicklung würde sich ein artenreicher mediterraner Steineichenwald herausbilden, der sich nur schwer abfackeln ließe.


Nach dem Brand: geöffnete Zapfen der Strandkiefer

Die Strandkiefer wird nicht sehr alt – kaum 200 Jahre, aber sehr hoch – 40 Meter. Ihre Nadeln sind länger als jene der Schirmpinie, bis 20 cm, genauso lang werden die konisch-länglichen Zapfen.
Sie ist vor allem im westlichen Mittelmeerraum und westlichen Nordafrika heimisch; breitet sich bis an den Atlantik aus. Dort, in Les Landes, begann man 1798, riesige Bestände von Strandkiefern zu pflanzen, zum Schutz der Dünen vor den Stürmen des Ozeans. Die atlantica-Form der Strandiefer erreicht besonders majestätische Dimensionen.

Am Atlantik war ein Parasit der Strandkiefer lange verbreitet. Erst in den Siebziger Jahren wanderte die Schildlaus Matsucoccus feytaudi in den Mittelmeeraum ein, wahrscheinlich mit dem Westwind, der die kleinen Insekten mit den großen Flügeln verweht. Aber auch eine Verbreitung längs der Autobahnen; mit Luftverwirbelungen und in Autoreifen ist denkbar. In Italien trat Matsucoccus Ende der Neunziger Jahre auf; die befallenen Bäume erkennt man an den vielen abgestorbenen roten Nadeln. Auch in Portugal und Spanien richtet das Insekt große Schäden an. Doch dort und in Marokko gibt es schon resistente Pinien, denen Matsucoccus nicht viel anhaben kann.


Zerzauste Kronen: die Strandkiefer
tal, qual di ramo in ramo si raccoglie
per la pineta in su ’l lito di Chiassi,
quand’Ëolo scilocco fuor discioglie»

Gleichwie von Ast zu Aste schwillt das Brausen
Hin durch den Pinienhain an Chiassis Küste
Wenn Äolus lässt den Scirocco sausen.
Dante Alighieri, Divina Commedia, Purgatorio XXVIII

Dante lässt den Scirocco an die Küsten der Adria prallen. Er kannte die Gegend, und sicher auch den Lido di Classe, hatte er sich in den letzten Jahren seines Lebens doch in Ravenna aufgehalten, wo er 1321 verstarb. Die Pineta di Classe istTeil des großen Waldkomplexes der Pineta di Ravenna. Dieser Wald ist 2000 Jahre alt, die Römer haben ihn gepflanzt, wahrscheinlich zur Zeit Augustus‘.

Was hatten sie für Gründe, längs der Küste Pinienpflanzungen anzulegen? Hauptsächlich waren sie auf die dicken geraden Stämme der Pinien aus, die sie als Bauholz für den Hafenausbau, für den Schiffbau, für Häuser und Pfähle verwandten. Pinoli als Nebenprodukt waren auch begehrt. Das Harz diente zum Kalfatern der Schiffe. Die Dynamik der Küstenlinie bei Ravenna ist bekannt; das ganze Gebiet ist Teil des Po-Deltas. Ravenna liegt heute 8 km vom Meer entfernt, ebenso wie sein einstiger Hafen Classe. Zu römischen Zeiten lagen beide am Meer. Doch hat sich nicht nur Land in die Adria vorgeschoben, an manchen Stellen holte sich das Wasser Land zurück. Und hier kommt der Scirocco Dantes ins Spiel – heftige Winde aus Afrika sind besonders gefährlich für Sandküsten. Leicht werden sie fortgespült, Pinien, besonders die Strandkiefer, helfen, den Strand mit seinen Dünen zu befestigen.

Immer wieder war die Pineta di Ravenna Abholzung und Zerstörung unterworfen. Im harten Winter von 1879-80 schlugen die frierenden Menschen große Flächen des Waldes ein; im ersten Weltkrieg dann wurden große Teile komplett zerstört, andere schwer geschädigt, das Holz der Pinien für Militärzwecke gebraucht. Heute ist die Pineta di Ravenna auf 2000 ha restauriert und ein bedeutendes Naturschutz- und Erholungsgebiet. 

Auch an der toskanischen Küste gibt es große vom Menschen angepflanzte Pinienwälder. Im Naturpark Uccellina säumt die majestätische Pineta Granducale die Küste. Sie entstand zur Zeit der großen Trockenlegung der Maremma im 19. Jahrhundert unter dem Großherzog, dem Granduca, Leopoldo II (1797-1870) von Habsburg-Lothringen. Große Stämme für Bauholz und Pinoli sind auch hier die begehrtesten Produkte. Da Schirmpinien sehr empfindlich auf die Salzluft des Meeres, die salsedine, reagieren, steht ein cordon sanitaire von Strandkiefern gegen das Meer vor ihnen. Strandkiefern sind zähe Wesen, sie krallen sich mit ihren Wurzeln in den reinen Sandboden und trotzen dem salzigen Libeccio, dem Wind, der im Winter aus Libyen kommt. Doch gegen die Erosion der Strände, die in den letzten Jahrzehnten die Uccellina traf, kann auch die stärkste Kiefer nicht allzuviel ausrichten: Das Meer frisst die vorgelagerten Dünen weg oder überrollt sie; Salzwasser dringt in die Pinienwälder ein und gefährdet das Süßwasser im Untergrund.

Pineta Granducale im Naturpark Uccellina
Neben den Pinoli war Harz das begehrteste Produkt der Pinien. In Wäldern findet man alte Kiefern mit fischgratförmigen Rillen, von denen das Harz in ein Töpfchen floss. Die Ausbeute war sehr ergiebig (bis 300 l pro Hektar), als Nebenprodukt gewann man die gerade gewachsenen, dicken Stämme als Bauholz. Mussolini vertrat das nationalistische Ziel der autarchia Italiens, mit der battaglia del grano zum Beispiel die Versorgung der Bevölkerung mit Weizen. 1940 wurde in Pisa die Compagnia resiniera italiana, die italienische Harzgesellschaft, gegründet. Harz aus den Pinien sollte in der chemischen Industrie zur Produktion von Farben, Lacken und Kolophonium verwendet werden. In den Pinienwäldern von San Rossore und Migliarino an der Küste der Toskana wurden 10.000 Bäume angezapft, 1,5 Liter Harz lieferte ein Baum im Jahr – jede Pinie eine kleine Chemiefabrik. Heute ersetzen Erdölderivate das Harz, die Harzgewinnung an den Pinien hat aufgehört.

Jede Pinie eine kleine Chemiefabrik

Bildnachweis:
Giorgio Sommer 1 Asabengurtza1 Patrick Verdier1 MGR1 Vincenzo Crimi1 Angelika Schneider1