Montag, 31. Juli 2017

Armleuchteralge

 

Alte Freundin der Familie: Was kommt als nächstes im Eulenblick?
Ich (arglos): die Armleuchteralge!
Sie: Echt jetzt? Das hast du doch soeben erfunden!
Nicht einmal eine Pflanze: Armleuchteralge
 
Nein, hatte ich nicht. Armleuchteralgen (Chara spec.) haben ihren Namen von den in Etagen angeordneten fädigen Quirlen. Junge Leute der Led-Generation wissen heute vielleicht gar nicht mehr, wie ein Armleuchter aussieht. Deshalb hier ein Prachtexemplar vom belgischen Königshof:
Was für ein Armleuchter!
Und sie sind auch keineswegs die Armleuchter unter den Algen, sie sind nicht einmal Algen, ja, eigentlich sind sie gar keine „Pflanzen“. In der Systematik der Lebewesen stellen sie eine eigene Klasse dar, ähnlich wie Pilze oder Flechten, die von Botanikern ebenfalls nicht zum Pflanzenreich gezählt werden. Armleuchteralgen sind sehr urtümlich, es gab sie schon vor 400 Millionen Jahren, im oberen Perm. Solche erdgeschichtlichen Alten nennt man „lebende Fossilien“.
Sie schauen allerdings wie "richtige“ Pflanzen aus. Sie sind grün; im Boden haften sie nicht sehr stark mit wurzelähnlichen Rhizoiden, die sich leicht herausziehen lassen. Ihre „Stängel“ sind ein bis drei Meter lang, an ihnen stehen die namengebenden quirligen Ästchen. 
Carl von Linné, der Entdecker der Ordnung im Tier- und Pflanzenreich, verlieh den Armleuchteralgen den wissenschaftlichen Namen „Chara“. Woher Linné diesen Namen hatte, weiß man nicht genau. Weltweit gibt es etwa 300 Arten. Die ähneln sich sehr stark, viele sind nur unter dem Mikroskop zu unterscheiden.
Armleuchteralgen können in ein bis zwei Meter tiefen stehenden oder langsam fließenden Gewässern große Flächen („Chara-Wiesen“) bedecken.

In Seen mit flachen Ufern muss man beim Schwimmen zuerst diese Chara-Wiesen überwinden, um ins Tiefe zu gelangen. Die langen Armleuchteralgen winden sich um Hals, Arme oder Beine – wie verdrängte Gefühle, die aus dem dunkel drohenden See des Unbewussten nach oben fassen. Dieser kleine Exkurs in die Küchenpsychologie drängt sich auf – schon Freud und C.G.Jung sahen Quelle, See und Meer als Symbol des Unbewussten an. Die Reaktion mancher Badender auf die Algen ist oft Unbehagen oder sogar Angst; doch tun Armleuchteralgen wirklich nichts – sie stechen nicht, sie brennen nicht, sie wollen nicht mal spielen.

Freundliche Menschen mähen vor Strandbädern manchmal von einem Boot aus mit der Sense Armleuchteralgen ab, um freie Schwimmbahnen zu schaffen – eine vergebliche Maßnahme, wachsen doch schon kleinste Schnipsel wieder zu ganzen Pflanzen und großen Unterwasserwiesen heran. Hier haben wir die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Armleuchteralge vor uns; mit ihrer Hilfe kann sie rasch neue Gewässer besiedeln oder sich regenerieren, wenn sie von stürmischem Wasser davongetragen oder von Tieren abgefressen wurde.

Auf den Algen findet man manchmal auch Geschlechtszellen: Die weiblichen Oogonien, die je eine Eizelle enthalten und die Antheridien, die aus langen Fäden einzellige Spermien freilassen und sich orange einfärben, wenn sie reif sind. Die Oogonien haben eine mit Kalk verstärkte Zellwand. Es sind praktisch unzerstörbare Strukturen, die den Magen von Fischen oder Wasservögeln unbeschadet passieren. Mit den Ausscheidungen der Tiere werden die Oogonien weiterverbreitet. Die verkalkten Oogonien tauchen auch als Fossilien in Kalkgestein auf.

Weiblich braune und männliche Orange Geschlechtszellen
Versteinerte Oogonien - 20 Millionen Jahre alt
Grüner Algenschleim in Gewässern hat keinen guten Ruf, zeugt er doch von belastenden Nitraten im Wasser, eingeschwemmt von gedüngten Feldern oder aus Kläranlagen. Auch hier sind Armleuchteralgen anders – sie mögen sauberes kalkhaltiges Wasser.

Lieben Armleuchteralgen: Kolbenenten
Kolbenenten haben’s gut: Menschen finden sie so süß! Wichtiger noch: Seen in Mitteleuropa sind in den letzten Jahrzehnten immer sauberer geworden, Armleuchteralgen wachsen und gedeihen. Sie sind das Lieblingsfutter der Kolbenenten; wenn möglich, fressen sie nichts anderes. Mehr sauber, mehr Futter, mehr Ente: ein perfektes Beispiel für eine funktionierende Nahrungskette!

 

Fotos:
Christian Fischer 2
Keisotyo 1
Duncan Wright 1
Nat Archiev 1