Dienstag, 31. Januar 2017

Stern von Madagaskar



Dieser Stern kommt nur in Madagaskar vor


Er schrieb ein vierbändiges Werk über Seepocken – die kleinen warzenförmigen Muscheln an Schiffsrümpfen und Klippen. Diese Arbeit kostete ihn acht Jahre seines Lebens. Eine zärtliche Zuneigung hegte er auch gegenüber dem Regenwurm – ihn studierte er 38 Jahre lang und würdigte ihn in einer 326 Seiten langen Abhandlung. Zuletzt versammelte er seine Erkenntnisse zu einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Lehre. Leute, die schon etwas herumgekommen sind, ahnen es bereits: Nur ein Engländer kann sich solch exzentrischen Aufgaben so begeistert hingeben. Tatsächlich ist hier von Charles Darwin (1809-1892) die Rede, dem Mann der die dicksten Bretter der biologischen Wissenschaften bohrte (so meine persönlichen Einschätzung).
 
Wissenschaftlicher Dickbrettbohrer: Charles Darwin (1809-1892)



 

Ein so akribischer Naturbeobachter wie Darwin schaute natürlich zweimal hin, als er 1860 zum ersten Mal unserer erstaunlichen Pflanze des Monats, der Orchidee
 
Stern von Madagaskar (Angraecum sesquipedale )
ansichtig wurde.
 
 

 

Diese Orchidee war 1820 „entdeckt“, sprich erstmals wissenschaftlich beschrieben worden. Sie kommt nur auf Madagaskar vor. Die fast handspannengroßen sternförmigen weißen Blüten haben einen bis 40 cm langen grünen Sporn – deshalb der lateinische Artname sesquipedale - eineinhalbfüßig - ; die ledrigen Blätter sind zweizeilig angeordnet. Es war dieser lange Sporn, der Darwin ins Grübeln brachte und ihn letztlich eine kühne Vorhersage treffen ließ.
 

Brachte Darwin ins Grübeln: der Sporn

 

 Mehr noch als Zoologe war Darwin Botaniker, trotz all der Seepocken, Regenwürmer und Darwinfinken. In fünf großen Gewächshäusern in seinem Garten spürte er ab 1840 den Geheimnissen von Bohnen, Primeln, Azaleen und Rhododendren nach. Das Handwerk als Botaniker hatte er bei John Stevens Henslow gelernt, einem berühmten Naturforscher aus Cambridge, der seine Studenten auf erschöpfende botanische Exkursionen in die fens, die Feuchtgebiete rings um Cambridge mitschleppte und ihnen systematisches Sammeln und Bestimmen von Pflanzen abverlangte.
Schon 1837 hatte Darwin in seinen Notizen über das Problem von Selbst- und Fremdbestäubung bei Pflanzen gegrübelt. Die meisten Blütenpflanzen sind Zwitter, sie enthalten weibliche (Narbe) und männliche (Staubbeutel) Geschlechtsorgane. Deshalb ging man lange davon aus, dass Pflanzen sich selbst befruchten. Diese Ansicht aber war für Darwin unbefriedigend – er wusste, dass sich die Erbsubstanz von Individuen einer Art mischen musste, denn nur so können sich - außer durch spontane Mutationen -  neue Eigenschaften herausbilden, an denen die natürliche Selektion ansetzen kann. Dazu bedienen Pflanzen sich bestäubender Insekten – Bienen, Hummeln, Schmetterlinge; die saugen Nektar vom Grund der Blüten, berühren dabei die Staubbeutel mit dem Pollen, der auf ihnen haften bleibt. Bei der nächsten Blüte, die sie besuchen, gelangt dieser Pollen auf die Narbe – eine Art von Pollen-UPS; die Blüte wird mit Fremd-Erbsubstanz bestäubt.

Beim Stern von Madagaskar sitzt der Nektar nun am Ende des langen Sporns. Diese Orchidee verbreitet nachts einen intensiven Geruch; dies und der Umstand, dass ähnliche Orchideen von nächtlichen Schwärmern besucht werden, ließ Darwin sofort an einen Riesen-Schwärmer als Bestäuber denken. Schwärmer „stehen“ bei derAufnahme des Nektars in einem Schwirrflug, ähnlich jenem von Kolibris vor der Blüte. Dabei haftet sich der Pollen an ihren Kopf an, er bleibt bei der nächsten Blüte an der Narbe haften. Allein – ein solcher Riesenschwärmer war auf Madagskar unbekannt.
 
 

Ein Schwärmer - hier aus Plastik - sucht den Grund des Sporns

 

Darwin war so überzeugt davon, dass es einen auf den Stern von Madagaskar zugeschnittenen Schwärmer geben musste, dass er 1860 die Existenz eines langrüsseligen, nachtfliegenden Schwärmers voraussagte und in seiner Abhandlung von 1862 On the various contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects (Über die verschiedenen Einrichtungen durch welche Orchideen von Insecten befruchtet werden) darüber schrieb.
 
Hohn und Häme – natürlich war das die Reaktion auf Darwins exzentrische Spekulation. 1903 aber entdeckte man Xanthopan morgani praedicta, die vorhergesagte Schwärmerform mit dem riesenlangen Rüssel. Da war Darwin schon lange tot; seine stiff upper lip hätte sich wohl amüsiert nach oben gekräuselt, wäre ihm sein Triumph zu Lebzeiten vergönnt gewesen.
 
Der Vorhergesagte

Erst 1979 gelang es dann, den Befruchtungstanz zwischen Orchidee und Schwärmer zu filmen: https://www.youtube.com/watch?v=VUiZDhs0JrA
Darwin hatte recht behalten, nicht nur mit seinem Schwärmer, sondern auch mit seiner ganzen Evolutionslehre, die er noch als "natürliche Zuchtwahl" bezeichnet hatte. Vernunftbegabte Menschen können heut nicht mehr daran zweifeln, dass Arten sich verändern, eine aus der anderen hervorgeht, neu entstehen und vergehen. Andere, wie Mike Pence, seines Zeichens Vizepräsident der Vereinigten Staaten, versuchen sie als „nur eine Theorie“ zu diskreditieren. Sie sollten neben anderen „Theorien“, wie der Young Earth „Theory“, wonach die Erde nicht älter als 6000 Jahre alt sein soll, in staatlichen Schulen gelehrt werden. So z.B. in Indiana, wo Pence Gouverneur war.

Fact or fake? Fakt ist jedenfalls, dass Mike Pence ein kreationistischer Vollkoffer ist. Aber lassen wir das, der Mann ist mit seinem Chef gestraft genug.

Fotos:
Angelika Schneider 3
MNH London 1
Esculapio 1