Dieser Stern kommt nur in Madagaskar vor |
Er schrieb ein vierbändiges Werk über Seepocken – die kleinen
warzenförmigen Muscheln an Schiffsrümpfen und Klippen. Diese Arbeit kostete ihn
acht Jahre seines Lebens. Eine zärtliche Zuneigung hegte er auch gegenüber dem
Regenwurm – ihn studierte er 38 Jahre lang und würdigte ihn in einer 326 Seiten
langen Abhandlung. Zuletzt versammelte er seine Erkenntnisse zu einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Lehre. Leute, die schon etwas herumgekommen sind, ahnen es bereits:
Nur ein Engländer kann sich solch exzentrischen Aufgaben so begeistert
hingeben. Tatsächlich ist hier von Charles Darwin (1809-1892) die Rede, dem Mann
der die dicksten Bretter der biologischen Wissenschaften bohrte (so
meine persönlichen Einschätzung).
Diese Orchidee war 1820 „entdeckt“, sprich erstmals
wissenschaftlich beschrieben worden. Sie kommt nur auf Madagaskar vor. Die fast
handspannengroßen sternförmigen weißen Blüten haben einen bis 40 cm langen
grünen Sporn – deshalb der lateinische Artname sesquipedale - eineinhalbfüßig - ; die ledrigen Blätter sind
zweizeilig angeordnet. Es war dieser lange Sporn, der Darwin ins Grübeln
brachte und ihn letztlich eine kühne Vorhersage treffen ließ.
Brachte Darwin ins Grübeln: der Sporn |
Mehr noch als Zoologe war Darwin Botaniker, trotz all der
Seepocken, Regenwürmer und Darwinfinken. In fünf großen Gewächshäusern in seinem Garten spürte
er ab 1840 den Geheimnissen von Bohnen, Primeln, Azaleen und Rhododendren nach.
Das Handwerk als Botaniker hatte er bei John Stevens Henslow gelernt, einem
berühmten Naturforscher aus Cambridge, der seine Studenten auf erschöpfende
botanische Exkursionen in die fens,
die Feuchtgebiete rings um Cambridge mitschleppte und ihnen systematisches
Sammeln und Bestimmen von Pflanzen abverlangte.
Schon 1837 hatte Darwin in seinen Notizen über das Problem
von Selbst- und Fremdbestäubung bei Pflanzen gegrübelt. Die meisten
Blütenpflanzen sind Zwitter, sie enthalten weibliche (Narbe) und männliche
(Staubbeutel) Geschlechtsorgane. Deshalb ging man lange davon aus, dass Pflanzen
sich selbst befruchten. Diese Ansicht aber war für Darwin unbefriedigend – er
wusste, dass sich die Erbsubstanz von Individuen einer Art mischen musste, denn
nur so können sich - außer durch spontane Mutationen - neue Eigenschaften herausbilden, an
denen die natürliche Selektion ansetzen kann. Dazu bedienen Pflanzen sich
bestäubender Insekten – Bienen, Hummeln, Schmetterlinge; die saugen Nektar vom
Grund der Blüten, berühren dabei die Staubbeutel mit dem Pollen, der auf ihnen
haften bleibt. Bei der nächsten Blüte, die sie besuchen, gelangt dieser Pollen
auf die Narbe – eine Art von Pollen-UPS; die Blüte wird mit Fremd-Erbsubstanz
bestäubt.
Beim Stern von Madagaskar sitzt der Nektar nun am Ende des
langen Sporns. Diese Orchidee verbreitet nachts einen intensiven Geruch; dies
und der Umstand, dass ähnliche Orchideen von nächtlichen Schwärmern besucht
werden, ließ Darwin sofort an einen Riesen-Schwärmer als Bestäuber denken. Schwärmer
„stehen“ bei derAufnahme des Nektars in einem Schwirrflug, ähnlich jenem von
Kolibris vor der Blüte. Dabei haftet sich der Pollen an ihren Kopf an, er
bleibt bei der nächsten Blüte an der Narbe haften. Allein – ein solcher
Riesenschwärmer war auf Madagskar unbekannt.
Ein Schwärmer - hier aus Plastik - sucht den Grund des Sporns |
Darwin war so überzeugt davon, dass es einen auf den Stern
von Madagaskar zugeschnittenen Schwärmer geben musste, dass er 1860 die Existenz
eines langrüsseligen, nachtfliegenden Schwärmers voraussagte und in seiner Abhandlung
von 1862 On the various contrivances by
which British and foreign orchids are fertilised by insects (Über die verschiedenen Einrichtungen durch
welche Orchideen von Insecten befruchtet werden) darüber schrieb.
Hohn und Häme – natürlich war das die Reaktion auf Darwins
exzentrische Spekulation. 1903 aber entdeckte man Xanthopan morgani praedicta, die vorhergesagte Schwärmerform mit
dem riesenlangen Rüssel. Da war Darwin schon lange tot; seine stiff upper lip hätte sich wohl amüsiert
nach oben gekräuselt, wäre ihm sein Triumph zu Lebzeiten vergönnt gewesen.
Der Vorhergesagte |
Erst 1979 gelang es dann, den Befruchtungstanz zwischen Orchidee
und Schwärmer zu filmen: https://www.youtube.com/watch?v=VUiZDhs0JrA
Darwin hatte recht behalten, nicht nur mit seinem Schwärmer,
sondern auch mit seiner ganzen Evolutionslehre, die er noch als "natürliche Zuchtwahl" bezeichnet hatte. Vernunftbegabte Menschen können
heut nicht mehr daran zweifeln, dass Arten sich verändern, eine aus der anderen
hervorgeht, neu entstehen und vergehen. Andere, wie Mike Pence, seines Zeichens
Vizepräsident der Vereinigten Staaten, versuchen sie als „nur eine Theorie“ zu
diskreditieren. Sie sollten neben anderen „Theorien“, wie der Young Earth
„Theory“, wonach die Erde nicht älter als 6000 Jahre alt sein soll, in staatlichen
Schulen gelehrt werden. So z.B. in Indiana, wo Pence Gouverneur war.
Fact or fake? Fakt
ist jedenfalls, dass Mike Pence ein kreationistischer Vollkoffer ist. Aber
lassen wir das, der Mann ist mit seinem Chef gestraft genug.
Fotos:
Angelika Schneider 3
MNH London 1
Esculapio 1