Samstag, 30. Juli 2016

Acker-Kratzdistel



Acker-Kratzdistel

Cirsium arvense


Es kratzt sie nicht, die Acker-Kratzdistel (oder Ackerdistel) und sie macht sich noch lange nicht vom Acker, wenn der Bauer wieder einmal mit Häcksler und Hacke auf sie losgeht. Kleinste Bruchstücke ihrer unterirdischen waagrechten Wurzelausläufer keimen wieder zu einer vollständigen Pflanze aus. Die Ackerdistel ist ein großes Ärgernis in der Landwirtschaft– einzelne Pflanzen wachsen sich zu großen „Nestern“ aus und verdrängen Weizen, Rüben oder Kartoffeln. Sie wird mit vielen verschiedenen Methoden bekämpft – chemischen, biologischen oder mechanischen. Ein neuerer Versuch ist der Einsatz des  Rostpilzes Puccinia punctiformis - seine einzige Wirtspflanze ist die Acker-Kratzdistel und der setzt er ganz schön zu.
 
Acker-Ärgernis Acker-Kratzdistel

Ursprünglich eine Pflanze der Lichtungen und Waldränder, fand die Pflanze auf den im Hochmittelalter neu gerodeten Flächen gute Böden und viel Licht – Dinge, die ihr behagen. So begann das nun schon über tausend Jahre andauernde Bauerndratzn* der Ackerdistel.
Sie wird über einen Meter hoch, auf den verzweigten Stängeln sitzen meist mehrere kleine lilafarbene Körbchen. In ihnen sind die langen Röhrenblüten gebündelt. Vier Wochen nach der Blüte haben sich schon die kleinen geflügelten Früchte gebildet, in denen sich je ein winziger Same befindet. Die reifen Blütenstände schauen dann aus (und fühlen sich auch so an) wie seidige Wattebäusche, die aus den Körbchen herausquellen.


Vom Blütenköpfchen zum Samen-Wattebausch: Acker-Kratzdistel
 

Die Blätter der Acker-Kratzdistel sind lang und gebuchtet und mit vielen gelblichen Stacheln versehen. Der Stängel ist kahl – daran kann man sie von vielen ähnlichen Disteln unterscheiden, die alle bedornte Stängel aufweisen.
Außer auf Äckern wächst die Acker-Kratzdistel auch an Wegrändern, auf Baustellen und Ödland, als Teil der sogenannten Ruderalflora – also der Flora, die sich auf umgegrabenen und – gewälzten Böden einfindet. Solche Stellen sucht auch der „Vogel des Jahres 2016“ auf, der Stieglitz oder Distelfink.

Stieglitz auf der Distel

 

Eine solide Ehe mit der Botanik, eine leidenschaftliche Affäre mit der Ornithologie – das ist keine schlechte Kombination, liebe Freunde des Eulenblick! Im Fall von Distel und Distelfink fallen Pflicht und Neigung sogar zusammen.


Auch für Non-Ornis leicht zu erkennen: der Stieglitz
Jetzt im Spätsommer sitzen sie – oft in kleinen Gruppen - auf den Köpfen der Disteln und picken nach den heranreifenden Samen. Ihr typischer Ruf beim Auffliegen, das „tiglitt“, ihr schwarz-weiß-roter Kopf und die aufblitzenden gelben Flügelbinden, machen den Stieglitz auch für Non-Ornis leicht erkennbar. In Dorf und Feld früher sehr häufig, kämpft der Stieglitz gegen verschiedene Widrigkeiten, die die Moderne ihm bereitet: Im Acker als Unkraut bekämpft, in geleckten Gärten unerwünscht, auf Brachflächen durch „Begrünung“ vertrieben, sind seine Nahrungspflanzen, die verschiedenen Disteln, vielerorts knapp geworden. Seine Nominierung zum Vogel des Jahres ist ein Zeichen dafür, dass es ihm so gut nicht mehr geht.

Früher kannten Menschen den Stieglitz genau. Seine Art, Disteln („Dornen“) aufzusuchen, machte ihn in der christlichen Symbolik zu einem Boten der Passion Christi. Ein berühmtes Bild des nur mit dem superlativsten Superlativ zu beschreibenden Raffael, die „Madonna mit dem Distelfink“ von 1506, hat dies zum Thema. Der Spielkamerad des Jesusknaben, der Heilige Johannes, reicht ihm einen Distelfink. Er prophezeit Jesus damit den kommenden Martertod.


File:Detail Madonna del Cardellino.jpg

Superlativster Superlativ: die Madonna del Cardellino von Raffael
2008 wurde die Restaurierung der Madonna del Cardellino (Cardo ital. Distel, cardellino Distelfink) nach jahrelangen Arbeiten abgeschlossen. Das Bild hängt jetzt wieder in den Uffizien von Florenz.

 *Bairisch für Bauernquälen
 
Ein Video zeigt Stieglitze auf Acker-Kratzdisteln:
https://www.youtube.com/watch?v=9VDIa_FY78I




Bildnachweis:
Angelika SchneiderWolf Schröder wikmedia commons:
Raffaello Sanzio - Madonna del Cardellino - Google Art Project.jpg
Otto Wilhelm von Thome:
Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Gera 1883
flickriver.com/Groups/1399444@N21/pool