Wollgras
Eriophorum spec.
Moos und Filz
Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren
breiteten sich Wälder aus, Bodenbildung setzte ein. In flachen Niederungen und
Senken sehr regenreicher Gebiete Mittel- und Nordeuropas, des Alpenvorlandes,
Skandinaviens, Irlands und Sibiriens lag der Grundwasserspiegel so hoch, dass
abgestorbene Pflanzenteile sich unter Sauerstoffabschluss nicht zersetzten.
Hier wuchs kein Wald, es bildete sich Torf, der sich zu immer dickeren
Schichten aufhäufte. Moore entstanden.
Zwischen Orchideen steht das Wollgras im Niedermoor |
In verlandenden Seen, Flussniederungen, Ebenen bildeten sich
Niedermoore. Das Grundwasser reicht bis an die Oberfläche; manche Niedermoore
können in Trockenperioden sogar eine Zeitlang trockenfallen. Der Mensch nutzte sie schon früh,
als (schlechte) Weide oder zur Mahd. Das Mähgut wurde in den Ställen als
Einstreu für das Vieh verwendet. Solche Niedermoore, auch Streuwiesen genannt,
sind sehr artenreich, viele stehen unter Naturschutz. Zwischen Schilf, Riedgras
und Binsen blühen Enzian, Schwertlilien, Orchideen in lila, gelb und weiß,
dazwischen stehen die nickenden Köpfchen der Wollgräser.
In diesem Lebensraum wachsen zwei Arten von Wollgräsern, das
breitblättrige und das schmalblättrige Wollgras. Im Juni sieht man jetzt
überall die nickenden weißen Köpfchen. Doch „blühen“ sie jetzt nicht - die
wolligen Ährchen sind die Fruchtstände des Wollgrases. Will
sagen: es sind die winzigen Samen, an denen die bis fünf Zentimeter langen
Haare hängen. Der Wind verfrachtet sie mitunter kilometerweit.
Im Boris-Johnson-Look: Schmalblättriges Wollgras |
Beide Arten haben mehrere (bis 12) Ährchen am Stängel, die Blätter des breitblättrigen Wollgrases sind breiter, aber auch nicht mehr als acht Millimeter; die Stiele seiner Ährchen fühlen sich etwas rau an. Das schmalblättrige Wollgras ist häufiger als sein Zwilling; es wächst auf saureren, kalkärmeren Böden.
Zwillinge, die man nicht kennt, verwechselt man leicht. So tut sich auch der munter einherschreitende Wanderer schwer, die beiden Arten im Vorübergehen auseinander zu halten. Auf einer botanischen Exkursion rätselte sogar der Fachmann, der ein Wollgras in der Hand hatte, ob breit- oder schmalblättrig. Und auch bei der unterfertigten Bloggerin hier lösen sich die diesbezüglichen Nebel erst allmählich. Und raunte nicht schon damals, im fernen Mittelalter, die Heilige Hildegard: “Ein Wollgras ist ein Wollgras ist ein Wollgras?“
Schmalblättriges Wollgras |
Breitblättriges Wollgras |
Scheiden-Wollgras |
In sehr kalten und kühlen Klimaten, wo der Abbau der
Pflanzen besonders langsam vor sich geht, wächst der Torf immer mehr in die
Höhe. Deshalb sprechen wir von einem Hochmoor. Mit der Zeit – in Jahrhunderten
bis Jahrtausenden - verlieren die Wurzeln der Pflanzen den Kontakt zum
Grundwasser. Das Moor wird nur noch durch den Regen gespeist. Im Torf bildet
sich ein eigener, sekundärer Grundwasserspiegel aus. Mineralstoffe werden ausgewaschen, der Torf wird
immer saurer. Nur hochspezialisierte Pflanzen können hier überleben. Am
häufigsten sind die rötlichen Torfmoose, sie bilden Polster, die sogenannten
Bulten, die sich uhrglasförmig krümmen. Zwischen den Torfmoosen
wächst die Rosmarinheide, (weder verwandt noch verschwägert mit dem
Küchenkraut), der fleischfressende Sonnentau und ein weiteres Wollgras, das
Scheiden-Wollgras. Und dieses macht es uns leicht, es von seinen Geschwistern
zu unterscheiden, denn es bildet nur ein einziges Ährchen aus. Es wächst in sehr dichten Polstern, die zu den stärksten Torfbildnern gehören. Sie hängen über die
vielen unterirdischen Ausläufer zusammen, die das Scheiden-Wollgras bildet.
Nur ein Ährchen: Scheiden-Wollgras im schottischen Hochmoor |
In Bayern unterscheidet die Sprache genau zwischen Nieder-
und Hochmoor. Ersteres ist ein Moos, letzteres ein Filz. In vielen Flurnamen
kommen Moos (pl. Möser) und Filz vor, etwa Murnauer Moos, Donaumoos,
Sindelsdorfer Filz, Kendlfilz.
Polster des Scheiden-Wollgrases, davor... |
...rötliches Torfmoos und sprießende Nadeln der Rosmarinheide |
Schon früh begann die Trockenlegung der Moore in Europa. Die
älteste bekannte Entsumpfung ist jene des Forums in Rom durch den Bau der
Cloaca Maxima. Im frühen Mittelalter legten fleißige Mönche Sümpfe trocken, vor
allem Zisterzienser und Benediktiner. Viele Klöster stehen an sumpfigen Orten;
zum Beispiel das Kloster Benediktbeuern, von wo aus die Mönche ab dem 9.
Jahrhundert ins Moor zogen.
Entzieht man einem Moor das Wasser, durch Gräben, Drainagen
oder Flussregulierungen, löst es sich buchstäblich in Luft auf. Der poröse Torf
fällt beim Trocknen in sich zusammen, er baut sich unter Sauerstoffeinwirkung
ab. Im ehemaligen Donaumoos etwa liegt der Boden heute drei Meter tiefer als
vor der Entwässerung. Getrockneter Torf wurde in Moorgegenden über Jahrhunderte als - sehr unergiebiger - Brennstoff verwendet. Geologisch betrachtet stellt Torf die erste Stufe der Kohlebildung dar - unter Druck und Hitze verwandelt er sich unter der Erdoberfläche und in Jahrmillionen zuerst in Braunkohle, dann in Steinkohle und zuletzt in Anthrazit.
In ganz Europa sind über Jahrhunderte sehr viele Moore
verschwunden. Manche geschädigten Moore in Naturschutzgebieten versucht man zu
restaurieren. Niedermoore, also Möser, regenerieren sich relativ schnell, wenn
der Grundwasserspiegel wieder angehoben wird. Die Torfbildung setzt ein, und
auch die typischen Pflanzen kommen zurück.
Bei Hochmooren, also Filzen, ist es komplizierter. Wenn sie
entwässert werden, wird der eigene Regen-Grundwasserspiegel zerstört.
Torfmoose bauen sich ab, die gewölbten Bulten verschwinden. Bei der
Wiedervernässung kann es Jahrhunderte dauern, bis die typischen Strukturen sich
wieder bilden. Zu den wichtigsten Torfbildnern gehört dabei – da schau her –
das Scheiden-Wollgras durch seine dichten Horste und die vielen
unterirdischen Ausläufer.
Verfilzte unterirdische Ausläufer des Scheiden-Wollgrases: wichtigste Torfbildner |
Zuletzt eine kleine Polemik:
Wenn man manche Naturschützer fragt, warum Moore denn
wichtig wären, wird man, so fürchte ich, leider oft hören: "Sie sind
wichtig für den Klimaschutz". Das stimmt insofern, als Moore ja Pflanzen
konservieren und das in ihnen gespeicherte Kohlendioxid erst frei wird, wenn
sie austrocknen und verwesen. Im Publikum entsteht aber leider, so mein
Eindruck, oft das Missverständnis, dass der viele Torf per se das Klima
schützt. Nach einem solchen Argument wären aber Erdöl- und Schiefergaslager am
allerwichtigsten "für den Klimaschutz", so lange sie in der Erde
ruhen. Moore "schützen" das Klima nur insofern, als sie eine
Kohlendioxidsenke darstellen, wenn neu abgestorbene Pflanzenteile nicht
verrotten, sondern konserviert und langsam zu Torf werden. Doch macht das
gebundene Kohlendioxid in dieser "Senke" nicht allzu viel her . Ich
schätzte mal grob, dass das Murnauer Moos im Jahr nicht so viel Kohlendioxid
neu speichert, als die Lastwagen für den Transport von Biojoghurt in die
Supermärkte der Gegend in die Luft blasen.
Abgedroschene Klimaschutzformeln laufen Gefahr, die
Öffentlichkeit zu ermüden und zu verdrießen. Und etwas weniger Denkfaulheit
würde die richtig starken (meiner subjektiven Meinung nach) Argumente hervorbringen:
- Biologische: Die große Artenvielfalt nicht nur an Pflanzen, sondern auch an seltenen Vögeln (Bodenbrütern) und Insekten
- Ästhetische: Die großen Möser und kleinen Filze machen zusammen mit Wäldern und Seen (und Bergen im Hintergrund) den Reiz vieler europäischer Landschaften aus
- Kulturhistorische: Um Nutzung und Bewirtschaftung der Moore in früheren Zeiten spannen sich viele Bräuche, Riten, Regeln und Gesetze, Arbeitsabläufe, Geräte, die der Zustand der heutigen Moore widerspiegelt.
Dann wäre auch das Klimaschutzargument gefragt, wenn man es
differenziert in seiner Größenordnung darstellt.
Fotos:
A. Schneider 4
W. Schröder 1
Wikipedia Commons je 1:
de.wikibooks.org
uneberg.org/nordflor
Elke Freese
Janus (Jan Kops)
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