Samstag, 30. April 2016

Hohler Lerchensporn

 
Hohler Lerchensporn
Corydalis cava
 
 
Heute widmen wir uns einer Pflanze, die nach der Zehe eines Vogels benannt ist – schon schräg, oder? Viele Menschen kennen diesen Vogel nicht mehr, und seine Zehen schon gar nicht. Dabei hatte die Lerche einen Stammplatz bei Dichtern und Musikern. "Es war die Nachtigall und nicht die Lerche": Aber dass ausgerechnet ein Engländer auf die Idee kommt, jemand könnte diese beiden Gesänge verwechseln! Franz Schubert und sein Textdichter Wilhelm Müller hörten genau hin: "Die Lerche wirbelt in der Luft..". Hier der Beweis:

 
Hohle Knolle, gespornte Blüte, viele kleine Samen

 

In manchen Jahren, so wie heuer, ist vom Frühling nicht viel zu spüren. Doch Frühblüher müssen trotzdem raus, sie müssen geblüht haben und Samen gebildet, bevor Sträucher und Bäume Blätter bilden und den Boden beschatten. Veilchen, Buschwindröschen und Leberblümchen sind solche Frühblüher, genauso wie unsere Pflanze des Monats, der  wenig bekannte Hohle Lerchensporn.
 
Frühblüher müssen früh raus: Weißer und lila Lerchensporn
 
Der Lerchensporn ist die verlängerte hintere Zehe einer Feldlerche. Wie aber kam dieser Körperteil eines Vogels so sehr ins Bewusstsein der Menschen, dass er sogar als Namengeber für eine Frühlingspflanze diente, die ihrerseits genau bekannt war?  

Sorgenkind der Naturschützer mit Zehensporn
 

Die Feldlerche kam in der alten traditionellen Feldflur in Massen vor. Ältere Leute (also wir..) erinnern sich an die jubilierenden Rufe der hoch in den Himmel steigenden Flugkünstlerin, mit denen sie näher kommende Feinde, Füchse oder Marder, von ihrem Bodengelege ablenkt. Die Stimme der Lerche ist die lauteste Vogelstimme in Europa. Die Lerche ist eigentlich ein Steppenvogel, der in niedriger, schütterer Vegetation brütet. In der Feldflur des Mittelalters und frühen Neuzeit, in aufgelockerten Kornfeldern, nährstoffarmen Wiesen und Weiden fand sie (wie viele andere Bodenbrüter auch) äußerst komfortable Sekundärlebensräume. Die heutige intensive Landwirtschaft, die Maisäcker und Odelwiesen, lassen keinen Platz für die Nester der Feldlerche, die häufige Mahd keine Zeit zum Brüten. Auch zum Fressen findet die Lerche nichts mehr; die vielen Pestizide vernichten ihre Nahrung, die Insekten. Heute ist der einstige Allerweltsvogel Feldlerche zum Sorgenkind der Naturschützer geworden.

Feldlerche im Speckmantel – einen solchen Leckerbissen ließen sich Menschen, die oft genug nichts zum Essen hatten, nicht entgehen (...und meist hatten sie keinen Speck zum Würzen). Zu Abermillionen wurden Lerchen (und andere Vögel) in Europa gefangen und gegessen – mit Netzen, Leimruten und auf „Vogelherden“ – Plätzen, auf denen man in Schlagfallen Vögel fing.  Viele Menschen hielten also Feldlerchen in Händen, wussten was ein Lerchensporn war. In Südeuropa werden Feldlerchen heute noch gefangen, was zu erbitterten Kontroversen mit Vogelschützern führt.

Sicherung des Mittagessens am Vogelherd
Und wie kam unser Hohler Lerchensporn zu seinem Namen?  Der wissenschaftliche Gattungsname „Corydalis“ ist griechisch und bedeutet „Heidelerche“. Sie ist eine wärmeliebende Lerche, die vor allem in Südeuropa vorkommt. Und natürlich besitzt auch sie eine gespornte Hinterzehe.  Die Blüten des Hohlen Lerchsporns sind unregelmäßig geformt. Im namengebenden verlängerten Ende, dem „Sporn“, schlummert der Nektar, dessen Duft Bienen und Hummeln in rasende Begierde verfallen lässt. Doch vor die Belohnung hat Blumengöttin Flora den Schweiß gesetzt: Die angehenden Bestäuber müssen sich durch die eng zusammenstehenden Blütenblätter raufen, um ans hintere Ende zu gelangen. Dabei bleibt Pollen an ihrem Pelz hängen, mit dem sie dann die nächste Blüte bestäuben. Sie bringen selber auch Pollen von vorher besuchten Blüten mit.
 
In den Kapseln liegen viele kleine Samen
Die Blüten des Hohlen Lerchensporns sind weiß, lila oder violett; sie verblühen nach wenigen Tagen, nachdem sie in kleinen Kapseln sehr viele winzige Samen gebildet haben. Danach stirbt der gesamte oberirdische Teil der Pflanze mit Blättern und Stängel ab. Wie bei den meisten Frühblühern wandern Nährstoffe in unterirdische Speicherorgane – verdickte Spross- oder Wurzelteile. Beim Lerchensporn ist es ein hohler, verdickter Spross, also ein in den Untergrund gewanderter Teil des Stängels. Eine solche Pflanze ist ein Geophyth. Die Knolle ist innen hohl, manchmal mit Tochterknollen gefüllt. Der Artname „cava“, lat. „hohl“, stammt daher.
 
Das unterirdische Speicherorgan, die (hohle) Knolle
 
Manchen Hummeln ist das zu mühsam – sie beißen den Sporn von außen auf und schlecken den Nektar weg. Doch dadurch wird der Lerchensporn um seine Bestäubung gebracht. Ist der Lerchensporn dabei, durch Nektarräuber in eine evolutive Sackgasse zu geraten? Gemach! Die Blüten stehen dicht gedrängt in einer Traube – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die eine oder andere ungebissen davonkommt. Die Traube hat auch Schaufunktion, mit der sie verschiedene Bestäuber anlockt. Da sind dann hoffentlich nicht nur Diebe dabei!
 

Hier hat ein Nektarraub stattgefunden: Hummelbiss am Sporn der Blüte

 
 

 

 

 
Bildnachweis (von oben nach unten):
Finavon
Walcoford
EnDumE
Tacuinum sanitatis Cod. Vind.
A.Schneider
Aelwyn
Fritz Geller-Grimm