Montag, 18. Mai 2015

Gewöhnliche Traubenkirsche


Mai 2015

 

Gewöhnliche Traubenkirsche

Prunus padus Mill.

 

Tröstlich ist, dass es andern auch so geht: Jedes Jahr im Frühjahr habe ich das Gefühl, die Hälfte der Vogelstimmen nicht mehr zu kennen. Ein anderes Problem sind die vielen weiß blühenden Sträucher, die alle irgendwie gleich ausschauen – ziemlich peinlich für eine studierte Försterin. Eine weiß blühende Staude aber macht es einem leicht, sie zu bestimmen; zur Belohnung darf sie deshalb diesen Monat in unseren Blog: die Traubenkirsche.
 



Ihre weißen Blüten und später im Herbst die schwarzen Beeren hängen in Trauben vom Zweig. Die Traubenkirsche ist unverkennbar, ebenso ihre Blätter: Die Blattnerven reichen nicht bis an den gezähnten Blattrand, sie machen vorher „die Biege“ Richtung Blattinneres. Die Traubenkirsche ist ein Strauch oder kleiner mehrstämmiger Baum, zwei bis zwölf Meter hoch. Volkstümliche Namen der Traubenkirsche sind Sumpfkirsche, Elsenkirsche, Elsner, in Österreich Ösn (Elsen).
 
Blüten hängen in Trauben


Blattnerven machen die Biege
Elzenbaum heißt ein kleines Dorf nahe meiner Heimatstadt Sterzing in Südtirol. Es steht über dem längst trockengelegten, berühmten (gut, örtlich berühmten) Sterzinger Moos. In den Zwanziger Jahren begannen die faschistischen Machthaber Italiens, die deutschen Ortsnamen in Südtirol zu „übersetzen“, das heißt, mit Krampf eine italianità, die es in Wahrheit nicht gab, zu konstruieren. An manche Namen wurde nun ein o angehängt (Merano); andere Übersetzungen verraten eine gewisse Grenzdebilität (Moos – Moso). Das Dörfchen Elzenbaum wurde zu Pruno. Hier hatte sich der Übersetzer doch Gedanken gemacht. „Elzenbaum“ ist ein volkstümlicher Name der Traubenkirsche, Pruno bezieht sich auf den lateinischen Namen der Traubenkirsche, Prunus padus – wobei Padus der lateinische Name des Po war.
Im Moos unterhalb Elzenbaums wuchsen einst die Elzenbäume
Die Poebene – und das Sterzinger Moos - waren sicher ein guter Ort für Traubenkirschen, denn die ist ein Baum der Sümpfe und Auwälder. Trockenheit mag sie nicht, doch wächst sie auch außerhalb der Ebenen auf Hügeln und an Wegrändern, solange das Klima feucht genug ist. Der Name der Pflanze im Moos war auf das Dorf Elzenbaum übergegangen.

Im späten Frühling bieten manche Traubenkirschen einen bizarren Anblick: Zweige und Stamm sind von einem feinen weißen Gespinst überzogen. Darunter wuseln Abertausende Raupen, die den Baum ratzfatz kahlfressen. Es sind die Raupen der Traubenkirschen-Gespinstmotte, eines weißen Insekts, das nur auf der Traubenkirsche seinen Lebenszyklus vollendet. Der Baum übersteht den Kahlfraß meist ohne größeren Schaden und treibt neu aus. Bald verpuppen sich die Raupen unter dem Gespinst, aus den Puppen schlüpfen die Schmetterlinge, die sich alsbald auf die Suche nach neuen Traubenkirschen machen – angelockt vielleicht vom Fischgestank der Wirtspflanzen.
So fängt es an, im Mai und....


....ratzfatz ist das Radl kahlgefressen

 Ja, richtig gelesen: Traubenkirschen riechen für menschliche Nasen unangenehm. Der Grund sind die vielen Amine in ihren Blüten. Amine sind chemische Stinker, Abkömmlinge des Ammoniums. So geht der Geruch nach Fäkalien und verdorbenem Fleisch auf Amine zurück (Methyl-, Ethyl und Trimethylamin). Auch Holz und Rinde der Traubenkirsche riechen stark und sind dazu noch giftig, sie enthalten Amygdalin, das Bittermandel-Gift.

Nun also hinaus ins Freie, um sich an Traubenkirschen zu erfreuen. Den weißblühenden Weißdorn kennen eifrige Eulenblick-Leser ja schon vom Blogeintrag vom Mai 2012. Nächstes Frühjahr kommt dann der nächste Weißblühende dran. Bis ich neunzig bin, sollten ein paar zusammengekommen sein.

Angelika Schneider

Auf in's Freie, um sich an Traubenkirschen zu erfreuen

Fotos:
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