Pflanze des Monats April
GänseblümchenBellis perennis
Bellis perennis – die ausdauernde Schöne nannte sie Carl von Linné, der schwedische Botaniker, den wir schon öfter als den Schöpfer der zweiteiligen wissenschaftlichen Benennung der Organismen kennengelernt haben. Ausdauernd ist das Gänseblümchen auf zweifache Weise: Im Frühjahr treibt es aus einer Blattrosette aus, die sich über Jahre immer wieder erneuert; die bringt dann bis in den Herbst hinein immer neue Stängel hervor, auf denen ein einzelnes Blütenköpfchen sitzt. Wer sich auf Augenhöhe mit dem Gänseblümchen begibt, sprich sich ins Gras legt, wird aus der Blattrosette Stängel um Stängelchen nacheinander austreiben sehen.
Das Gänseblümchen könnte auch Mauerblümchen heißen, so
bescheiden kommt es daher. Jeder kennt es, die meisten würden es wohl eher „hübsch“
als „schön“ nennen. Beachtung findet es, weil es als eine der ersten Blumen auf
den Wiesen erscheint. Ursprünglich im Mittelmeer heimisch, breitete sich das
Gänseblümchen auf den vom Menschen gerodeten Flächen seit der Antike über ganz
Mittel- und Nordeuropa aus. Heute kommt es auch in Nord- und Südamerika vor, als
ein Element des so genannten kolumbischen Austauschs, der die Verbreitung von
Organismen durch den Menschen hin und her über alle Kontinente nach dem Jahr 1500
beschreibt.
Manch einem muss das Gänseblümchen aber auch wirklich
gefallen haben: Tausendschön ist einer seiner vielen deutschen Namen, ein
anderer Maßliebchen. „Maß“ kommt aus dem altsächsischen Mat und heißt Speise;
die bayerische Mass gehört hierher (Bayern wissen vom Grundnahrungsmittel
Bier), der Maat und der Mäpel, der Feldahorn. Das Maßliebchen kann man essen;
es liefert Zucker und vor allem Vitamine, auf die früher die Menschen nach dem
langen Winter ganz wild waren. Zum Thema Maß und Speise siehe auch den Eulenblick
vom Oktober 2010 über die verschiedenen Ahorne.
Lila angehaucht im Morgenlicht |
Der Namen des Gänseblümchens kommt von den Kelten, die die Sonne
als kosmische Gänsemagd betrachteten – am Morgen (im Frühling) trieb sie die
Gänse auf die Wiese, am Abend (im Herbst) wieder zurück in den Stall. Durch die
lange Blütezeit des Gänseblümchens von Frühling bis Herbst war es deshalb die
Blume der göttlichen Gänsemagd.* Auch durch die gelb-weiße strahlenförmige
Blüte war es ein Sonnensymbol. Im Englischen heißt das Gänseblümchen Daisy, das kommt von day‘s eye, eine Anspielung auf seine
Fähigkeit, die Blüte bei Dunkelheit und regnerischem Wetter zu schließen. Margheritina – kleine Margerite – heißt
das Gänseblümchen im Italienischen. Doch ist, anders als bei der größeren
Schwester, die Außenseite der Kelchblätter rötlich-rosa angehaucht, manch ganz
geschlossene Blüte wirkt im frühen Morgenlicht weinrot oder dunkel-violett.
Göttliche Gänsemagd der Kelten |
Das Blütenköpfchen ist eigentlich ein Bündel einzelner –
gelber – Röhrenblüten (bis über 100), die mit ihrem Zusammenschluss und dem
weißen Kranz von (sterilen) Zungenblüten ein Ensemble bilden, das Bestäuber
besser anlockt als eine Einzelblüte. So eine Schaufunktion von Blütenverbänden ist
uns im Blog über das Edelweiß schon begegnet (August 2012)
Mittelalterliche Wimmelbilder
Auf Gemälden aus dem Spätmittelalter ist das Gänseblümchen oft
unter glamourösen Vertreterinnen der floristischen Haute volée abgebildet – mit Lilie, Rose, Akelei, Veilchen,
Maiglöckchen, Malve oder Levkoje. Diese Schönen schmücken den Garten Mariens,
den Hortus conclusus, bilden
schützende Lauben und ihrem Fuß schmeichelnde Blütenteppiche. Die Pflanzen
waren Mariensymbole – die Lilie für die Reinheit der Jungfrau, die Rose für die
Liebe, das hängende Köpfchen der Akelei für die Sorge Mariens, das Gänseblümchen
– natürlich – für ihre Demut und Bescheidenheit.
Who 's who: Mittelalterliches Wimmelbild |
Das Frankfurter „Paradiesgärtlein“ des Oberrheinische
Meisters (um 1410) ist ein mittelalterliches Wimmelbild; fast eine
aristotelische Sammlung exakt abgebildeter Vögel und Pflanzen: Akelei, Ehrenpreis,
Erdbeere, Frauenmantel, Gänseblümchen Goldlack, Immergrün, Kirsche, Klee, Lilie, Märzenbecher, Maiglöckchen, Malve, Margerite, Samtnelke, Pfingstrose, Rose, Schlüsselblume, Schwertlilie, Senf, Rote Taubnessel, Veilchen, Wegerich, Chrysantheme, Astern, Johanniskraut und Levkoje
sowie Eisvogel, Kohlmeise, Dompfaff, Pirol, Buchfink, Rotkehlchen, Buntspecht, Seidenschwanz, Gimpel, Schwanzmeise, Blaumeise, Wiedehopf, Libellen und Weißlinge.**
`Ne Idee von Gänseblümchen
Glamouröse Freundinnen: Gänseblümchen mit Florentiner Lilie |
Natürlich kommt das Gänseblümchen auch auf dem berühmtesten
Blütenteppich der italienischen Malerei vor, der Primavera des Sandro Botticelli von 1478. Botticelli malte den Garten der Venus, der Titel Primavera - Frühling stammt aus späterer Zeit. An die 500 Pflanzen
sollen auf diesem Gemälde dargestellt sein, von Tanne, Lorbeer, Myrthe,
Zypresse, Wacholder im Hintergrund bis zu den 190 blühenden Blumen des Rasens
und des Blütenkranzes der Flora. Es ist ein profanes Bild, Maria wird von Venus
abgelöst, Merkur bewacht den Garten der Venus - den Heiligen Hain. Flora, die Göttin
der Blüte und bäuerlichen Arbeit, streut Blumen, der Reigen der drei
Grazien, der geflügelte Cupido, Zephyr und die Nymphe Chloris ergänzen das Tableau.
Flora im floralen Design |
Viel ist über die Bedeutung dieses Bildes spekuliert worden.
Eine Deutung nimmt sich der Rolle der Natur auf diesem Bild an. Die Darstellung
der Pflanzen durch Botticelli folgt der
neuplatonischen Philosophie der Renaissance und den Reflexionen ihres
Hauptvertreters, Marsilio Ficino. Ficino fordert geistige Harmonie in der Verbindung von
Einzelteilen, Harmonie der menschlichen Gestalt, Harmonie von Farben und
Konturen. Vor allem aber sollte die Kunst sich an der platonischen Ideenlehre
orientieren. Dem abgebildeten Gegenstand ist seine Idee inhärent. Durch die
Darstellung der Idee der Natur übertraf der Künstler die Natur selbst. Mit der Wiedergabe
der Idee, die das Göttliche in sich birgt, überwindet der Künstler also die
Natur; so wie die platonische Idee die Materie überwindet. Botticellis folgte
in seiner Malerei diesen neuplatonischen Prinzipien.
Jetzt hat uns das Gänseblümchen doch glatt in das Dickicht
der platonischen Ideenlehre geführt, aus dem die geschätzten Leser hoffentlich
bald wieder herausfinden werden.
Im Dickicht der platonischen Ideenlehre |
P.S. Eine ganz andere, historisch-politische Deutung der
Primavera gibt Horst Bredekamp in seinem Buch Sandro Botticelli Primavera (Berlin 2002). Hier geht es vor allem um
dynastische Raufereien verschiedener Fraktionen der Medici in Florenz.
*Hortipedia
**Wikipaedia
Foto: Wolf Schröder (2) Wikipaedia Commons (5)
Foto: Wolf Schröder (2) Wikipaedia Commons (5)