Orange
Citrus x sinensis
Citrus x aurantium
„…im dunklen Laub die Goldorangen glüh`n…" |
Manchmal glaubt man, es gäbe nichts Schlimmeres: Nach der Skitour auf dem Gipfel angekommen gegen den Durst nichts anderes dabeizuhaben als eine halbgefrorene, mit dünner Schale versehene, tropfende, bitter schmeckende, weil überreife Blutorange, die man sich mit steifgefrorenen Fingern mühsam einverleibt, um danach die Abfahrt mit einen gefühlten Eisklumpen im Magen anzutreten. Manchmal glaubt man, es gäbe nichts Schöneres: nach dem Langlaufen heimkommen und seinen Durst mit einer süßen, saftigen, leicht schälbaren und schön temperierten Navelorange zu stillen. Ja, ohne die glühende Goldorangen wären die Winterfreuden nur halb so freudig!
kleine Frucht einer wilden Orange
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Die Araber brachten die Orange im 7. Jahrhundert nach
Sizilien. Lange Zeit waren die Orangen nur Zierplanzen in den Gärten der Oberschicht,
weshalb die Sizilianer die Orangenplantagen heute noch giardini nennen. Die Araber bauten nur die Bitterorange oder
Pomeranze an. Die süße Orange brachte erst Vasco da Gama um 1500 nach Portugal.
Von dort aus verbreitete sich die Orangenkultur im Laufe der Zeit in alle Welt,
vor allem auch nach Nord- und Südamerika. Heute ist die Orange das
meistangebaute Obst der Welt. Und die Araber bezeichnen die Orange als burtuqal, von Portugal, obwohl das Wort
Orange vom arabischen narandsch
kommt. Sowohl die eigentliche Orange als auch die Bitterorange sind Kreuzungen
aus der Pampelmuse (Citrus maxima)
und der Mandarine (Citrus reticulata).
Deshalb schreiben wir heute Citrus x
sinensis und Citrus x aurantium.
Der erste Namengeber der Orangen war Carl von Linné.
Die Orange ist ein immergrüner, mit Dornen versehener Baum,
der bis 10 m hoch wird. Die Blätter sind glänzend dunkelgrün, oval, in eine
abgestumpfte Spitze auslaufend. Die duftenden weißen Orangenblüten im
Brautkranz sind Symbol für Reinheit und Jungfräulichkeit der Braut. Die
Sizilianer nennen die Orangenblüte zagara
– daraus stammt der berühmte miele di
zagara, der Orangenblütenhonig.
Blüten für Brautstrauß und Honig
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Die Orangen blühen und fruchten zugleich – in Europa im
Winter und Frühling. Die grün-orange-weiße Farbkombination verleiht dem
Orangenbaum seinen besonderen ästhetischen Reiz.
Im Deutschen gibt es die zwei Bezeichnungen Orange und
Apfelsine („appelsien“, der Apfel aus China im Niederländischen).Ursprünglich
sagte man Orange nur in Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol.
Heute breitet sich die Orange immer
weiter aus. Auch in Norddeutschland gibt es kaum noch Apfelsinen-, sondern nur
noch Orangensaft. Vermutlich klingt die Orange französischer, „feiner“. Und in
den neuen Bundesländern klingt die Apfelsine nach der alten DDR. In
Südtirol sagt man Oranschn und in
Bayern fragt sich der Tourist, ob die Marktfrau mit dem gebellten Oraahschn etwas Unanständiges gesagt
hat.
Es gibt weltweit Hunderte von Orangensorten. So sind im
Mittelmeerraum die Jaffa- und die
Valencia- Orange weit verbeitet. Die Navelorangen (ursprünglich Bahia –
Orangen) wurden in Brasilien gezüchtet. Sie sind leicht schälbar und haben eine
kleine abortierte Tochterfrucht an der Spitze. Die rote Farbe der Blutorangen
stammen von Anthocyanen, die für rote und blaue Farben zuständigen Pigmente im
Pflanzenreich (s. auch den Artikel über den Schwalbenwurzenzian im Eulenblick
vom September 2010). Die Blutorangen – mit den bekannten Sorten Moro und
Tarocco – stammen vor allem aus Sizilien, von den Hängen des Ätna.
Mit der abortierten Tochterfrucht: Navelorange
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Die mit Abstand führenden Orangenproduzenten sind Brasilien
und die USA. Dort werden Orangen vor allem in Florida und Kalifornien angebaut.
Die meisten Orangen gehen in die Saftproduktion. Im oscargekrönten Film Chinatown von Roman Polanski geht es um Korruption und
Mord im Kampf um Wasserrechte zur Bewässerung der Orangenplantagen im Orange
County nördlich von Los Angeles in den dreißiger Jahren. In einer Szene sieht
man Jack Nicholson durch die Reihen der Orangenbäume mit seinem Auto seinen
Verfolgern davonfahren.
General Steubens Bäumchen
In den Gewächshäusern des Botanischen Gartens München steht an prominenter Stelle, links hinter dem Eingang, ein historisches Pomeranzenbäumchen:
Pomeranzen sind Bitterorangen. Ihre Früchte sind etwas
kleiner als die der Süßorangen, das Fruchtfleisch ist sauer, die Häutchen
schmecken bitter. Die Schale der Bitterorange ist dick und etwas uneben. Aus
ihr wird Orangeat hergestellt und ein ätherisches Öl, das Petitgrain. Und
natürlich die – für mich – teuflisch gute englische Orangenmarmelade. Auch
Pomeranzen waren beliebte Zierpflanzen in den Gärten des Adels; Orangerien ein
besonderes Status- und Herrschaftssymbol.
Pomeranzen auf der Reise nach Prag
In der berühmten Novelle Mozart auf der Reise nach Prag von Eduard Mörike
rankt sich die Handlung um eine Episode, in der ein Pomeranzenbäumchen der
Anlass für eine „unerhörte Begebenheit“ (Goethe) ist. Mörike flicht Historisches
in die Handlung: 1787 reiste Mozart mit seiner Frau Konstanze nach Prag, zur Uraufführung
seiner Oper Don Giovanni. Erdichtet ist die Ankunft Mozart im Schlosspark
eines Grafen von Schinzberg. Gedankenverloren, an Melodien denkend, pflückt
Mozart eine Frucht von einem Pomeranzenbaum. Vom Gärtner erwischt, sich mit
einem Billet beim Grafen entschuldigend, werden Herr und Frau Mozart ins
Schloss eingeladen, wo am selben Tag die Feier zur Verlobung der Tochter
Eugenie stattfindet. Wir erfahren, dass die Pomeranzen abgezählt waren; die
neun Früchte symbolisieren die Musen. Ein heiteres Rokoko – Schlossfest mit
Musik und Gesprächen lässt Mörike vor unseren Augen erstehen, aber auch eine
untergründige Melancholie, die den frühen Tod Eugenies (und Mozarts) antizipiert.
Der hundertjährige Pomeranzenbaum ist das Symbol für die
dynastische Kontinuität einer feudalen Familie. Tatsächlich waren Orangenbäume
und Orangerien beliebte Statussymbole auch in Renaissance und Barock; die göttliche
Frucht ein Statement zur Unveränderlichkeit der
Herrschaftsansprüche und zum direkt von Gott kommenden Auftrag zur Herrschaft.
Ist Mozarts Griff nach der verbotenen Frucht ein Akt der Rebellion? Immerhin
soll auch Don Giovannis unbotmäßiger Diener Leporello eine Anspielung auf die
kommende Französische Revolution sein.