Sonntag, 15. Januar 2012

Orange





Orange


Citrus x sinensis
Citrus x aurantium 

„…im dunklen Laub die Goldorangen glüh`n…"

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Manchmal glaubt man, es gäbe nichts Schlimmeres: Nach der Skitour auf dem Gipfel angekommen gegen den Durst nichts anderes dabeizuhaben als eine halbgefrorene, mit dünner Schale versehene, tropfende, bitter schmeckende, weil überreife Blutorange, die man sich mit steifgefrorenen Fingern mühsam einverleibt, um danach die Abfahrt mit einen gefühlten Eisklumpen im Magen anzutreten. Manchmal glaubt man, es gäbe nichts Schöneres: nach dem Langlaufen heimkommen und seinen Durst mit einer süßen, saftigen, leicht schälbaren und schön temperierten Navelorange zu stillen. Ja, ohne die glühende Goldorangen wären die Winterfreuden nur halb so freudig!
Die Orange stammt aus dem Orient, aus China, Malaysia, Indien, Thailand. Die chinesischen Kaiser ließen schon vor mehr als 4.000 Jahren Orangen anbauen.

kleine Frucht einer wilden Orange


Die Araber brachten die Orange im 7. Jahrhundert nach Sizilien. Lange Zeit waren die Orangen nur Zierplanzen in den Gärten der Oberschicht, weshalb die Sizilianer die Orangenplantagen heute noch giardini nennen. Die Araber bauten nur die Bitterorange oder Pomeranze an. Die süße Orange brachte erst Vasco da Gama um 1500 nach Portugal. Von dort aus verbreitete sich die Orangenkultur im Laufe der Zeit in alle Welt, vor allem auch nach Nord- und Südamerika. Heute ist die Orange das meistangebaute Obst der Welt. Und die Araber bezeichnen die Orange als burtuqal, von Portugal, obwohl das Wort Orange vom arabischen narandsch kommt. Sowohl die eigentliche Orange als auch die Bitterorange sind Kreuzungen aus der Pampelmuse (Citrus maxima) und der Mandarine (Citrus reticulata). Deshalb schreiben wir heute Citrus x sinensis und Citrus x aurantium. Der erste Namengeber der Orangen war Carl von Linné.

Die Orange ist ein immergrüner, mit Dornen versehener Baum, der bis 10 m hoch wird. Die Blätter sind glänzend dunkelgrün, oval, in eine abgestumpfte Spitze auslaufend. Die duftenden weißen Orangenblüten im Brautkranz sind Symbol für Reinheit und Jungfräulichkeit der Braut. Die Sizilianer nennen die Orangenblüte zagara – daraus stammt der berühmte miele di zagara, der Orangenblütenhonig.

Blüten für Brautstrauß und Honig


Die Orangen blühen und fruchten zugleich – in Europa im Winter und Frühling. Die grün-orange-weiße Farbkombination verleiht dem Orangenbaum seinen besonderen ästhetischen Reiz.

 Zwoa Pfund Oraahschn
Im Deutschen gibt es die zwei Bezeichnungen Orange und Apfelsine („appelsien“, der Apfel aus China im Niederländischen).Ursprünglich sagte man Orange nur in Süddeutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol. Heute breitet sich die Orange immer weiter aus. Auch in Norddeutschland gibt es kaum noch Apfelsinen-, sondern nur noch Orangensaft. Vermutlich klingt die Orange französischer, „feiner“. Und in den neuen Bundesländern klingt die Apfelsine nach der alten DDR. In Südtirol sagt man Oranschn und in Bayern fragt sich der Tourist, ob die Marktfrau mit dem gebellten Oraahschn etwas Unanständiges gesagt hat.
Es gibt weltweit Hunderte von Orangensorten. So sind im Mittelmeerraum die Jaffa-  und die Valencia- Orange weit verbeitet. Die Navelorangen (ursprünglich Bahia – Orangen) wurden in Brasilien gezüchtet. Sie sind leicht schälbar und haben eine kleine abortierte Tochterfrucht an der Spitze. Die rote Farbe der Blutorangen stammen von Anthocyanen, die für rote und blaue Farben zuständigen Pigmente im Pflanzenreich (s. auch den Artikel über den Schwalbenwurzenzian im Eulenblick vom September 2010). Die Blutorangen – mit den bekannten Sorten Moro und Tarocco – stammen vor allem aus Sizilien, von den Hängen des Ätna.
Mit der abortierten Tochterfrucht: Navelorange

Die mit Abstand führenden Orangenproduzenten sind Brasilien und die USA. Dort werden Orangen vor allem in Florida und Kalifornien angebaut. Die meisten Orangen gehen in die Saftproduktion. Im oscargekrönten Film Chinatown  von Roman Polanski geht es um Korruption und Mord im Kampf um Wasserrechte zur Bewässerung der Orangenplantagen im Orange County nördlich von Los Angeles in den dreißiger Jahren. In einer Szene sieht man Jack Nicholson durch die Reihen der Orangenbäume mit seinem Auto seinen Verfolgern davonfahren.

General Steubens Bäumchen

In den Gewächshäusern des Botanischen Gartens München steht an prominenter Stelle, links hinter dem Eingang, ein historisches Pomeranzenbäumchen:
 


Pomeranzen sind Bitterorangen. Ihre Früchte sind etwas kleiner als die der Süßorangen, das Fruchtfleisch ist sauer, die Häutchen schmecken bitter. Die Schale der Bitterorange ist dick und etwas uneben. Aus ihr wird Orangeat hergestellt und ein ätherisches Öl, das Petitgrain. Und natürlich die – für mich – teuflisch gute englische Orangenmarmelade. Auch Pomeranzen waren beliebte Zierpflanzen in den Gärten des Adels; Orangerien ein besonderes Status- und Herrschaftssymbol.
Pomeranzen auf der Reise nach Prag

In der berühmten Novelle Mozart auf der Reise nach Prag von Eduard Mörike rankt sich die Handlung um eine Episode, in der ein Pomeranzenbäumchen der Anlass für eine „unerhörte Begebenheit“ (Goethe) ist. Mörike flicht Historisches in die Handlung: 1787 reiste Mozart mit seiner Frau Konstanze nach Prag, zur Uraufführung seiner Oper Don Giovanni. Erdichtet ist die Ankunft Mozart im Schlosspark eines Grafen von Schinzberg. Gedankenverloren, an Melodien denkend, pflückt Mozart eine Frucht von einem Pomeranzenbaum. Vom Gärtner erwischt, sich mit einem Billet beim Grafen entschuldigend, werden Herr und Frau Mozart ins Schloss eingeladen, wo am selben Tag die Feier zur Verlobung der Tochter Eugenie stattfindet. Wir erfahren, dass die Pomeranzen abgezählt waren; die neun Früchte symbolisieren die Musen. Ein heiteres Rokoko – Schlossfest mit Musik und Gesprächen lässt Mörike vor unseren Augen erstehen, aber auch eine untergründige Melancholie, die den frühen Tod Eugenies (und Mozarts) antizipiert.
Der hundertjährige Pomeranzenbaum ist das Symbol für die dynastische Kontinuität einer feudalen Familie. Tatsächlich waren Orangenbäume und Orangerien beliebte Statussymbole auch in Renaissance und Barock; die göttliche Frucht ein Statement zur Unveränderlichkeit der Herrschaftsansprüche und zum direkt von Gott kommenden Auftrag zur Herrschaft. Ist Mozarts Griff nach der verbotenen Frucht ein Akt der Rebellion? Immerhin soll auch Don Giovannis unbotmäßiger Diener Leporello eine Anspielung auf die kommende Französische Revolution sein.