Ein Halbschmarotzer
Keine Aufregung! Angela Merkel hat diesen Ausdruck nicht auf die Bürger der PIIIGS (Portugal,
Irland, Italien, Griechenland, Spanien) gemünzt! Der Halbschmarotzer, um
den es hier geht, ist vielmehr eine in der Weihnachtszeit beliebte Pflanze: die
Mistel
Viscum album
Pappelkrätze? Nein, Misteln. In Froschhausen bei Murnau. Foto Wolf Schröder
Aus den kahlen Kronen von Pappeln, Ahornen und Apfelbäumen stechen sie jetzt besonders hervor: die immergrünen Gebilde der Mistel. Ihre ledrigen grünen Blätter betreiben Photosynthese – das bedeutet, dass die Mistel die Energie für ihren Stoffwechsel in Form von Traubenzucker selbst herstellt, so wie alle grünen Pflanzen. Doch mit ihren Wurzeln dringt sie in die Leitungsbahnen der Bäume ein und saugt dort Wasser und Salze heraus. Deshalb ist sie ein Halbschmarotzer. Die Mistel hat kleine ledrige, gelbgrüne Blätter. Sie bilden im Juli/August ihre unscheinbaren Blüten aus und im Winter die weißlichen, klebrigen Samen. Die können erst keimen, wenn sie im Darm eines Vogels vorverdaut wurden. Eichelhäher, Spechte und besonders die Misteldrossel verbreiten die Samen, an denen noch klebrige Reste haften, auf den Wirtsbäumen. Keimende Samen bilden zuerst eine kleine Scheibe aus, die auf der Rinde haftet. Daraus wächst eine Senkwurzel, ein Haustorium, das in den Wirtsbaum eindringt. Daraus bilden sich echte Wurzeln, die die Mistel fest verankern. Mit der Zeit wachsen die Misteln zu kugelförmigen Gebilden heran, die 1 Meter Durchmesser erreichen können. Normalerweise halten die Wirtsbäume den Mistelbefall gut aus; bei starkem Befall können Äste oder sogar der ganze Wirtsbaum absterben.
Wer findet das Haustorium?
Miraculix‘ Zaubertrank
Wir, die wir unsere mythologische Grundausbildung aus den
Asterix – Heften haben, wissen, dass der Zaubertrank, in den Obelix als Baby
gefallen war, vom Druiden Miraculix aus der Mistel gebraut wurde, die er mit
seiner goldenen Sichel aus den Bäumen schnitt. Für die Gallier, die Kelten
also, war die Mistel die heiligste aller Pflanzen. Jacques Brosse zitiert in
seinem Buch „Mythologie der Bäume“ Plinius den Älteren: „…sollte die
Bewunderung, welche man in ganz Gallien dem Mistelzweige entgegenbringt, nicht
übersehen werden. Die Druiden … achten nichts heiliger als die Mistel …Sie
glauben nämlich, was auf diesen Bäumen wächst, sei vom Himmel gesandt und ein
Zeichen, dass der Baum vom Gotte selbst erwählt sei. Die Mistel ist sehr selten
anzutreffen, wird sie aber gefunden, dann pflückt man sie mit aller
Feierlichkeit.“
Eine Pflanze, die den Boden nicht berührt und hoch in den Bäumen wächst, ist dem Himmel verbunden und den Göttern nah. Die Priester der Kelten, die Druiden, schnitten sie mit besonderen liturgischen Werkzeugen vom Baum – die Überlieferung spricht von goldenen Sicheln. Wie andere immergrüne Pflanzen auch, war die Mistel ein Symbol für ewiges Leben und ewige Liebe. Das weihnachtliche Küssen unterm Mistelzweig in England und Amerika geht auf diese alte Überzeugung zurück. Die über der Haustür aufgehängte, von den Druiden verteilte Mistel, war zugleich ein Abwehrzauber gegen böse Geister.
Die Mistel war auch die wichtigste Heilpflanze der Kelten. Sie sollte vor allem gegen Epilepsie helfen – die Pflanze, die den Boden nicht berührt, bewahrt auch den Kranken davor, hinzufallen.
Miraculix' Werkzeug: die goldene Sichel
Man nehme 300 g Mutter Erde, 1 Prise Mythologie, 1 Glas
Druidengeist, 1 Tüte Backpulver für die Levitation, fertig ist der
Eso-Schmarren. Wir servieren ihn an Mistelzweig. Zum Nachtisch gibt’s
Kraftplätzchen.
Wo Kelten und Druiden, da Esoteriker. Für die soll die arme Mistel ein Wunderkraut sein und gegen alles helfen - von der Hysterie über aufgerissene Haut, Frostbeulen, Darmkolik bis zu – natürlich – Epilepsie. Immer wieder kolportiert, doch nie nachgewiesen, ist die Wirksamkeit der Mistel gegen Krebs. Alternativ, ganzheitlich, sanft soll die Misteltherapie sein; sie weckt die Hoffnungen Verzweifelter, ohne ihre Versprechungen plausibel begründen zu können.