Dienstag, 18. Oktober 2011

Wermut

Wermut, Sagebrush, Génépi - drei Pflanzen, die es in sich haben

Im Oktober widmet sich der Eulenblick der Gattung Artemisia, benannt nach Artemis, der griechischen Göttin der Jagd. Im Deutschen tragen die Artemisia-Pflanzen auch den schönen Namen "Edelraute" oder "Beifuß". Sie sind meist aromatisch; enthalten ätherische Öle und Bitterstoffe. Sie wurden deshalb seit jeher als Heilpflanzen verwendet, aber auch bei rituellen Handlungen eingesetzt.


Ährige Edelraute Artemisia genipi

Aufstiegshilfe für Bergsteiger?

Vor kurzem war ich in den italienischen Westalpen, im Valle Maira, beim Bergsteigen. Unser Bergführer H., ein Freund aus Kindertagen, befolgte jeden Abend ein kleines Ritual, dem andere unserer Gruppe bald folgten: nach dem Essen gab es ein Verdauungsschnäpschen, einen Génépi. Das ist ein Kräuterlikör aus der Ährigen oder Schwarzen Edelraute, Artemisia genipi. Der Génépi wird überall in den französischen und italienischen Westalpen und in Teilen der Schweiz, z.B. im Wallis, getrunken.





Die wilde Ährige Edelraute kommt in den Alpen vor, von Frankreich über Italien, die Schweiz, Österreich bis nach Slowenien. Sie wächst in den Höhenlagen der Berge bis auf 3800 m, auf Schuttböden und Kalkschiefer. Ihr unverzweigter Stängel wird um die 20 cm hoch. An seinem Ende findet sich der Blütenstand, in dem die gelben Blütenkörbchen und Blätter sich abwechseln. Blätter und Stängel sind gräulich-grün und filzig behaart.


 Der Likör wird hergestellt, indem man die mazerierten (zerstampften) Pflanzen in Alkohol ansetzt. Nachdem die Ährige Edelraute, anders als etwa Wermut, keine Bitterstoffe enthält, muss man die Aromastoffe nicht erst durch Destillation trennen. Die Aromastoffe aus der Edelraute lösen sich im Alkohol.

Die Pflanze wird gesammelt, aber auch angebaut. In der Valle Maira liegen Felder mit der Ährigen Edelraute.


                                        Aufstiegshilfe Génépi: In der Valle Maira


Gemeiner Wermut Artemisia absinthium

...und bitter schmeckt der Wermuttee

Mit dieser Zeile endete ein Gedicht aus einem meiner Kinderbücher. Davor war von Kindern die Rede, die sich mit Kuchen, Schokolade und Bonbons (bayerisch: Guatseln, tirolerisch: Zuggerlen) vollstopften und davon Bauchweh bekamen, Die Strafe folgte auf dem Fuß, denn bitter schmeckt.....

Hier tritt uns der Wermut (Artemisia absinthium) als Heilpflanze entgegen. Er kam schon in der Antike als Heilpflanze zur Anwendung und im Mittelalter empfahl ihn natürlich auch die unvermeidliche Hildegard von Bingen bei Blähungen und Verstopfung.

Die heilende Wirkung kommt von den Bitterstoffen der Pflanze, die die Verdauung fördern, den Magen beruhigen, den Gallenfluss anregen. Bitterstoffe sind chemisch sehr heterogen und kommen in sehr vielen Pflanzen vor. In der Natur bewahren sie ihre Träger davor, von Weidetieren oder Raupen gefressen zu werden.




Die Wermutpflanze hat eine gräulich-grüne Farbe. Die Stängel sind dicht beblättert und behaart. Die unteren Blätter sind lang gestielt und zwei- bis dreilappig, die oberen sitzen mehr oder weniger auf dem Stängel auf und sind lanzettlich geformt. Die kleinen Blüten sind gelb und behaart. Sie sind in bis zu 30 cm langen Rispen verbunden. Wermut kommt in den gemäßigten Zonen Europas und Asiens vor und wächst auf trockenen sandig-lehmigen Böden.

Und ein Wermutstropfen kann einem alles Süße vergällen.

Die grüne Fee

So bitter der Tee, so süß der Likör: Wermut ist die Basis für ein Getränk, das einen mythisch-verruchten Ruf hat, Absinth.


Absinth war im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in Frankreich die Droge der Künstler und Kreativen. Vincent van Gogh ist ein bekanntes Beispiel, aber auch Henri de Toulouse-Lautrec, der einen "Absinth-Trinker" malte. Auch Picasso porträtierte verschiedene Absinthtrinkerinnen. Unter den Schriftstellern tat sich auch Ernest Hemingway hervor. Aber der trank eh alles, was Promille hatte. Die Absinthtrinkerin unten stammt von Marcel Prunier aus dem Jahr 1926:




Absinth wird aus einem Destillat der Wermutpflanze hergestellt. In das Destillat gelangen nur die süßlichen ätherischen Öle, nicht die Bitterstoffe. Deshalb schmeckt Absinth nicht bitter. Die ätherischen Öle enthalten allerdings Thujon, ein Nervengift, dem man die zersetzende Wirkung des Absinth einst zugeschrieben hatte. In geringer Dosis ist Thujon nicht giftig; außer im Wermut kommt es in vielen anderen Pflanzen vor, zum Beispiel im Rosmarin oder Basilikum und in der Thuja. Daher stammt auch sein Name.

Thujon kann in hohen Dosierungen Magen- und Darmprobleme bereiten, bei hoher Überdosis auch Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Ob es aber das Thujon war, dem der Absinth seine Zerstörungskraft verdankte, ist unwahrscheinlich. Dem Absinth wurden zwar auch Gifte wie Arsen oder Antimoniumsalze zugesetzt, die ihm seine grüne Farbe gaben - "die grüne Fee" hieß der Absinth in Frankreich. In Wirklichkeit aber war die Ursache äußerst banal: die Freunde des Absinth waren einfach Säufer! Absinthschnaps kam in einer Konzentration von um die 90 (Alkohol-)% in den Handel. Er wurde mit Wasser verdünnt. Doch diese Verdünnung haben viele nicht sehr weit getrieben: Toulouse-Lautrec soll seinen Absinth gleich mit Cognac gemischt haben. Heute ist Absinth wieder im Handel, nachdem er lange verboten war. Die Thujonkonzentration ist allerdings gering.


Wüsten-Beifuß Artemisia tridentata

....where the deer and the antelope play

Artemisia tridentata, der Wüsten-Beifuß oder Wüsten-Salbei, bedeckt den halben nordamerikanischen Kontinent. Sein englischer Name lautet sagebrush, Salbeibusch, wegen seines bitterlich-aromatischen Dufts. Mit der Salbeipflanze ist er in Wirklichkeit nicht nahe verwandt.

Der graugrüne, ein Meter hohe Busch wächst im Trockengürtel des nordamerikanischen Westens, besonders Utah, Wyoming, Montana, den Dakotas, Texas, Kalifornien, aber auch in Mexiko und der kanadischen Prärie. Die typischen sonnenverbrannten, spärlich bewachsenen Gegenden der klassischen Westernfilme sind oft solche sagebrush flats.




Blätter und Blüten des Wüstensalbeis sind behaart, die Blätter an ihrem Ende dreifach gelappt, daher der Artname tridentata. Auch seine Blüten sind gelb. Für das Vieh ist er kein gutes Futter, da seine Bitterstoffe auf die Pansenbakterien giftig wirken. Es gibt nur eine großen Pflanzenfresser, dem der sagebrush richtig gut schmeckt, das ist die wunderschöne Pronghorn-Antilope. Sie ist berühmt für ihre bis zu sechs Meter hohen Sprünge, mit denen sie über die Büsche schnellt. In einer der schönsten Folk-Schnulzen aus Nordamerika werden ihre Sprünge als Spiel gedeutet: http://www.kididdles.com/lyrics/h020.html .




                                      Mitten in der Lieblingsspeise: Pronghorn-Antilope