In der kalten Jahreszeit, wenn Blumen und Bäume ihre Blüten- und Blätterpracht verloren haben, können auch unscheinbarere Lebewesen unseren Blick fesseln. Beim Rodeln oder Schifahren an schönen Wintertagen fällt uns dann ein sonst unbeachtetes, seltsames Gebilde auf, das auf den ersten Blick gar nicht wie eine Pflanze aussieht.
Bartflechte (Usnea barbata)
oder Baumbart heißt die Flechte, die in zottigen Strähnen von Bäumen herabhängt, in bis zu 30 cm langen gelbgrünen "Bärten". Es ist offensichtlich, woher der Baumbart seinen Namen hat. Er wächst im Gebirge in sauberer Luft, braucht hohe Luftfeuchtigkeit in Form von Regen oder Nebel. Er wächst auf Birken, Fichten oder Lärchen. Der Baumbart ist kein Parasit seiner Herbergsbäume, er sitzt auf der Rinde auf, dringt aber nicht in den Baum ein.
Klar, woher er seinen Namen hat..
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Bergsteiger wissen es: wenn sie über Wald und Almen hinaussteigen, sich den Gletschern nähern, sind die höchsten Pflanzen die gelben, schwarzen oder orangen Flechten, die die Felsen wie Krusten überziehen. Flechten wachsen in den unwirtlichsten Gegenden der Erde, in Wüsten, auf den höchsten Berggipfeln, in der Kälte der Arktis, auf nacktem Fels.
In verschiedenen Farben und Gestalten treten sie uns entgegen - krusten - , faden -,strauch - oder blattförmig, schwarz, weiß, grau, rot, orange, gelb. Flechten können mikroskopisch klein sein, oder in dicken Schichten den Boden kilometerweit bedecken, wie die Rentierflechte, die Nahrungsgrundlage der Rentiere Skandinaviens. Die Rentierflechte gilt als die einzige Flechte von ökonomischer Bedeutung.
Diese seltsamen Pflanzen sind eine Art von Doppelwesen, eine Verbindung aus Pilz und Alge. Der Pilz befindet sich außen, gibt der Flechte die Form. Er nimmt auch den größten Anteil am Flechtenkörper ein. Die Alge befindet sich im Inneren. Die Algen kommen auch als freie Formen vor, also ohne den Pilz, die Pilze aber nicht ohne die Alge. Ungefähr 17.000 Flechtenarten sind bis heute beschrieben.
Warum aber gehen systematisch so weit auseinanderstehende Organismen eine Symbiose ein? Was "haben" sie davon? Der Pilz schützt die Algen vor äußeren Einflüssen, die Alge ernährt den Flechtenkörper mit ihren in der Photosynthese gewonnenen Nährstoffen (Traubenzucker, Zuckeralkohole). Trotzdem haben wir hier kein perfekt austariertes Gleichgewicht vor uns, denn die Alge ist der unterlegene Partner: die Pilze saugen die Algen fast bis zum Letzten aus. Im Mikroskop erkennt man, dass der Pilz nicht nur die Ober- und Unterseite der Flechte ausmacht, sondern dass auch im Inneren die Alge in Pilzfäden, die Hyphen, eingebettet ist. Manche dieser Hyphen dringen direkt in die Zellen der Algen ein.
Trennt man Pilz und Algen im Labor, erkennt man, dass die Pilze schlechter, die Algen besser wachsen. Sie tun sich zur Symbiose zusammen, wenn die Bedingungen für Pilz und Alge allein schlechter wären als nach ihrem Zusammenschluss. Wenn die Bedingungen für die Flechte schlecht sind, kann aus der Symbiose zwischen beiden Organismen der Parasitismus des einen, des Pilzes, werden.
Heute glaubt man, dass es ihre Fähigkeit zur raschen Austrocknung ist, die die Flechten auch die lebensfeindlichsten Bedingungen überstehen lassen. Verliert die Flechte Wasser, wird die Pilzhülle dicker und lichtundurchlässig, die Photosynthese der Algen hört auf. Die Flechte tritt in ein nur noch latentes Lebensstadium ein. Benetzte Flechten hingegen können innerhalb kürzester Zeit bis zum Dreißigfachen ihres Trockengewichtes erreichen; sie saugen Wasser auf wie Papier, gleich ob sie abgestorben sind oder noch leben.
Flechten pflanzen sich über Soredien fort, Teilchen, die Stücke von Pilz und Alge enthalten.
Zur Photosynthese brauchen die Algen Licht und Feuchtigkeit. Gute Bedingungen sind oft nur wenige Stunden am Tag gegeben. Das Wachstum der Algen ist deshalb legendär langsam: 0,1 bis 10 mm wachsen sie - im Jahr! Größere Flechten sind deshalb oft 100 oder 200 Jahre alt. Alte Bäume sind auch deshalb wichtig, weil aufsitzende Flechten so langsam wachsen.
Schon lange ist bekannt, dass Flechten auf Luftverschmutzung sehr empfindlich reagieren. Flechten sind Indikatoren für die Luftqualität einer Gegend - das Fehlen der Flechten in Großstädten gab unter anderem den Anstoß für eine neue Politik der Luftreinhaltung. Die Empfindlichkeit der Flechten ergibt sich daraus, dass sie Schadstoffe über Luft und Regenwasser ihre ganze lange Lebensdauer hindurch aufnehmen, aber über keine Ausscheidungsorgane verfügen - sie reichern Schadstoffe also an. So fand man im Körper von Eskimos und Samen hohe Werte von Radioaktivität oder DDT - Rentiere und Karibous reicherten über ihre Flechtennahrung Schadstoffe an und gaben sie an die Menschen weiter.
Wo Kelten springen
Bräuchen rings um Perchten, Krampussen und anderen Wintergeistern, die im Alpenraum in den dunkelsten Wochen ihr Unwesen treiben, wird gerne zugeschrieben, heidnisch, archaisch, zumindest aber alt zu sein. Brauchtumsschützer hören es daher gar nicht gern, wenn Wissenschaftler das hohe Alter der Bräuche in Zweifel ziehen, die Perchten zum Beispiel auf das 19. Jahrhundert datieren. In einem verborgenen Winkel, in Oberstdorf im Allgäu, tanzen die Wilden Männle aber wahrscheinlich schon seit 2000 Jahren, seit den Zeiten der Kelten. Die erste Beschreibung des Tanzes stammt aus dem 7. Jahrhundert. Die Wilden Männle tragen eine Tracht, die wilder nicht sein könnte: ganz und gar aus zottigem Baumbart (Tannenbart im Allgäu) gemacht . Die Gestalten sind bis auf die Augen ganz vermummt. Ein Gürtel aus Fichtenreisig und ein Kranz aus Stechpalmen vervollständigt das Kostüm. Fichten und Stechpalmen sind als immergrüne Pflanzen Lebensyymbole. In England ist die Stechpalme Protagonistin vieler Winterbräuche, ein Symbol für ewiges Leben und Verbindung zum Überirdischen. In ihrem englischen Namen - Holly - spiegelt sich wider, mit welchen magischen, transzendentalen Zuschreibungen die Menschen die Stechpalme versehen.
Baumbart zum Fürchten
Fotos: Angelika Schneider (1),
Fremdenverkehrsbüro Oberstdorf (1)
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