Eulenblick Ausgabe Nr. 4
Pflanze des Monats Dezember
Viele von uns werden sich der guten alten Zeit entsinnen, als der Christbaum noch aus einem richtigen Wald kam. Förster und Waldbauern warfen kleine Fichten auf dem Markt, denen sie nicht zugetraut hatten, einmal schöne, starke Bäume zu werden. Ökologisch korrekt herangewachsen, spiegelte der Zustand dieser Bäumchen den Pessimismus der Förster hinsichtlich ihrer Zukunft wider: krumm gewachsen, buschig in Bodennähe, ausgedünnt im oberen Teil, zwei oder drei Wipfel. Beschert wurde auch: mit reichlichem Nadelfall nach wenigen Tagen.
In den letzten Jahrzehnten aber eroberte ein anderer Baum die heimischen Wohnzimmer, einer, der gerade gewachsen ist, regelmäßig beastet und mit haltbaren, grünglänzenden, nicht stechenden Nadeln versehen.
Die schöne
Nordmann-Tanne (Abies nordmanniana)
ist ein Baum mit Migrationshintergrund. Ihr Hauptvorkommen liegt im westlichen Kaukasus, einzelne Vorkommen gibt es in Armenien und auf der Krim.
Die Nordmann-Tanne* ist zwar verwandt mit unserer heimischen mitteleuropäischen Weißtanne, doch ihre eigentliche Familie kommt aus dem Mittelmeer. Sie gehört einer Gruppe von 12 eng verwandten Tannenarten an, die alle aus dem selben Stamm hervorgingen. Sie kommen rings um das Mittelmeer und darüber hinaus, bis ans Schwarze Meer, vor. Diese 12 Arten bilden eine sogenannte Sammelart oder Syngameon - es handelt sich da um eine Reihe von Übergangsformen zwischen nah verwandten Arten. Der gemeinsame, heute ausgestorbene Vorfahr dieser Tannen war einst im ganzen Territorium, das später das Mittelmeerbecken werden sollte, verbreitet. Die heutigen Formen sind entstanden, nachdem geologische Vorgänge das Mittelmeer entstehen hatten lassen und die Tannen in isolierte Vorkommen getrennt worden waren. In Jahrmillionen veränderten sich die Bäume derart, dass sie sich heute nicht mehr fruchtbar miteinander kreuzen können, was bedeutet, dass neue, genetisch voneinander geschiedene Arten entstanden sind. Je weiter auseinander ihre heutigen Verbreitungsgebiete liegen, desto weniger eng sind sie miteinander verwandt. Unsere Nordmann-Tanne ist die östlichste dieser Arten; sie ist eng verwandt mit den beiden anderen Tannen Südosteuropas, der türkischen Tanne, Abies bornmülleriana und der Troja-Tanne, Abies equi-trojani.
Ein mächtiger Baum
In ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ist die Nordmanntanne ein mächtiger Baum, der zwei Meter Durchmesser erreichen kann. Auch das wunderschöne Exemplar im Botanischen Garten in München lässt ahnen, was aus den kleinen Christbäumchen werden könnten, wenn man sie nur ließe. Die Münchener Tanne weist die für die Nordmann-Tanne typische, nicht sehr ausladende, eher zylindrische als pyramidenförmige Krone auf. Im Kaukasus-Naturreservat nicht weit von Sotschi, das schon in den zwanziger Jahren eingerichtet wurde, um die monumentalen Nordmanntannen zu schützen, sollen die Bäume bis 85 m hoch werden - das wären dann die höchsten Bäume Europas!
Die Nordmann-Tanne kommt in 400 bis 2.000 m Höhe vor, sie liebt das feuchtkalte Klima der kaukasischen Berge. Sie bildet große Reinbestände in ihrem klimatischen Optimum, kommt aber auch in Mischwäldern vor.
Auf die Nadeln kommt es an
Der eigentliche Grund, warum die Nordmann-Tanne als Christbaum so beliebt ist, ist ihr schönes, dichtes, grünglänzendes Nadelkleid. Die Nadeln sind rings um den Zweig angeordnet und leicht gegen das Ende des Zweigs gekrümmt. Sie sind 2 bis 3 cm lang und 2 bis 3 mm breit, nicht stechend, an der Oberseite glänzend grün und mit zwei Wachsstreifen an der Unterseite versehen.
Die Nadeln an erwachsenen Bäumen schauen etwas anders aus, je nachdem, wo am Baum sie wachsen. Die unteren, beschatteten Nadeln stehen scheinbar zweizeilig am Zweig, bei näherem Hinsehen aber sind die Nadelansätze rund um den Zweig angeordnet. Hoch am Baum sitzende lichtexponierte Nadeln sind rings um den Zweig angeordnet, sind kürzer und härter und bedecken den ganzen Zweig. Sechs bis acht Jahre bleiben die Nadeln am Zweig erhalten.
Die Rinde der Nordmanntanne ist bei jungen Bäumen glatt, dünn und grau. Die Rinde älterer Bäume ist rauh und gefurcht, ohne dass sie aber eine dicke Borke ausbilden würde. Die Rinde der Äste ist braun. Wie die Rinde junger Bäume aussieht, kann man am eigenen Christbaum studieren. Die kommen mit acht bis zehn Jahren auf den Markt.
Der größte Produzent von Christbäumen ist Dänemark. Tausende von Firmen haben 100 Millionen Bäumchen in Plantagen gepflanzt. Jährlich bringen die Dänen 5 Millionen Christbäumchen auf den Markt. 75 % aller in Deutschland verkauften Christbäume sind mittlerweile Nordmanntannen.
Alexander von Nordmann (1803-1866) war ein finnischer Biologe. Ab 1832 lebte er in Odessa als Gymnasiallehrer und Chef des botanischen Gartens. Die Nordmann-Tanne ist nach ihm benannt.
*Die Bindestrich Nordmann-Tanne gibt die korrekte botanische Bezeichnung wider. Der Bindestrich deutet die Zugehörigkeit der Nordmann-Tanne zur Gattung der Tannen (Abies) an. Der Christbaumhändler schreibt natürlich "Nordmanntanne".