Dienstag, 28. Februar 2017

Schilfrohr, Schilf

  
 

Ein Rispengras mit komplexen kleinen Blüten

Eiche: (seufzend) „Ich fürchte mich schon vor dem nächsten Vollmond. Da kommen wieder die tree hugger und der Schamane mit seiner verstimmten Trommel, schreien rum und zertrampeln meine Wurzeln. Hoffentlich ist das Wetter schlecht, dann kommen weniger. “
Linde: „Ich weiß, was du meinst. Bei mir waren sie wieder am 21. März, zu Frühlingsbeginn, mit stundenlangen Tänzen und Lobgesängen auf Mutter Erde und anschließender Sonnenanbetung im Morgengrauen. A Schmarrn, wie die Bayern sagen.“

Schilfrohr: „Ihr seid alt und riesig – deshalb nennen sie euch heilig und anbetungswürdig. Komisch nur, dass um mich niemand herumtanzt, wo ich so groß bin wie ein halber See und 8.000 Jahre alt werde.“

Die Frage ausbleibender vollmondnächtlicher Tänze um das Schilfrohr (Phragmites australis) kann der Eulenblick nicht beantworten. Ehrfurchtgebietende Größe, ehrwürdiges Alter, die meist genannten Gründe dafür, dass Bäume in die sakrale Sphäre vorrücken, könnte auch das Schilfrohr, unsere Pflanze des Monats, vorweisen. Vielleicht ist es zu unscheinbar, zu unglamourös, um transzendentale Zuschreibungen auf sich zu ziehen?

Schilfrohr oder Schilf, das unsere Seeufer säumt und in Teichen und Mooren steht, wächst aus dem Rhizom heraus, dem unterirdischen Teil des Stängels. Dieses Rhizom schiebt sich an seiner Spitze unaufhörlich weiter (am Tag bis zu drei Zentimeter während der Vegetationsperiode), während es an seinem Ende abstirbt. Aus den Rhizomen wachsen Ausläufer, die bis 20 m lang werden und immer neue Halme austreiben und nach oben wachsen lassen. So kann ein ganzer Schilfbestand aus einem einzigen Individuum erwachsen. Das Rhizom überlebt auch, wenn die Schilfhalme im Herbst absterben. Es ist quasi unsterblich – im Donaudelta sollen Schilfpflanzen leben, die an die 8000 Jahre alt sind!
Das immer weiter in Richtung Gewässermitte vordringende Schilf leitet die Verlandung von Seen ein. Zwischen den dichten Stängeln und unterirdischen Rhizomen sammelt sich viel Schlick und Sand, zusammen mit dem abgestorbenen Pflanzenmaterial setzt eine erste Bodenbildung ein. Unsere voralpinen Seen sind Relikte der Eiszeit, manche sind in den letzten Jahrtausenden verlandet, dank des fleißigen Schilfwachstums. So sind die heutigen Moore des Alpenvorlandes meist verlandete nacheiszeitliche Seen – auch in ihnen finden wir mehr oder weniger ausgeprägte Röhrichte, wie man Schilfbestände nennt. Schilf findet man in bis zu einem Meter tiefen Wasser. Schilfhalme werden drei bis vier Meter hoch. Das im Sommer grüne Schilf bildet im Winter und Frühjahr die charakteristischen hellbraunen Schilfgürtel.

Im Sommer grün, im Winter braun


Lässt nacheiszeitliche Seen verlanden: Schilf

Schilf ist ein Gras, ein Rispengras. Die charakteristische Rispe ist groß, mit vielen kleinen Ährchen besetzt. Jedes dieses Ährchen enthält vier bis sechs winzige Blüten; die unterste Blüte ist männlich, die anderen sind zwittrig. Die Pollen der Gräser werden durch den Wind verbreitet – leidgeprüfte Allergiker können ein Lied davon singen.
Charles Darwin hat uns gezeigt, warum nur Fremdbestäubung die Evolution von Organismen vorantreiben kann (s. Artikel über den „Stern von Madagskar“). Wenn nun die rein männlichen Blüten unten an den Ährchen sitzen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Pollen nicht auf die darüber liegenden Blüten gelangt, sondern vom Wind seitlich verblasen wird - die Wahrscheinlichkeit von Frembestäubung nimmt zu.

Die kleinen Samen des Schilfrohrs sind behaart – so werden sie vom Wind weit verblasen. Die langen lanzettlichen Blätter haben zwei quer verlaufende Zick-Zack-Linien, „Eselsbiss“ genannt. Die Blätter können nicht benetzt werden – Schilfblätter weisen den Lotuseffekt auf, von dem im Eulenblick ja schon ausführlich die Rede war.
Da hat der Esel hineingebissen
 

Rohrdommel, Schilf-, Teich-, Drossel-, Sumpfrohrsänger – Schilf ist ein gemütliches Heim für viele Vogelarten. Sie hängen ihre Nester an die Halme oder setzen sie an trockeneren Stellen auf den Boden. Füchse, Marder und andere Bösewichter würden sich nasse Füße holen bei der Nesträuberei – das lässt die wasserscheuen Räuber oft vor Untaten zurückschrecken. Im Schilf brüten auch diverse unscheinbare Schwirle, aber auch solche beauties wie Blaukehlchen oder Rohrammer.


Do bin i dahoam: Blaukehlchen
Auch in vielen Ortsnamen finden wir das Schilfrohr wie in Rohrmoos, Rohrbach, Rohrfeld oder in Familiennamen wie Rohrmoser oder Rohrmann.

Schilf ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheit. Spätestens seit der Sesshaftwerdung der Menschen in der Jungsteinzeit vor über 11.000 Jahren war Schilf der Rohstoff für Dächer, Wände (in Lehm eingebettet), Matten. Bis weit ins Mittelalter lebten Arme in elenden Schilfhütten, überall dort, wo es reichlich Schilf gab, zum Beispiel an Seen oder in Flusstälern.

Nach so vielen Jahrtausenden hat Schilf heute noch Bedeutung als Baustoff, zum Beispiel für die Reetdächer Norddeutschlands und Skandinaviens. In manchen Orten auf Nordseeinseln, wie z.B. in Kampen auf Sylt, müssen alle Häuser mit Reet, also Schilf, gedeckt werden. Doch auch Dämmplatten, Schilfmatten, Sichtschutzblenden werden aus Schilf hergestellt.

Einer der ältesten Werkstoffe der Menschheit...
Bildergebnis für federseemuseum
...in der Jungsteinzeit (Rekonstruktion)

..im Mittelalter

...und heute

Auch in Schilfkläranlagen leistet Schilf gute Dienste; die hohlen Stängelteile belüften das Wasser; an den vielen Feinwurzeln des Schilfs („Wurzelhaare“) mit ihren großen Oberflächen siedeln die Bakterien, die die eingeschwemmten organischen Substanzen abbauen.


Bildnachweis:
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