Mittwoch, 30. November 2016

Thuja

Thuja
Thuja plicata
 
 
Die Thuja wird – wenn sie darf – ein großer Baum; bis über 40 m hoch, schlank und spitz, majestätisch. Sie ist ein Nadelbaum, die „Nadeln“ sind zu kleinen Schuppen geschrumpft, die, in vier Reihen versetzt, an dünnen Zweigen haften. Die Zweige sind so angeordnet, dass sie in ihrer Form an Farnblätter erinnern. Die Borke der jungen Stämme ist rot, die alten Stämme werden grau. Grauwerden, das kennen wir ja von uns auch. Macht sie irgendwie schon mal sympathisch, die Thuja.
File:Giant cedar in South Whidbey State Park.JPG
Majestät am Pazifik: die Thuja
Schuppenförmige Nadeln an Zweigen, die wie Farne aussehen
Die Borke ist außerdem dick, weich und faserig. Dies und das weiche, aber sehr dauerhafte Holz machte die Thuja für die Menschen so wichtig. Die Zweige duften aromatisch, wenn man an den Knospen reibt; sie enthalten das Gift Thujon, das in hoher Dosis tödlich sein kann. Auch das Holz und die Zapfen enthalten das Gift. An den kleinen Zapfen mit wenigen Schuppen kann man die Thuja von ihren Verwandten unterscheiden – Zypresse, Scheinzypresse, Küsten-Mammutbaum, die auch schuppenförmige Nadeln aufweisen.
An ihren Zapfen sollt ihr sie erkennen
Die Thuja, auch Lebensbaum genannt, ist ein Baum des borealen Regenwaldes an der Pazifikküste Nordamerikas, der sich von Kalifornien über Oregon nach Britisch-Kolumbien in Kanada erstreckt. Warme Meeresströmungen lassen feuchtwarme Winde aufsteigen, sie steigen am Küstengebirge empor, regnen sich ab. Deshalb regnet, regnet und regnet es, es hört gar nicht mehr auf zu regnen – der mittlere Jahresniederschlag beträgt 3000 mm (Jahresniederschlag Bayern 933 mm). Das Küstengebirge hält auch kalte Winde aus dem Nordosten, aus der Arktis kommend, ab.
 
Die meisten denken beim Thema „Regenwald“ an den Kongo oder Amazonas. Doch der unablässige Regen am Pazifik ließ auch dort immergrüne Regenwälder entstehen, mit Bäumen, die unter der milden Dusche mit dem Wachsen gar nicht mehr aufhören wollen. So stehen dort die größten Bäume der Welt, die zwei Arten von Mammutbäumen (Riesen-Mammutbaum – Sequoiadendron giganteum; Küstenmammutbaum – Sequoia sempervirens), 3000 Jahre alt und über 100 Meter hoch. Zu ihnen gesellen sich weitere mächtige Arten wie der Hemlock-Baum und die Sitka-Fichte. Dazwischen wächst als Einzelbaum oder in kleinen Gruppen die Thuja, die red cedar, wie sie von den amerikanischen Ureinwohnern genannt wird.
Keine andere Pflanze, kein Tier spielte im Leben der Ureinwohner des pazifischen Nordostens eine solche Rolle wie ihre Red cedar. Man nannte die Thuja auch den Grundpfeiler der Indianerkulturen dort.
 
So wurden Holz und Bast der Rinde gebraucht für die Herstellung von Körben, Schachteln, Kisten und Haken für den Heringsfang - und für die prächtigen Kanus und Paddel.
Alles aus red cedar: Kanu, Paddel, Regenhüte
Die Thuja war auch der einzige Baum, der als Bauholz geeignet war; Häuser und Hütten waren ausschließlich aus Brettern und Pfosten der Red cedar erbaut. Schindeln aus ihrem Holz sind eine historische und moderne Art, Dächer zu decken. Thuja-Schindeln gelten wegen der vielen ätherischen Öle und des Harzes in ihrem Inneren als unverwüstlich. Auch die Kanus der Leute waren ausschließlich aus dem Holz der Red cedar.
File:Haida house pole (UBC-2009).jpg
Pfosten für Häuser der Haida an der Westküste Kanadas
Die vielseitigste Verwendung fand die Rinde - kein anderes Material stand bei den Küstenindianern in so ubiquitärem Einsatz. Chehalis-Frauen waren ständig mit dem Zerreiben und Zerstoßen von Rinde zugange. Aus den weichen Fasern, die sie daraus gewannen, stellten sie Verbände, Windeln, weiche Polster für die Wiege her. Die Makah schnitten faserige Rinde in Streifen, verflochten sie zu Matten, aber auch zu wasserdichten Teller und Schüsseln. Große Borkenstücke dienten als Capes oder Kleider. Auch die charakteristischen Regenhüte der Quinault, Quileutl und Makah waren aus Rindenstreifen gewoben.
 
Seile, aus dem versponnenen Bast der Thuja gewonnen, waren so stark, dass die Walfänger, zum Beispiel der Makah, die toten Wale damit auf den Strand zogen. Die Wurzeln wurden in feine Fäden getrennt und verwoben. Die ätherischen Öle in den Knospen nahm man gegen Erkältungen und Zahnschmerzen. Doch musste man mit dem Gift aufpassen!
 
Vor der Ankunft der Weißen wurden kaum Bäume gefällt. Stattdessen schälten die Menschen Bretter von unten nach oben von den Bäumen; als Werkzeuge verwandten sie Geweihe.
 In den Regenwäldern finden sich viele solcher culturally modified trees. Das sind Bäume verschiedener Arten, die Spuren menschlicher Bearbeitung aufzeigen – eingeritzte Zeichen, Schnitzereien, Bemalungen und die Spuren der abgelösten Bretter auf den Red cedars. Seit einigen Jahrzehnten drängen die indigenen Völker Kanadas und der USA auf die Erfassung und den Schutz solcher Bäume, die sie als wichtig für ihre Historie und Identität ansehen. Mittlerweile stehen zum Beispiel auf der kleinen Flores-Insel im Westen von Vancouver Island 71 solcher CMT unter Schutz.
File:Culturally modified tree.jpg
Da fehlt ein Brett: culturally modified tree
 
 

Kulturkampf am Gartenzaun

 

Bei uns in Europa tritt die mäjestätische Red Cedar meist als undurchdringliche? – hässliche? – nützliche? Thujenhecke auf. Der Baum ist für viele die ideale Hecke – immergrün, blickdicht und vollkommen unempfindlich gegen häufigen oder kräftigen Schnitt.
Hässlich? Nützlich!

Fürchtet keine Heckenschere
Medienbeiträge über Thujenhecken lassen die Volksseele verlässlich schäumen; im Internet werden Kulturkämpfe darum ausgetragen. Da finden aufgeklärte Urbane eine weitere ideale Gelegenheit, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, dem verächtlichen Herabschauen auf engstirnige Kleinbürger. Und die halten mit dem Posten von Hassmails heftig dagegen.

Hier eine kleine Auswahl (aus ca. 130 Beiträgen) aus einem Forum des österreichischen Standard (mit der Original-Rechtschreibung):
Thujen sind wie Bundesheer-Soldaten
sie stehen unmotiviert in einer Landschaft,
die ohne sie viel schöner wäre,
und können nix dafür,
und jede Diskussion mit denen,
die sie aufgestellt haben,
ist eine verlorene Liebesmüh'
 
der neben mir (nachbar ist der keiner) hat so eine hecke, um die er sich - außer dass er unmengen wasser verschleudert - nicht kümmert. den dreck - das ist schon eine ganze menge - und schatten habe ich.
 
thujen: nicht einmal unkraut.
 
 Die Lehre sollte sein, dass man vorsichtig sein sollte, wo und wann man Klischees, die eine Gruppe verächtlichmachend charakterisieren sollen, verwendet. Wer sich über Hutträger, Thujenheckengärtner, Gemeindebauprolos, Bobos, Capuchinomütter, Fußballprolos, Esoterikspinner, ungebildete F-Wähler, Gutmenschen, usw. aufregt, sollte aufpassen, dass ihm diese nicht gegenüberstehen und angemessen darauf reagieren.
 
Wer eine braucht um sich wohlzufühlen, soll sie auch haben dürfen. Nicht jeder kann ein soziales Wesen sein.
 
Wenigstens der letzte Beitrag hat etwas Versöhnliches.
Und überhaupt: Vor ein paar Jahren auf einer herbstlichen Exkursion, zur Beobachtung der Hirschbrunft. Th. führte uns. Eine Teilnehmerin hatte den moralischen Zeigefinger sehr weit ausgestreckt und deutete damit (metaphorisch) auf böse Touristen, Spaziergänger, Radfahrer, Politiker. Als dann im Spektiv ein Jäger auftauchte, der weit draußen auf einen Hochsitz stieg, begann die Empörungsmaschinerie in ihrem Inneren zu rattern wie ein mit frischen Batterien ausgestatteter Trommelhase. Zuletzt schrie sie: „Man sollte ihn herunterschießen.“ Th., trotz seiner Jugend in sich ruhend, sprach daraufhin den unnachahmlich weisen Satz: „Vielleicht ist das ja ganz ein netter Mensch.“
Sollte man sich diesen Ausspruch nicht öfter mal zu Herzen nehmen? Zum Beispiel, wenn es um die Menschen geht, die Thujen nicht ausstehen können? Oder um jene, die hinter Thujenhecken leben? Vielleicht sind manche von ihnen ja ganz nette Menschen?
Vielleicht wohnt dahinter ein netter Mensch.


Fotos:
Angelika Schneider 5
US Forest Service 1
JTmorgan1
Leoboudo1
Susan Clarke1