Montag, 13. Juni 2011

Fleischfarbenes Knabenkraut

Fleischfarbenes Knabenkraut
Dactylorhiza incarnata
 
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei dem Wort "fleischfarben" muss ich an Dinge wie Stützstrümpfe oder Strumpfgürtel denken. Fleischfarben ist irgendwie nicht sexy. Unsere Pflanze des Monats ist eine Orchidee, und Orchideen gelten als charismatische Pflanzen - wegen ihrer Farben, ihrer extravaganten Blütenformen und wegen ihrer Art, sich fortzupflanzen, bei denen Insekten versuchen, sie zu begatten und so ihre Pollenpakete mit sich forttragen. Fleischfarben ist also nicht gerade die Assoziation, die einem zu dem Begriff Orchidee als erstes einfallen würde.

Ein anderer Name wäre Fleischrotes Knabenkraut - der hätte mir besser gefallen. Er wird aber nur als ältere Bezeichnung geführt oder als Lokalnamen, wie z.B. in der Schweiz. Nun gut, also fleischfarben - mit seinem Namen muss man sich abfinden, ich heiße schließlich auch Angelika.








































An der Spitze helmförmig und nicht gepunktet: die Blätter
Farbe der Blüte kann variieren, hier ist sie purpurrot



Das Fleischfarbene Knabenkraut wächst an den nassen Stellen von Feuchtwiesen („Streuwiesen“ s. unten), zusammen mit Wollgras, Pfeifengras, Mehlprimeln. Es kommt in Mitteleuropa vor , aber auch im Norden bis in die Nordukraine. In Deutschland finden wir es in den Streuwiesen des Alpenvorlandes in Bayern und Baden-Württemberg, in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg. Inneralpin finden wir es in Talniederungen der Steiermark und im Salzburger Land.


In Mitteleuropa gibt es mehrere rot- oder rosablühende Orchideen. Das Fleischfarbene Knabenkraut kann man von anderen vor allem durch die Blätter unterscheiden, die ungefleckt sind. An ihrer Spitze sind die Blätter helmförmig gekrümmt. Die Blütenblätter sind nach außen gekrümmt. Der Sporn an der Hinterseite der Blüte ist recht kurz im Vergleich zu anderen Orchideen.


Die Blüte des Fleischfarbenen Knabenkrauts variiert von purpur–violett bis rosa und weiß-gelblich  (selten). Es blüht von Mai bis Mitte Juni, eine kleinere purpurrote Form der voralpinen Streuwiesen auch später im Juli.



























Bitte nicht verwechseln: Fleischfarbenes Knabenkraut rechts,
rosafarben blühend. Links das Gefleckte Knabenkraut. Die
gefleckten Blätter sind nicht zu sehen, waren aber da!



Das Fleischfarbene Knabenkraut ist sehr anspruchsvoll, was den Boden angeht. Es verträgt keine Düngung, stellt bei geringem Nährstoffeintrag sein Wachstum ein. Die unterirdische Knolle kann aber über Jahrzehnte im Boden überleben. In wiedervernässten („renaturierten“) Flächen regenerierte sich das Fleischfarbene Knabenkraut aus den unterirdischen Knollen, die jahrzehntelang im Boden überdauert hatten.


Durch die großflächige Zerstörung der Feuchtwiesen ist das Fleischfarbene Knabenkraut vom Aussterben bedroht. Es steht auf der Roten Liste, zusammen mit seinen Unterarten (das sind die weiß- und gelbblühenden Formen). Sein Überleben hängt vom Erhalt der Reste seines Lebensraums ab.


Kronjuwelen der Voralpenlandschaft

In der letzten Eiszeit stießen die Gletscher von den Alpen bis weit ins Vorland hinaus An ihrer Stirnseite ließen sie die Moränen zurück, die heute den besonderen Reiz des voralpinen Moor – und Hügellandes ausmachen. . Auch im Norden, von Skandinavien her, wuchsen die Gletscherzungen bis weit nach Süden. Die abflusslosen nassen Senken der Moränenlandschaft, die nach dem Abschmelzen der Gletscher vor 10.000 Jahren entstanden war,verlandeten im Laufe der folgenden Jahrtausende. Die toten Pflanzen konnten sich nicht abbauen, sie entwickelten sich zu Torf. Von Natur aus sind diese Flächen mit Büschen und Bäumen bestanden, mit Weiden, Erlen oder Pappeln. Ist der Torf nicht zu tief und speist sich aus dem Grundwasser, spricht man von Niedermoor. In einem Hochmoor  dagegen ist der Torf so dick, dass er mit dem Grundwasser nicht mehr in Verbindung steht und sich nur aus den Niederschlägen speist. Ein Niedermoor heißt in den Bayern, in Österreich, in Südtirol „Moos“  (Sterzinger Moos, Murnauer Moos), ein Hochmoor ist in Bayern ein Filz. Hochmoore sind seltener und empfindlicher als Niedermoore. Niedermoore eignen sich zur Mahd, aus ihnen sind die blumenreichen Streuwiesen entstanden, deren Pracht sie zu echten „Kronjuwelen der Voralpenlandschaft“ macht.

Streuwiesen, wie sie sich heute präsentieren, sind ein Werk des Menschen, der die Flächen ab dem Mittelalter gerodet und in Mahdflächen umgewandelt hatte. Sie lieferten die Einstreu für das Vieh, das den Sommer auf der Alm, den Winter im Stall verbrachte. Diese Wiesen wurden einmal im Jahr gemäht, im Herbst oder Winter, zu einem Zeitpunkt, an dem alle Pflanzen, Gräser wie Blumen, ausgeblüht haben. Das ist die erste Voraussetzung für ihren großen Artenreichtum. Die zweite ist ihre Nährstoffarmut: Streuwiesen wurden nie gedüngt, deshalb wachsen hier auch Pflanzen, die äußerst empfindlich gegen zu viel Nährstoffe sind, wie auch unser Fleischfarbenes Knabenkraut. Streuwiesen sind äußerst artenreich: an manchen Stellen wachsen bis zu 100 verschiedene Pflanzenarten, viele davon sind sehr selten: Schwertlilien, verschiedene Orchideen, weißblühendes Wollgras, Klappertopf, Schwalbenwurzenzian (s. Eulenblick vom September 2010), Schlauchenzian, Sumpfgladiole – und noch eine Pflanze mit einem seltsamen Namen, der Teufelsabbiss. Botaniker sprechen von Pfeifengraswiesen. Dieses Gras ist, zusammen mit dem Schilf an den nassesten Stellen, die häufigste Pflanze im Moos.

Außer durch ihre Blütenpracht fallen Streuwiesen auch durch andere ästhetische Eigenschaften auf. Sie sind im Frühjahr noch braun, wenn die gedüngten Wiesen des Umlandes längst grün sind und bilden oft große, von Wegen nicht unterbrochene Flächen. Alles zusammen ergibt den Eindruck einer ungestörten, ruhigen, archaischen Landschaft.

Durch den Rückgang der Landwirtschaft, den Umstieg auf Güllewirtschaft, Entwässerung und Verbuschung  sind in Deutschland an die 80 % der Streuwiesen verschwunden. Die verbliebenen Flächen stehen unter Naturschutz. Die wichtigste Pflegemaßnahme ist die Mahd, die alle zwei Jahre, mindestens aber alle 5 Jahre durchgeführt werden muss.





 Funkelnde Kronjuwelen der Streuwiesen: Orchideen, Wollgras und....




...Sibirische Schwertlilien!

alle Fotos: Wolf Schröder