Sonntag, 17. Dezember 2017

Gemeiner Wacholder





Wacholder, Kranebitt, Machandel
 
Gar nicht so häufig und doch bekannt: der Wacholder (Juniperus communis). Auf Viehweiden, an sonnigen Hängen, auf Magerrasen stehen die aufrechten, säulenförmigen Baumgestalten; oft teilt sich der Stamm vom Boden weg in mehrere Teile auf. Die braune Borke hängt in fransigen Streifen vom Stamm; sie duftet aromatisch, genauso wie das Holz. Die spitzen Nadeln des Wacholders stehen in dreizähligen Wirteln an den Zweigen – das garantiert ihnen maximales Stechpotential nach allen Seiten. An ihrer Oberseite trägt jede Nadel einen weißen Wachsstreifen. Die blaubereiften Wacholderbeeren sind eigentlich Zapfen, der Wacholder ist ja ein Nadelbaum. Nach der Befruchtung der weiblichen Blüten lösen sich ihre kleinen Schuppen fleischig auf und verschmelzen miteinander. Die Wacholderbeeren reifen dann heran. In ihrem Inneren liegen die 1-2 mm kleinen Samen.

Zottig-gestreifte Borke des Wacholders

Die Blüten des Wacholders sind sehr unauffällig; die männlichen gelben Blüten werden 5 mm lang, die grünen weiblichen nur 2-3 mm. Männliche und weibliche Blüten sitzen auf verschiedenen Pflanzen – der Wacholder ist zweihäusig. Wenn an einem Wacholder Beeren hängen, haben wir also eine weibliche Pflanze vor uns. Die Beeren reifen erst im dritten Jahr, unreife Beeren sind hellgrün. Sie enthalten bis zu 30 % Zucker und ätherische Öle. Dass sie Wildbraten und Sauerkraut würzen, ist nicht ihre erste Bestimmung. Sie sollen Vögel anlocken, die für die Verbreitung der Samen sorgen. Vor allem Drosseln erfüllen diese Aufgabe – Sing- und Misteldrosseln (die natürlich auch die Misteln verbreiten – Eulenblick vom Dezember 2014) und die Wacholderdrossel, die ihre Berufsbezeichnung im Namen führt.

Die Beeren beweisen's: Es ist ein Mädchen!

Krammetsvogel wird die Wacholderdrossel auch genannt – von Kranewitt, einem der vielen Volksnamen des weit verbreiteten und auffälligen Wacholders. Ein nordischer Namen des Wacholders ist "Machandel". Die Wurzel des Wortes Wacholder ist indogermanisch – Wacholder für „weg“, das mit weben und knüpfen zu tun hat, denn die Zweige des Wacholders lassen sich gut flechten. Das Suffix „-der“ wiederum findet sich in vielen germanischen Sprachen in der Bedeutung für Baum. Auch der Flieder, Holunder und der Maßholder (Feldahorn) gehören hierher. Die Silbe „deru“ ist noch älter – es steht im indoeuropäischen Raum in vielen Sprachen für Baum – stark, fest, verlässlich. Gotisch-triu-Baum; Sanskrit-darvi-hölzern, Farsi-dar-Holz, griechisch-drys-Holz, mykenisch-drus-Baum; altirisch-daur-Eiche; lateinisch-durus-fest, hart; englisch-true.

Auch im Gin steckt der Wacholder, wörtlich (von Juniperus) und – wörtlich: Hauptgewürz im Gin sind Wacholderbeeren. Bei der Destillation werden die Alkoholdämpfe entweder direkt über die Beeren geleitet oder im Alkohol eingelegt und dann erhitzt.
 
Blaubereifte Zapfen, die Wacholderbeeren

Der Arzt Francois de la Boe „erfand“ den Ginschnaps, den Genever, im Holland des 17. Jahrhunderts. Wilhelm III. von Oranien-Nassau bestieg1689 den englischen Thron und brachte den Genever nach England. Daraus wurde der Gin, das englische Nationalgetränk. Seit 1769 versorgten die Gordon Companies die englische Marine mit dreifach gebranntem Gin. Der englische Gin wurde steuerlich begünstigt, Importalkoholika mit hohen Steuern belegt. Das viele billige Getreide aus den englischen Kolonien in Nordamerika, das zollfrei eingeführt werden konnte, machte den Gin in England so billig, dass sich arme Leute zu Tausenden in die Gosse tranken (Gin-Krise). 1791 machte der Gin-Act den Schnaps teuer; hohe Steuern und Kontrollen schränkten den Zugang der Armen zum Gin ein. Gin wurde fashionable für die Oberschicht, bis heute. „Beste lebende Werbung für Gin“ hieß Queen Mum vor ihrem Ableben; auch ihre Tochter lässt sich ihren täglichen Gin Tonic munden. 101 Jahre lebte die Mutter, 91 Jahre so far die Tochter – ob der Wacholder im Gin hier ein wenig konservierend wirkt?


Letzter Gruß eines Royalisten an Queen Mum 

Der Wacholder ist über die ganze nördliche Hemisphäre verbreitet. Er ist sehr lichthungrig; in dichten Wäldern kommt er nicht vor. Von Natur aus wuchs er nur auf sonnigen waldfreien Felsen oder in lichten Kiefernwäldern. Es war der Mensch, der seine Ausbreitung begünstigte, mit seinem Weidevieh, vor allem Schaf und Ziege. Die Weiden lagen auf armen Böden, die für den Ackerbau nicht geeignet waren. Schafe und Ziegen fraßen nur die weichen und saftigen Gräser und Kräuter und ließen stachlige und giftige Pflanzen stehen; Küchenschellen, Silberdisteln, Wacholder. Manche Böden wurden durch die Schafweide so strapaziert, dass sich das unverwüstliche Heidekraut stark ausbreitete. Heidschnucken, Wacholder, Heidekraut – die Lüneburger Heide ist die bekannteste Wacholderheide. Andere große Heiden findet man auf der Schwäbischen Alb und in der Eifel, im Westen Frankreichs, in Belgien. Außer Wacholder und Heidekraut leben in den Heiden andere, sehr spezielle Pflanzen und Tiere, angepasst an nährstoffarme, warme, offene Standorte. Orchideen, Waldhyazinthen, Smaragedeidechsen, Enziane; seltene Vögel wie Heidelerche, Haselhuhn, Raubwürger; besonders aber die vielen Insektenarten, Schmetterlinge wie der Brombeer-Zipfelfalter, Großer Fuchs, Scheckenfalter, Schwalbenschwanz – Wacholderheiden sind die artenreichsten Biotope Mitteleuropas.


"Wie konnte es dazu kommen...."

„Wie konnte es dazu kommen, dass man die übermäßig genutzte Lüneburger Heide für ein Paradies oder eine schöne Natur hielt“, fragt der Landschaftshistoriker Hansjörg Küster. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ging die Schafhaltung langsam zurück; Heidschnucken konnten der Konkurrenz durch billige Wollimporte aus Neuseeland und Australien kaum noch widerstehen. Mit dem einsetzenden Verschwinden der Wacholderheiden begann auch ihre Idealisierung. Andreas de Luc, ein Freund Rousseaus, besuchte 1781 die Lüneburger Heide, er war, wie sein Freund, auf dem Weg retour à la nature. Dabei unterlag er einem auch heute noch häufig auftretenden Missverständnis: Viele Formen der Landnutzung, und brächten sie auch noch so tiefgreifende Veränderungen mit sich, werden für konform mit der Natur gehalten. Historisch gewachsene Kulturlandschaften werden als natürlich und unveränderlich empfunden. Wenn sie sich verändern, gelten sie bald als bedroht, man versucht, sie zu schützen.
Die Motive für Unterschutzstellungen verändern sich im Laufe der Zeit. 1909 begann mit dem „Verein Naturschutzpark“ der Schutz der Lüneburger Heide. Der Verein kaufte Heidehöfe, finanzierte Heidschnucken und Schäfer. 1910 erwarb der Verein den mitten in der Heide gelegenen Wilseder Berg. 1921 wurde die Lüneburger Heide zusammen mit dem Neandertal erstes deutsches Naturschutzgebiet. Die Motive für den Schutz der Heide waren ästhetisch-sentimental: die „schöne“ Landschaft, die pastorale Idylle, das Heimatgefühl, das die Heide heraufbeschwor.

Heute sind Wacholderheiden europaweit durch verschiedene Gesetze geschützt: FFH-Richtlinie (Fauna-Flora-Habitat-), EU-Vogelschutzrichtlinie, Natura 2000. Die Begründungen für die Schutzbemühungen haben sich gewandelt – nicht mehr Ästhetik oder Kulturhistorie stehen im Vordergrund, sondern der Schutz der unzähligen seltenen Tiere und Pflanzen. Dazu muss der Status quo auf möglichst großen Flächen erhalten bleiben, sonst verschwinden Orchideen, Heidelerchen und auch der Wacholder bald. Solange die Wanderschäfer mit ihren Schafen über die Heiden zogen, stachen sie die borstigen und giftigen Pflanzen mit ihrer Schäferschippe aus. Wenn die Schafweide aufhört, verbuschen die Flächen bald, am Ende entsteht Wald. Amtliche und ehrenamtliche Naturschützer engagieren sich heute in der Pflege der Wacholderheiden, drängen herandrängenden Wald und Büsche zurück.

Bildnachweis
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