Freitag, 25. September 2015

Zirbelkiefer

Zirbelkiefer

Pinus cembra


König des Dschungels, König der Berge, Königin der Herzen – idealisierende Attribute lösen bei mir immer leichtes Fremdschämen aus, denn sie setzen ihren Gegenstand herab, banalisieren und verkleinern ihn, anstatt ihn aufzuwerten. Deshalb werden wir es unterlassen, unsere Pflanze des Monats, die Zirbelkiefer, Zirbe, Zirm oder Arve (in der Schweiz) mit ihrem üblichen Titel „Königin der Alpen“ zu bezeichnen, obwohl....verdient hätte sie ihn!

Nadeln, zu fünfen gebündelt, auffallende Zapfen, ölreiche Samen: die Zirbelkiefer
 

Die  Zirbe ist der Baum der alpinen Höhenlagen. Sie braucht kontinentales, also kaltes und trockenes Klima. Kein Baum steigt höher als sie, ist wetterhärter oder widerstandsfähiger. Die Wälder an der Waldgrenze bestehen fast nur aus Zirben, einzelne Lärchen oder Fichten sind beigemischt.
Die Zirbe ist ein Relikt aus der Eiszeit; als das Klima vor ca. 10.000 Jahren wärmer wurde, zog sie sich in die kalten inneralpinen Hochlagen zurück. Sie verträgt tiefere Temperaturen als alle anderen Bäume der Alpen, bis minus 45 Grad oder darunter. Deshalb gibt es dort, wo sie wächst, kaum Konkurrenz für sie.

Zirbenwälder bilden die Waldgrenze, hier in den Dolomiten
 

Um zu wachsen, Nadeln auszubilden und ihre Zapfen zum Reifen zu bringen, braucht die Zirbe während des kurzen Hochgebirgssommers aber auch direkte Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen. Die findet sie an steilen Südhängen; die höchsten Zirbenwälder (auf über 2500 m Höhe) haben eine Südexposition. In feuchtem Klima kommt die Zirbe nicht auf die nötige Wärmesumme. Deshalb finden wir in den regnerischen („atlantisch getönten“) Nordalpen Zirben nur an wenigen sehr hohen Stellen – das Klima wird kälter und trockener mit der Höhe. In den Nordalpen sind nur wenige Berge – Zugspitze und Watzmann – kontinental genug für Zirben. Der Wissenschaftler, der diese Theorie der so genannten Massenkontinentalität entwickelte, hatte einen Namen mit Alpinbezug, er hieß Gams.
Die charakteristische zylindrische Gestalt der Zirbe macht sie auch aus größerer Entfernung unverwechselbar. Sturmzerzauste Baumgestalten – „Wetterzirben“ – sind beliebt bei Malern und Fotografen als romantische Metapher für die raue Bergwelt.
Beliebt bei Romantikern: die Wetterzirbe

Die blaugrünen, um die 10 Zentimeter langen Nadeln der Zirbe wachsen zu fünfen gebündelt aus kleinen Knoten am Zweig, so genannten Kurztrieben. Die nah verwandten Bergföhren und Latschen haben nur zwei Nadeln in einem Kurztrieb.
Die Zapfen der Zirbe sind ungefähr eigroß, mit braunvioletten Schuppen. Sie bergen die Samen - von einer harten Schale umgebene Nüsschen. Diese sind essbar mit harzig-würzigem Geschmack und können in Brot und Kuchen verbacken werden – pinoli der Alpen.

With a little help from my friends….

Samen, umgeben von einer harten Schale, die in einem Gebirgsklima mit monatelangem Frost und hoher Schneeauflage keimen sollen – Zirben haben es nicht leicht, ihren Nachwuchs über die schwierige erste Zeit zu bringen. Da kann man a little help von Freunden gut gebrauchen. Der Freund der Zirbe ist ein Vogel, der Tannenhäher. Sein deutscher Name ist irreführend, der Tannenhäher interessiert sich vor allem für die Samen der Zirbelkiefer. Sein lautes Krächzen haben Alpinisten im Ohr: http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/tannenhaeher.html
Tannenhäher: Vergräbt Zirbennüsse als Vorrat für den Winter....

...die er aus den Zapfen hackt.

Im August in den Dolomiten, auf einer Wanderung im Zirbenwald: Tannenhäher mit vollem Kropf fliegen, sie graben Löcher, in denen sie Depots von 10 bis 20 Zirbennüsschen anlegen. Ein einzelner Vogel kann über Wochen Tausende von Samen in Hunderten von Depots anlegen – die Schweizerische Vogelwarte spricht von 30.000 bis 100.000 Nüsschen für jeden Vogel! Überall findet man sogenannte „Häherschmieden“, wo die Vögel die Zirbennüsse aus den Zapfen hacken. Im Winter holen sie sich die Samen aus dem Boden, bringen sich damit über die harte Zeit. Wie die Vögel die Samen unter einer meterhohen Schneedecke wiederfinden, ist nicht klar. Auch zu Depots, die inmitten von Freiflächen liegen, graben sie sich punktgenau durch den Schnee vor. Wahrscheinlich haben sie in ihrem Gehirn eine Art Tannenhäher-GPS.
Von den vielen Samendepots im Boden bleiben immer einige unberührt – sie werden vom Tannenhäher nicht wieder aufgesucht oder nicht wiedergefunden. Diese Samen liegen nun in einem sehr günstigen Milieu, um zu keimen: Im feuchten Boden vermodert die harte Schale, der tiefe Boden gefriert nicht so leicht und er enthält wichtige Nährstoffe für das junge Pflänzchen. Oft sieht man Zirben in kleinen Gruppen beieinanderstehen; sie sind aus demselben Samendepot gewachsen. Kuscheln wärmt: Im Inneren dieser Gruppen schaffen sich Zirben ein eigenes Mikroklima, das gegen Stürme und Kälte des Gebirges abschirmt.
Halbstarke treten gerne in Gruppen auf: Junge Zirben,
gewachsen aus einem Nüsschendepot
Die Zirbe ernährt den Tannenhäher, der die Keimung der Zirbensamen ermöglicht – eine solche win-win-Situation nennt man in der Biologie eine Symbiose.
Sehr häufig sieht man in den Alpen junge Zirbelkiefern weit über der Waldgrenze wachsen. Die Allerweltserklärung „Klimaerwärmung“ greift hier zu kurz – der Anstieg der Waldgrenze erklärt sich mit dem Rückgang der Almwirtschaft. Almflächen, für die im Mittelalter (oder früher) der Zirbenwald gerodet worden war, wachsen langsam zu. Der Tannenhäher betätigt sich hier als Waldbauer.

Almen, vom Mensch einst gerodet, von Zirben
wiederbesiedelt

Weich, hell und über Jahre aromatisch duftend: Zirbenholz war immer sehr begehrt. Die Stuben der alpinen Bauernhäuser sind damit getäfelt, Betten und Kommoden daraus geschnitzt, ebenso Heiligenfiguren in Kirchen und Kapellen.
In letzter Zeit sollen auch Betten aus Zirbenholz und mit Zirbenspänen gefüllte Kissen erholsamen Schlaf spenden; ätherischer Zirbenduft wurde zum selling point. Eine Studie wollte die Wirksamkeit bewiesen haben. Bei näherem Hinsehen war die Studie gar keine solche, es gab keine nachprüfbaren Zahlen, die Probanden hatten gut geschlafen, aber „nicht so gut wie in ihren eigenen Betten“.

Interesseloses Wohlgefallen

Vielleicht sollte man die arme Zirbe einfach vor sich hin duften lassen, ohne menschliche Ansprüche auf sie zu projizieren? Ich selber halte es gerne mit dem „interesselosen Wohlgefallen“ Kants: Er verweist uns auf das "Gefallen an der inneren Zweckmäßigkeit des angeschauten Gegenstands, ohne Gedanken an einen praktischen Zweck.“