Freitag, 26. Juni 2015

Gemeine Esche


Juni 2015

Gemeine Esche

Fraxinus ornus

 

Ein unauffälliger Baum, ein vertrauter Anblick
 

Das Erbe des Kolumbus

Bevor wir uns der europäischen Esche, unserer Pflanze des Monats zuwenden, machen wir einen kurzen Abstecher auf die Philippinen. Ein Volkslied dort besingt den Bahay Kubo, das traditionelle Einraumhaus. Ein Garten gehört dazu, zusammen mit einer langen Reihe verschiedenster Gartenfrüchte*:

Yambohne, Aubergine,
Flügelbohne, Erdnuss,
Spargelbohne, Limabohne,
Helmbohne, Wachskürbis,
Schwammkürbis, Flaschenkürbis,
Riesenkürbis.
Rettich, Senf, Zwiebel,
Tomate, Knoblauch, Ingwer
Und allüberall sind Sesamsamen.

So sieht der altehrwürdige, traditionelle und ursprüngliche Garten des Bahay Kubo aus. Doch stammen ausnahmslos alle dieser Pflanzen nicht von den Philippinen, sondern aus Amerika, Afrika und Ostasien.

Sie sind der ferne Anklang an eine Reise, die einen Mann, der sich Kolumbus nannt‘, 1492 von Madeira über den Atlantik nach Indien bringen sollte. Nach Indien kam  er nicht, denn etwas lag im Weg: Der Kontinent, den wir heute Amerika nennen.

Mit Kolumbus begann die große Zeit der Seefahrer und Entdecker – Vasco da Gama, Magellan, Pizarro. Sie waren auf der Jagd nach Silber, Gold, Seide und Gewürzen. Mit ihnen fuhren auch Ratten, Katzen, Kakerlaken über die Meere, Stare, Schwalben und Tomaten; Kürbis, Mais, Kartoffeln und Hunderte anderer Tiere und Pflanzen mehr.

Die Verfrachtung neuer Arten über Kontinente durch den Menschen wird der Kolumbianische Austausch genannt. Er brachte die Kartoffel aus den Anden nach Europa und in die Berge Asiens; Mais und Maniok nach Afrika; Tabak, Reis, Orangen in alle Kontinente. Pflanzen aus Nordamerika - Tulpenbäume, Glyzinien, Robinien, Fuchsien und Hortensien - lösten ab dem 17. Jahrhundert die Gartenmanie der Engländer aus.
 
Botaniker, Zoologen und Biogeographen teilen ihre Zeitrechnung in die Zeit vor und nach Kolumbus ein, für sie begann die Globalisierung um 1500.

Die meisten der neuen Organismen blieben in der Nähe des Menschen, in seinen Gärten, Äckern und Ställen. Manche versuchten auch, in die neuen Ökosysteme einzuwandern, meistens mit fatalen Folgen für sie: Mehr als 90 % der eingewanderter Arten können gegen die Konkurrenz der alteingesessenen nicht bestehen und verschwinden bald wieder. 
 
Manche Organismen breiten sich erfolgreich in neue Ökosysteme aus, aus denen sie zwischenzeitlich verschwunden waren. So begann der europäische Regenwurm, sich in den nordamerikanischen Böden vorzuwühlen, – er war seit der letzten Eiszeit ausgestorben, die Europäer hatten ihn wieder zurückgebracht. Mittlerweile hat er den ganzen nordamerikanischen Boden durchgekaut und wieder ausgeschieden.

Güter und Menschen bewegen sich heute immer schneller, weiter und öfter über den Globus. Der - meist unabsichtliche -  Transport von Arten hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen.

Einige eingeschleppten Arten pflügen Ökosysteme grundlegend, nachhaltig, unumkehrbar um oder zerstören sie vollkommen. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich das Kaninchen, das den australischen Kontinent zutiefst veränderte. Manche gefährlichen Einwanderer sind winzig klein, nur wenige Tausende Millimeter groß: Es sind die Sporen von Pilzen. Ein asiatischer Pilz rottete die nordamerikanische Edelkastanie fast aus, ließ auch die europäischen Bestände großteils verschwinden. Die europäischen Ulmen fielen dem Wüten eines ostasiatischen Schlauchpilzes, übertragen vom Ulmensplintkäfer, zum Opfer. Und als nächste, so scheint es, ist die europäische Esche dran.

Kränkelnde (links) und gesunde Esche

Weltenbaum Esche


Weltenbäume waren in vielen Kulturen Symbole des Göttlichen und des Kosmos. In Indien war es der Bodha – Baum, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand; in Mexiko wand sich die heilige Schlange Quetzalcoatl um den Weltenbaum. Im Erdreich verankert, ragen Götterbäume in den Himmel, verbinden Menschen und Götter. Die Krone stützt das Himmelsgewölbe, sie gewährt Schutz vor Wind und Wetter und nährt die Fackel.

Der Weltenbaum der Germanen war Yggdrasil, die Esche. In der Edda wird beschrieben, wie Yggdrasil alle Reiche des Kosmos verbindet, die Unterwelt, die Menschenwelt und die Götterwelt der Asen. Die Krone der Weltesche reicht über den Himmel hinaus, ihre Zweige bedecken die Welt. Die Krone ist Asgard, der Wohnsitz der Götter, eine der Wurzeln reicht bis in die Unterwelt. In Niflheim sitzt der Drache Nidhögg und nagt an der Wurzel Yggdrasils. Er wird den Weltenbaum zum Welken bringen, am Tag der Götterdämmerung.
 
Gut zum Speerschnitzen: das harte Eschenholz
 
 
Der Grund, warum ausgerechnet die Esche eine so große Rolle im Mythos einnimmt, liegt in der Bedeutung, die der Baum für den Krieg hatte: Der Speer der Germanen war aus Eschenholz geschnitzt. In Wagners Götterdämmerung schnitzt Wotan sich seinen Speer aus einem Ast der Weltenesche. Das helle Holz der Esche ist sehr hart und elastisch und sehr gesucht für Geräte, die mechanischen Belastungen ausgesetzt sind. So sind Tennisschläger, Reifen und Turngeräte und die Stiele von Gartengeräten und Werkzeugen aus Eschenholz, ebenso wie die Skier unserer Altvorderen. Auch für hochwertige Möbel und Parkettböden wird Esche verwendet.

Zusammengesetztes Blatt
 
 
Pflanzen erkennt man an ihren Blättern; die Vielfalt der Blattgestalten entspricht der Vielfalt der Pflanzen. Bei der Esche ergibt sich die Frage, welches nun ein Eschenblatt ist – die einzelne kleine Blattfieder oder das Ensemble, das um den Blattstiel aufgefädelt ist? Botanisch gesehen, sitzt an der Basis eines jeden Blattes eine Knospe, aus der im folgenden Jahr wieder ein Blatt oder eine Blüte hervorgehen. An der Basis der kleinen Eschenfiedern sitzt keine Knospe, die finden wir erst an der Basis des Blattstiels. Eschen haben sogenannte zusammengesetzte Blätter, ähnlich wie z.B. Vogelbeeren oder Nussbäume.
 
Am Fuß jedes Blattes eine Knospe
 
 Aus den wenig auffälligen dunkelroten Blüten der Esche entwickeln sich die geflügelten Samen; die Blüte ist noch vor dem Austreiben der Blätter abgeschlossen.

Der wissenschaftliche Name der Esche Fraxinus kommt vom griechischen phraxos – Einzäunung – und weist auf eine weitere Eigenschaft der Esche hin: Ihre Krone kann in jede gewünschte Form geschnitten werden und nimmt es auch nicht übel, wenn sie immer wieder geschnaitelt, d.h. ihrer Blätter beraubt wird. In manchen Gegenden, z.B. in Südtirol, findet man Schnaiteleschen neben den Wegen, oder sie markieren, zu markanten Baumkrüppeln geschnitten, die Grenze der Wiese oder des Felds. Im recht trockenen Südtirol ist die Esche von Natur aus ein seltener Baum; sie wurde aber vom Menschen weit verbreitet. Die Esche ist eigentlich ein Baum der Talböden; sie bevorzugt feuchtes Klima und ist ein Charakterbaum des periodisch überfluteten Auwaldes.

An talnahen Orten wie Eschenlohe oder Grafenaschau wachsen Eschen gut; auch der Name Eschenbach weist auf die Vorliebe der Esche für feuchte Standorte hin.

Welt ohne Weltenbaum


Dieser Baum ist unauffällig, und unauffällig hat sich die tödliche Gefahr an ihn herangemacht. Vor über zehn Jahren sah man im Baltikum und in Polen immer mehr Eschen mit abgestorbenen Zweigen, bald auch tote junge Bäume. In Mitteleuropa trat die neue Eschenkrankheit um 2008 das erste Mal auf. Mittlerweile stehen im Wald und der freien Landschaft viele kranke oder tote Eschen.



Die Spitze trifft es zuerst: Symptome des Eschensterbens
 

Als Ursache fand man bald das Weiße Stängelbecherchen, einen kleinen Pilz, der sich im Sommer auf den Spindeln der Blätter vom Vorjahr entwickelt. Doch dieser Pilz war seit langem als harmlos bekannt. Was hatte ihn auf einmal in ein Raubtier verwandelt, das seine Beute in kurzer Zeit zur Strecke bringt? Eine DNA-Analyse brachte 2010 Klarheit: Das virulente „neue“ Stängelbecherchen war ein anderer Pilz, eine Schwesternart des alten, harmlosen. Wahrscheinlich ist es identisch mit einem japanischen Pilz, der japanische Eschen befällt und dort wenig Schaden anrichtet. Von Japan aus trat er seine kolumbische Reise über die Kontinente an.

Eschen gehören zu den charakteristischen Bäumen von Mischwäldern auf feuchten Böden. Das Eschensterben bedroht nun ihren Fortbestand in Mitteleuropa.
 
Braune Verfärbungen der Blätter und Welke sind die ersten Symptome; über die Blattspindel dringt der Pilz in Zweige, Äste und das Holz des Stammes ein. Bald verstopft der Pilz die Leitungsbahnen; der Baum stirbt von oben her ab. Hellbraune Flecken an der Rinde der Zweige, Nekrosen am Stammfuß kommen dazu. Viele Eschen bilden sekundäre Seitenzweige, die wie Bürsten an den dürren Ästen abstehen.

Was tun? Die Pilzsporen befinden sich überall in den europäischen Ökosystemen, wenn nicht im Boden, so in der Luft – dass wir sie wieder loswerden, können wir nicht hoffen. In England bekämpft man den Pilz: In Pflanzgärten vernichtete man Hunderttausende Sämlinge, die aus Europa importiert worden waren. Befallene Eschen verbrennt man, wo immer man ihrer habhaft wird. Die splendid isolation der Insel fehlt auf dem Kontinent; man weiß, dass eine aktive Bekämpfung sinnlos ist. In Dänemark sind inzwischen 90 % der Eschen abgestorben.

In befallenen Beständen gibt es immer wieder Individuen, die keine Symptome entwickeln. Manche Quellen sprechen von 10 % der Eschen, denen der Pilz nichts anhaben kann. Auf ihnen liegt die Aufmerksamkeit der Forstleute – von ihnen könnten die Eschen der künftigen Waldgeneration kommen. Doch werden wir wohl für Jahrzehnte auf den Anblick von Eschen in Alleen, an Bachläufen und in Wäldern verzichten müssen.

*Charles C. Mann. Kolumbus' Erbe. Hamburg 2013