Dienstag, 21. April 2015

Gänseblümchen

Pflanze des Monats April

Gänseblümchen
Bellis perennis

Bellis perennis – die ausdauernde Schöne nannte sie Carl von Linné, der schwedische Botaniker, den wir schon öfter als den Schöpfer der zweiteiligen wissenschaftlichen Benennung der Organismen kennengelernt haben. Ausdauernd ist das Gänseblümchen auf zweifache Weise: Im Frühjahr treibt es aus einer Blattrosette aus, die sich über Jahre immer wieder erneuert; die bringt dann bis in den Herbst hinein immer neue Stängel hervor, auf denen ein einzelnes Blütenköpfchen sitzt. Wer sich auf Augenhöhe mit dem Gänseblümchen begibt, sprich sich ins Gras legt, wird aus der Blattrosette Stängel um Stängelchen nacheinander austreiben sehen.
 
Stängel um Stängelchen aus der Blattrosette....

Das Gänseblümchen könnte auch Mauerblümchen heißen, so bescheiden kommt es daher. Jeder kennt es, die meisten würden es wohl eher „hübsch“ als „schön“ nennen. Beachtung findet es, weil es als eine der ersten Blumen auf den Wiesen erscheint. Ursprünglich im Mittelmeer heimisch, breitete sich das Gänseblümchen auf den vom Menschen gerodeten Flächen seit der Antike über ganz Mittel- und Nordeuropa aus. Heute kommt es auch in Nord- und Südamerika vor, als ein Element des so genannten kolumbischen Austauschs, der die Verbreitung von Organismen durch den Menschen hin und her über alle Kontinente nach dem Jahr 1500 beschreibt.

Manch einem muss das Gänseblümchen aber auch wirklich gefallen haben: Tausendschön ist einer seiner vielen deutschen Namen, ein anderer Maßliebchen. „Maß“ kommt aus dem altsächsischen Mat und heißt Speise; die bayerische Mass gehört hierher (Bayern wissen vom Grundnahrungsmittel Bier), der Maat und der Mäpel, der Feldahorn. Das Maßliebchen kann man essen; es liefert Zucker und vor allem Vitamine, auf die früher die Menschen nach dem langen Winter ganz wild waren. Zum Thema Maß und Speise siehe auch den Eulenblick vom Oktober 2010 über die verschiedenen Ahorne.

Lila angehaucht im Morgenlicht



Der Namen des Gänseblümchens kommt von den Kelten, die die Sonne als kosmische Gänsemagd betrachteten – am Morgen (im Frühling) trieb sie die Gänse auf die Wiese, am Abend (im Herbst) wieder zurück in den Stall. Durch die lange Blütezeit des Gänseblümchens von Frühling bis Herbst war es deshalb die Blume der göttlichen Gänsemagd.* Auch durch die gelb-weiße strahlenförmige Blüte war es ein Sonnensymbol. Im Englischen heißt das Gänseblümchen Daisy, das kommt von day‘s eye, eine Anspielung auf seine Fähigkeit, die Blüte bei Dunkelheit und regnerischem Wetter zu schließen. Margheritina – kleine Margerite – heißt das Gänseblümchen im Italienischen. Doch ist, anders als bei der größeren Schwester, die Außenseite der Kelchblätter rötlich-rosa angehaucht, manch ganz geschlossene Blüte wirkt im frühen Morgenlicht weinrot oder dunkel-violett.


Göttliche Gänsemagd der Kelten
 
Das Blütenköpfchen ist eigentlich ein Bündel einzelner – gelber – Röhrenblüten (bis über 100), die mit ihrem Zusammenschluss und dem weißen Kranz von (sterilen) Zungenblüten ein Ensemble bilden, das Bestäuber besser anlockt als eine Einzelblüte. So eine Schaufunktion von Blütenverbänden ist uns im Blog über das Edelweiß schon begegnet (August 2012)

Mittelalterliche Wimmelbilder


Auf Gemälden aus dem Spätmittelalter ist das Gänseblümchen oft unter glamourösen Vertreterinnen der floristischen Haute volée abgebildet – mit Lilie, Rose, Akelei, Veilchen, Maiglöckchen, Malve oder Levkoje. Diese Schönen schmücken den Garten Mariens, den Hortus conclusus, bilden schützende Lauben und ihrem Fuß schmeichelnde Blütenteppiche. Die Pflanzen waren Mariensymbole – die Lilie für die Reinheit der Jungfrau, die Rose für die Liebe, das hängende Köpfchen der Akelei für die Sorge Mariens, das Gänseblümchen – natürlich – für ihre Demut und Bescheidenheit.

Who 's who: Mittelalterliches Wimmelbild
 
Das Frankfurter „Paradiesgärtlein“ des Oberrheinische Meisters (um 1410) ist ein mittelalterliches Wimmelbild; fast eine aristotelische Sammlung exakt abgebildeter Vögel und Pflanzen: Akelei, Ehrenpreis, Erdbeere, Frauenmantel, Gänseblümchen Goldlack, Immergrün, Kirsche, Klee, Lilie, Märzenbecher, Maiglöckchen, Malve, Margerite, Samtnelke, Pfingstrose, Rose, Schlüsselblume, Schwertlilie, Senf, Rote Taubnessel, Veilchen, Wegerich, Chrysantheme, Astern, Johanniskraut und Levkoje sowie Eisvogel, Kohlmeise, Dompfaff, Pirol, Buchfink, Rotkehlchen, Buntspecht, Seidenschwanz, Gimpel, Schwanzmeise, Blaumeise, Wiedehopf, Libellen und Weißlinge.**

`Ne Idee von Gänseblümchen

Glamouröse Freundinnen: Gänseblümchen mit Florentiner Lilie

 

Natürlich kommt das Gänseblümchen auch auf dem berühmtesten Blütenteppich der italienischen Malerei vor, der Primavera des Sandro Botticelli von 1478. Botticelli malte den Garten der Venus, der Titel Primavera - Frühling stammt aus späterer Zeit. An die 500 Pflanzen sollen auf diesem Gemälde dargestellt sein, von Tanne, Lorbeer, Myrthe, Zypresse, Wacholder im Hintergrund bis zu den 190 blühenden Blumen des Rasens und des Blütenkranzes der Flora. Es ist ein profanes Bild, Maria wird  von Venus abgelöst, Merkur bewacht den Garten der Venus - den Heiligen Hain. Flora, die Göttin der Blüte und bäuerlichen Arbeit, streut Blumen, der Reigen der drei Grazien, der geflügelte Cupido, Zephyr und die Nymphe Chloris ergänzen das Tableau.
Flora im floralen Design
 

Viel ist über die Bedeutung dieses Bildes spekuliert worden. Eine Deutung nimmt sich der Rolle der Natur auf diesem Bild an. Die Darstellung der Pflanzen durch Botticelli  folgt der neuplatonischen Philosophie der Renaissance und den Reflexionen ihres Hauptvertreters, Marsilio Ficino. Ficino fordert geistige Harmonie in der Verbindung von Einzelteilen, Harmonie der menschlichen Gestalt, Harmonie von Farben und Konturen. Vor allem aber sollte die Kunst sich an der platonischen Ideenlehre orientieren. Dem abgebildeten Gegenstand ist seine Idee inhärent. Durch die Darstellung der Idee der Natur übertraf der Künstler die Natur selbst. Mit der Wiedergabe der Idee, die das Göttliche in sich birgt, überwindet der Künstler also die Natur; so wie die platonische Idee die Materie überwindet. Botticellis folgte in seiner Malerei diesen neuplatonischen Prinzipien.

Jetzt hat uns das Gänseblümchen doch glatt in das Dickicht der platonischen Ideenlehre geführt, aus dem die geschätzten Leser hoffentlich bald wieder herausfinden werden.

Im Dickicht der platonischen Ideenlehre

P.S. Eine ganz andere, historisch-politische Deutung der Primavera gibt Horst Bredekamp in seinem Buch Sandro Botticelli Primavera (Berlin 2002). Hier geht es vor allem um dynastische Raufereien verschiedener Fraktionen der Medici in Florenz.

*Hortipedia
**Wikipaedia
Foto: Wolf Schröder (2) Wikipaedia Commons (5)