Mittwoch, 10. Dezember 2014

Stechpalme


Der Eulenblick ist zurück

Nach langer Pause lässt die Eule wieder ihre Blicke schweifen. Jeden Monat wird sie, wie gehabt, von einer Pflanze berichten. Im Dezember hat sie die weihnachtliche Stechpalme erspäht.

Willkommen zurück unter der Stechpalme
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 













The holly and the ivy,
When they are both full grown,
Of all trees that are in the wood,
The holly bears the crown

English Cristmas Carol, hier zu hören:
 


In englischen Laubwäldern waren immergrüne Gewächse rar. Eiben und Kiefern wuchsen da und dort, um die Bäume wand sich Efeu, im Unterholz stand manche Stechpalme. Und diese holly trug die Krone, war die Königin der Bäume. Denn wenn von majestätischen Eichen die letzten braunen Blätter fallen, wenn die Blüten der Sommerwiesen nur noch trocken oder verschimmelt von welken Stängeln hängen, dann steht die Stechpalme in voller Pracht mit ihren glänzenden ledrigen immergrünen Blättern und leuchtendroten Beeren.

Grün wie die Hoffnung die Blätter, rot wie die Liebe die Beeren, weiß wie der Glaube die Blüten, dazu voller Stacheln und giftig – die Stechpalme war mit Symbolik und mythologischer Bedeutung aufgeladen. Winterliches Brauchtum drehte sich lange, bevor die Römer nach England kamen, um sie. Schon die Kelten schmückten ihre Wohnungen im Winter mit holly and ivy, ihre Druiden trugen Kränze aus Stechpalmen auf dem Kopf. Im Mittelalter bildete sich die christliche Symbolik der Stechpalme aus: die Blätter für die Dornenkrone, die roten Beeren für das vergossene Blut Christi.

Neben Stechpalme und Efeu gehört die Mistel zum Dreiklang der mythischen immergrünen Winterpflanzen. Der Kuss unter dem Mistelzweig ist der bekannteste englische Weihnachtsbrauch. (Mehr über die Mistel im Eulenblick vom Dezember 2011).

Die Stechpalme kommt als Baum oder Strauch vor; sie wird 1 bis 15 Meter hoch. Die Blätter in Bodennähe sind tragen Dornen. Sie stechen ganz schön und bieten einen guten Schutz gegen den Zahn von Reh und Ziege. Je höher am Stamm die Blätter sind, desto runder und handschmeichlerischer werden ihre Ränder. Der Baum ist zweihäusig, es gibt männliche und weibliche Individuen, die männliche oder weibliche weiße Blüten ausbilden. Die weiblichen Stechpalmen tragen ab dem Herbst und den Winter über die roten Beeren. Das Holz ist dicht und schwer; es lässt sich gut schnitzen und glätten. Früher wurde es zu Intarsien verarbeitet und zu kleineren und größeren Gegenständen. Goethes Spazierstock aus Hülsenholz steht heute noch im Haus am Frauenplan in Weimar.

Untere Blätter stachlig, obere ganzrandig
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 











Der Baum liebt feuchtes Klima und braucht wenig Licht. Er mag das englische Klima gern, wo die Sommer kühl und die Winter mild sind - und immer feucht. Die Stechpalme kommt vielen „englisch“ vor. In Mittel- und Südeuropa ist die Stechpalme ein seltenes Gewächs, da sie auf Frost und Trockenheit empfindlich reagiert. In Gärten kommt sie in vielen Sorten vor, als Strauch und Hecke, da sie das Zurückschneiden gut verträgt.

Ilse bilse, keiner willse
Die böse Hülse

Der Name des Holly kommt aus dem Altenglischen hole(gn), später Mittelenglisch Holin, noch später Hollen. Damit verwandt sind die alten Namen der Stechpalme wie Hülste oder Hulste (von althochdeutsch hulsa, mittelhochdeutsch hülse) – das heißt die Verbergende. Auch die Hülle und (ver-)hehlen gehören hierher. Jetzt können wir auch einen bekannten Stechpalmen-Namen deuten: Annette von Droste-Hülshoff. Die volkstümlichen Namen weisen auf christliches Brauchtum und die Dornen hin: Christdorn, Geißpalm, Palmdorn, Schradllaub, Schrattlbaum, Schürrütenholz, Stechle, Stecheiche, Stechholder, Stechlaub, Wachslaub, Walddistel. Doch warum die „böse“ Hülse? Wahrscheinlich wegen der Giftigkeit ihrer Beeren, die ein starkes Herzgift wie Rutin enthalten, neben Urolsäure und Menisdaurin. Die Beeren werden von Vögeln gefressen, denen das Gift offenbar nichts anhaben kann. Die Samen in den Beeren passieren Vogelmagen und –Darm unversehrt und keimen dort aus, wo die freundliche Amsel oder Drossel sie fallen ließ.


Der, ausgerechnet! 

Green groweth the holly, so doth the ivy.
Though winter blasts blow never so high
Green groweth the holly.
As the holly groweth green
And never changeth hue,
So I am, and ever hath been,
Unto my lady true.

Ja, wer hier die Treue zu seiner Lady beschwört ist einer, dem man es am wenigsten zugetraut hätte: Heinrich VIII, der Mörder auf dem englischen Thron, der zwei seiner sechs Ladies, Anne Boleyn und Catherine Howard, umbringen ließ. Da hatte er die unvergängliche Treue vergessen, die er dem ewiggrünen Kleid der Stechpalme gleichgesetzt hatte.
Doch auch in den Versen Heinrichs VIII steht holly neben ivy, und das hat seinen Grund. Das Thema des Gedichts ist die Liebe, und schon bei den Kelten standen die Stechpalme für das weibliche und der Efeu für das männliche Prinzip. Heinrich wäre hier also der Efeu, während die unglücklichen Frauen wie rote Beeren, die von der Stechpalme fallen, mit Glück im Austrag, mit Pech in der Grube landeten.