Freitag, 17. August 2012

Edelweiß

Pflanze des Monats August

Edelweiß

Leontopodium nivale 


Hunderte von Blüten


Das Edelweiß ist die bekannteste Alpenblume und Symbol für alles Alpine. Als Kind faszinierte mich, dass das Edelweiß "in den Felsen" wächst. Doch mehr noch als in Felsbändern und Schrofen fühlt es sich in trockenen, steinigen alpinen Rasen wohl.

Die Blüte des Edelweiß' ist nicht das, was sie scheint. Die weißen "Strahlen" sind in Wirklichkeit umgewandelte Blätter, sogenannte Hochblätter. Sie umgeben die gelblichen Knöpfchen der Blütenstände. Jedes der Knöpfchen besteht aus 60 bis 80 schmalen Röhrenblüten, außen die kleineren weiblichen, innen die größeren männlichen. So hat ein einziges Edelweiß Hunderte von Blüten. Das ganze Ensemble, der "Stern", hat Schaufunktion für die bestäubenden Insekten.



File:LeontopodiumAlpinum-3.jpg
Blüten und Scheinblüten
Das Edelweiß ist in den Alpen ein Newcomer, ein Einwanderer aus der letzten Eiszeit. Aus seiner Heimat, den hochgelegenen Steppen Asiens kam es zunächst in die baumlose Kältesteppe Mitteleuropas, es folgte dann dem schmelzenden Eis hinauf in die baumlosen Höhen der Berge, bis über 3000 m Höhe.


Das Edelweiß ist eine 10 bis 20 cm hohe, filzig behaarte Pflanze. Die weißen Härchen erfüllen verschiedene Funktionen. Sie bilden ein Luftpolster, das die Pflanze vor Kälte und - noch wichtiger - vor Austrocknung schützt. Die blendende weiße Farbe absorbiert die starke UV - Strahlung des Hochgebirges und schützt die Pflanze vor Strahlungsschäden. Gleichzeitig lockt sie bestäubende Insekten an.

 

Ein Kind der Moderne


Doch wie konnte ausgerechnet eine  unauffällige Pflanze wie das Edelweiß ein solcher Mythos werden? Enzian und Alpenrose standen den Menschen des Gebirges doch näher; das Edelweiß hieß im Bayerischen ganz profan Bauchwehbleamerl. 

Schuld sind die bürgerlichen, zivilisationsmüden Sommerfrischler und Bergsteiger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie entdeckten die alpinen Bauernhöfe, Dörfer, Almen und Berge als Gegenwelt, hier konnten sie zur Ursprünglichkeit zurückfinden. Ihr Hausphilosoph war Jean Jacques Rousseau (1712 - 1778) der das "retour à la nature" erfunden hatte. Diese Flüchtlinge der Moderne haben das Edelweiß für ihre Projektionen auserkoren, es mit Bedeutungen aufgeladen. Die Zuschreibungen konnten sich auch widersprechen:  Das Edelweiß, die reine, weiße Blume als Symbol weiblicher Unschuld und andererseits das Edelweiß in Fels und Sturm für die männliche Widerstandskraft.

Die Alpenvereine, auch sie Kinder des Bürgertums jener Zeit, nahmen das Edelweiß in ihre Wappen auf, wo es bis heute voller Symbolkraft prangt.

Legenden, Bräuche, Mythen rings um das Edelweiß, die in der Populärkultur stolz als Ewiges präsentiert werden, sind ebenso Spätgeburten. In der wissenschaftlichen Volkskunde  finden sich kaum Spuren des Edelweiß' vor dem Ende des 19. Jahrhunderts, in Sagen und Märchen nicht und nicht in den Volksliedern.

Beim Verweis der Einheimischen in den Alpen auf die "alten" und "ursprünglichen" Bräuche, Lieder und Tänze, beschleicht mich  stets ein peinliches Gefühl. Es beschleicht mich auch, wenn ich Vertreter der "First Nations" (vulgo "Indianer") Nordamerikas über mother earth räsonnieren höre. Ich werde da den Verdacht nicht los, dass "Mutter Erde" eine Erfindung der Weißen ist.



A Mass, a Brezn, an Edelweiß....
Das Fremdbild wird zum Selbstbild, man identifiziert sich mit dem Blick des Fremden. Man nimmt sogar die Herablassung und Degradierung zum Objekt in dieses Selbstbild auf: Edel ist er schon, der Wilde, aber halt auch ein Wilder.

 

Blume des Heldentods


Zu den Legenden gehört auch der Bursche, der beim Edelweißbrocken für sein Madl aus den Schrofen kugelt. In der Edelweißmythologie gehört das zum martialisch-militärischen Themenkreis. Der Kraftlackel, der sich furchtlos den Gefahren der Berge aussetzt, stirbt den Heldentod.

Heldentum und Militarismus gingen oft genug mit in die Berge. Und das Edelweiß lag im Schützengraben, wie es Tobias Scheidegger in seiner Monographie über die Pflanze schreibt*, der ich viele Informationen für diesen Artikel entnommen habe. Der erste, der das Edelweiß als Emblem für Teile seiner Truppen eingeführt hatte, war Franz Joseph. Ab 1907 prangte "des Kaisers Lieblingsblume" auf Hut und Ärmel der k.und k. Hochgebirgstruppen. Die Alpenblume an der Uniform sollte wohl militaristische Konnotationen abmildern und durch Sentimentalität und Heimatliebe ersetzen. Ab 1915 gab es das deutsche Edelweißkorps mit drei Regimentern.

Nicht vorenthalten will ich die Bosheit Karl Kraus' in diesem Zusammenhang. Aus einem Schützengraben des ersten Weltkriegs stammt folgendes Gedicht eines "Blumenteufels", wie sich die Angehörigen des Edelweißkorps nannten.

Auch stolz trägt es der Mann im Feld,
Den's Alpenreich dem Kaiser stellt.
Zu treu'n Kämpfern hat's uns gemacht,
Den Tit'l Blumenteuf'l eingebracht.

Karl Kraus, dem eine Postkarte mit diesem Meisterwerk der Apostroph - Anwendung  in die Hände fiel, schrieb: "Es ist zu hoffen, dass solange keck die Gemsen springen, sich kühn die Adler schwingen und wie immer auch da und dort die Blumenteuf'l singen, das Edelweiß unter keinem Tit'l mehr die Menschen zu treu'n Kämpfern machen und das Alpenreich dem Kaiser keinen einzigen Mann ins Feld stellen wird. Das walte Gott." Bekanntlich ist der Wunsch Karl Kraus' im Blut der Schützengräben an der Dolomiten-, Ortler- oder Adamellofront des "Alpenreichs" baden gegangen.




Blutiges Edelweiß




























In der Zwischenkriegszeit trugen sowohl die sozialdemokratischen Naturfreunde als auch die rechtsextremen Freikorps (in Bayern)  das Edelweiß im Wappen.

1935 dann wurde die erste Gebirgs-Division der Wehrmacht eingerichtet. Die "Kameraden unter dem Edelweiß" kämpften nicht edel - vor allem den Griechen sind sie durch Massaker, wie auf der Insel Kefallonia, in Erinnerung geblieben. Heute noch ficht das die tapferen Edelweißrecken nicht an. Bei ihrer Heldenfeier auf dem Hohen Brenten bei Mittenwald ist meist viel von Heimatliebe und - Verteidigung die Rede, die weniger glorreiche Vergangenheit lässt man gerne ruhen. Es kommt deshalb nicht selten zu Krawallen.

Doch gab es im Rheinland und im Ruhrgebiet während des Krieges eine Jugendorganisation, die Edelweißpiraten, die sich in Opposition zur Hitlerjugend der Vereinnahmung durch die Nazis zu entziehen versuchte.

 

Ewig bedroht: das Edelweiß und sein Aussterben


Von seinen Aufenthalten in den Bergen wollte man etwas mitnehmen in den bürgerlichen Salon. Was für ein besseres Souvenir als ein Edelweiß gab es da? Ein Klauben, Rupfen und Ausgraben hob an, auch in kommerzieller Form. Spezialisierte Händler und Versandhäuser trieben die Nachfrage. Auch Alpengärten kamen in den Städten groß in Mode, in denen die in den Bergen ausgegrabenen Pflanzen standen.

Diese Zustände riefen schon früh Naturschützer auf den Plan. Sie forderten den Schutz des Edelweiß' und postulierten seine unmittelbar bevorstehende Ausrottung. In Österreich steht das Edelweiß schon seit 1886 unter Schutz. Wissenschaftlich ist das drohende Verschwinden der Pflanze nicht gesichert. Auf den gut zugänglichen Trockenrasen war die Blume in Bedrängnis geraten. In Felsen und Schrofen, wo niemand hinkam, konnte sie  nach wie vor unbehelligt blühen.

Trotzdem scheint das Edelweiß im Bewusstsein der Leute die ewig bedrohte Blume zu sein: Am berühmten Grasberg im Allgäu, der Höfats, die von Edelweißpflückern besonders heimgesucht war, bewachte die Bergwacht von 1935 bis 2007 (!) die Vorkommen.

Tant' Julie wählt das Edelweiß


Die nationalistisch-reaktionäre Symbolik des Edelweiß' verlor sich nach dem 2. Weltkrieg weitgehend. Die politische nicht überall: So ist das Edelweiß das Emblem der Südtiroler Volkspartei, gegründet am Tag des Kriegsendes, am 8. Mai 1945, in Bozen. Ab diesem Datum wählte Großtante Julie (1906 - 2001), wie die meisten Südtiroler, "das Edelweiß". Denn nur "vereint unter dem Edelweiß" konnten die Südtiroler gegen die macchiavellistischen Politiker Roms bestehen.




Vereint unterm Edelweiß:
die Südtiroler Volkspartei



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

The Sound of Music

Das Musical über die Familie Trapp mit Julie Christie machte das "Edolwaiss" in Amerika berühmt.

Hier ein Link zum "Edelweiß" - Ohrwurm, mit einem besonders edlen Legato vorgetragen von den Wiener Sängerknaben.

http://www.youtube.com/watch?v=CxgKydtWjRg 

Das Edelweiß ist nach wie vor, in Folklore und Tourismus, hoch im Kurs: Air Edelweiß aus der Schweiz, unzählige "Haus Edelweiß" in den Fremdenverkehrsorten der Alpen, aber etwa auch das "Bleaching Studio Edelweiß" aus Köln.

* Tobias Scheidegger. Mythos Edelweiß:zur Kulturgeschichte eines alpinen Symbols. Zürich 2008.